TV-Tip-HEUTE 20.45h: ARTE- Felicia, mein Engel


KGZ49

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Montag 24. Mai 2004, um 20:45 Uhr


Felicia, mein Engel

Synopsis Felicia (Elaine Cassidy) ist 18 Jahre alt. Sie ist schwanger und muss ihr irisches Heimatdorf verlassen. Sie beschließt, zu ihrem Geliebten zu reisen, der ins englische Birmingham gezogen ist, um Arbeit zu finden. Dort lernt sie Hilditch (Bob Hoskins) kennen, einen ledigen Koch mit seltsamen Sexualpraktiken. Mit dem Versprechen zu helfen, bindet er die junge Frau an sich.

„Felicia, mein Engel“ ist ein Pseudo-Psychothriller, der sich trotz der eindeutigen Anlehnung an Hitchcock durch seine große Sanftheit vom Vorbild unterscheidet. Denn Egoyan zeigt den Mädchenmörder von seiner menschlichsten Seite.

Das gelingt ihm dank der höchst präzisen Interpretation von Bob Hoskins und der stringenten Inszenierung, die sich jedes Urteils über die Gestalt enthält, aber Schritt für Schritt das minutiöse Regelwerk enthüllt, dem Hilditch sein Leben unterworfen hat, um sich vor der Wirklichkeit zu schützen. Ihm gegenüber steht die strahlende junge Felicia, die ihre erste Liebesgeschichte und ihre erste Enttäuschung erlebt: Johnny, der Vater ihres ungeborenen Kindes, ist nicht mehr auffindbar. Auch Felicia, die unerschütterlich an Johnnys Liebe glaubt, schützt sich vor einer Wirklichkeit, die sie sich nicht wahrhaben will. „Felicia, mein Engel“ erzählt die Geschichte einer doppelten Befreiung: Dank Hilditch kann Felicia sich der Tatsache stellen, dass ihr Geliebter sie verraten hat. So befreit sie sich von dessen Einfluss und erlangt größere Reife. Hilditch seinerseits findet durch Felicia einen Ausweg aus seinen selbstgeschaffenen Eingrenzungen.

Egoyan hat in dieser Verfilmung von William Trevors Roman alle seine Lieblingsthemen entwickelt. Doch völlig neu ist das Dekor: einerseits das stockkatholische Irland, andererseits die heruntergekommene Industrieregion der englischen Midlands. Eine fremde Umgebung, aber vertraute Themen: sexuelle Perversionen, die allerdings nicht moralisch gewertet werden; die Last der Vergangenheit im Leben eines jeden (Hilditchs Mutter, Felicias streng katholische Erziehung, der Krieg in Irland, an den Felicia ständig durch ihren Vater erinnert wird); die ständig laufenden Videoaufzeichnungen mit Hilditchs Mutter, die ein objektives Zeugnis und Hilditchs intimes Tagebuch sind und zugleich die Wirklichkeit mit einer Projektionsfläche überlagern; und schließlich die Einsamkeit der Figuren, die sich ihres Leidens in dem Maße bewusst werden, wie sie die Worte dafür finden.

Dennoch scheint uns dieser Film gesetzter und formal weniger gewagt als die Filme, die Egoyan berühmt gemacht haben. Von „Calendar“ über „The Adjuster“ bis „Beaux lendemains“ zeichneten sich seine Filme durch eine zersplitternde Erzähltechnik aus, die ganz neue Anforderungen an den Zuschauer stellte: Er musste die verstreuten Elemente sinngebend zusammensetzen. In „Felicia, mein Engel“ springt die Erzählung zwar auch zwischen Vergangenheit und Gegenwart hin und her, aber der Rhythmus ist etwas träge, und der systematische Einsatz der Parallelmontage (während er das macht, macht sie dies) wirkt am Ende monoton. Trotz allem ist der Film, der auch als Variante des Themas „Die Schöne und das Biest“ gesehen werden kann, ein interessantes Werk, das eine ganz besondere Atmosphäre sanfter und zugleich eiskalter Angst verbreitet.
 
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