Geil

Bitte mehr davon :laugh2:
Die Story stand sogar im Spiegel:
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DER SPIEGEL 41/2007 vom 08.10.2007, Seite 121
Autor: Hauke Friederichs
EINE MELDUNG UND IHRE GESCHICHTE
Der Schattenmann
Wie ein Täter und sein Opfer die Rollen tauschten
Der Abend, an dem Michael Esser zum Helden wurde, war ein Samstag im September, er hatte es eilig gehabt, eiliger als sonst, er wollte nach Hause. Vielleicht war das der Grund dafür, dass er den Mann nicht bemerkte, der ihm auflauerte.
Esser hatte im Fitness-Studio Gewichte gestemmt und sich anschließend am Bahnhofskiosk in Marburg eine Stange Zigaretten gekauft. Jetzt hatte er es eilig, im Fernsehen kam Fußball; Deutschland spielte in Wales, EM-Qualifikation, Esser hoffte, dass er es rechtzeitig zum Anpfiff schaffen würde.
Michael Esser, 33 Jahre alt, leidet an juveniler Makuladegeneration, einer Erbkrankheit, die die Welt um ihn herum immer unschärfer werden lässt. Irgendwann wird er blind sein. Sein Augenarzt kann die Sehkraft schon nicht mehr messen, aber noch unterscheidet Esser hell und dunkel, immerhin.
Esser verfolgt leidenschaftlich gern Fußballspiele am Fernseher. Wenn er sich dicht vor den Bildschirm hockt, kann er ahnen, welche Mannschaft gerade angreift, wer schießt oder foult.
Esser bewegt sich mit kleinen Schritten zu einem Aufzug am Ende des Bahnhofs, dieser liegt zwischen den Gleisen und dem leeren Parkplatz, mit den Fußspitzen tastet er nach Hindernissen, starrt vor sich auf den Boden.
Er will zur Fußgängerbrücke hinauffahren, über die er gehen muss, wenn er nach Hause will. Seine Finger tasten den Stahl der Fahrstuhlfront entlang, Esser drückt den Knopf. Die Tür öffnet sich. Als er hineingeht, hört er hinter seinem Rücken Schuhsohlen auf dem Asphalt. Offenbar folgt ihm jemand. Ein junger Mann drängt sich neben ihn in den Fahrstuhl. "Gib mir die Zigaretten", fordert der Mann. Esser weigert sich, er schiebt die Stange in seinen Rucksack.
Der Mann stellt sich vor ihn, Esser kann die Nase erkennen, die beiden Männer sind sich jetzt sehr nahe. Der Fremde stößt ihn. "Gib mir die Zigaretten, sonst hau ich dir aufs Maul."
Esser weiß, dass das Spiel um halb neun angepfiffen wird. Jetzt ist es kurz nach acht. Er wird unruhig.
1995 wurde Michael Esser Judo-Weltmeister der Sehgeschädigten, viermal war er Vize-Europameister, zehnmal internationaler deutscher Meister. Seit einem Jahr kämpft er gegen Sehende in der Landesliga, zum Spaß; er trägt den schwarzen Gürtel, hat den 3. Dan, den dritten Meistergrad, erlangt. Es gehört zu den Judo-Regeln, dass man die Griffe außerhalb des Sportstudios nur im Notfall anwendet, zu groß ist die Gefahr, jemanden zu verletzen.
Esser macht einen Schritt nach vorn, der andere stellt sich ihm in den Weg, Esser drückt seine Schulter gegen dessen Brust. Der Mann hält dagegen. Er zerrt an Essers Jacke. Mit einer kurzen Bewegung reißt sich Esser los und drückt den Fremden an die Fahrstuhlwand. Der Weg ist frei.
Esser tastet sich hinaus ins Freie. Er will zu einer Treppe rund 15 Meter vom Aufzug entfernt. Da hört er hinter sich Schritte. Als er sich umdreht, rammt ihm der Angreifer die Faust ins Gesicht. Blut läuft aus Essers Nase, er kann es auf den Lippen schmecken.
Jetzt hat er genug.
Esser springt nach vorn, krallt die Hände in den Pullover des Angreifers, zieht ihn zu sich heran, greift sich den rechten Arm, dreht sich mit der Schulter in den Gegner, beugt sich vor, zieht dabei leicht am Arm.
Ein Schulterwurf. Judo-Kämpfer nennen ihn Seoi-nage.
Der Wurf katapultiert den Fremden in die Höhe, er fliegt über Essers Schulter und knallt mit dem Rücken auf den Asphalt. Esser hört, wie der Fremde stöhnt und nach Luft schnappt.
Er lässt sich fallen, dorthin, wo er seinen Gegner vermutet, und landet auf dessen Bauch. Esser umklammert den Mann, legt sein ganzes Gewicht von 75 Kilogramm auf den Brustkorb, gleichzeitig presst er die Schultern seines Gegners nach unten.
Zeit für den Kesa-gatame, findet Esser. Er setzt einen Haltegriff an, klemmt die Unterarme mit seinem Kinn und der linken Hand über dem Kopf fest. Der Mann kann nur noch strampeln.
Esser hört, wie der Fremde türkische Namen ruft. Seine Stimme ist schrill, überschlägt sich. Die sind zu zweit, denkt Esser. Er drückt mit der rechten Hand gegen die Halsschlagader des Gegners.
Juji-jime heißt der Würgegriff. Aus den Schreien wird ein Röcheln.
Irgendwann rührt sich der andere nicht mehr. Essers Stirn brennt, die Nase blutet. Passanten, die Schreie gehört haben, kommen angelaufen. "Hör auf zu würgen", ruft einer. "Ich bin blind, ich wurde überfallen", erwidert Esser.
Er lässt seinen Gegner erst los, als zwei Polizisten auftauchen. Sie wollen den Fall aufnehmen, es sieht so aus, als würde das hier dauern, und Esser drängt die Beamten zur Eile. Als auch noch Rettungssanitäter auftauchen und ihn ins Krankenhaus bringen wollen, weigert sich Esser mitzukommen. Er wolle nach Hause, sagt er.
Esser erreicht seine Wohnung um kurz vor neun. Er läuft ins Wohnzimmer und schaltet den Fernseher ein. Deutschland führt 1:0.
Esser hat verloren, er ist zu spät gekommen. HAUKE FRIEDERICHS
DER SPIEGEL 41/2007