Ich mache dann hier mal den Anfang
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DIE AUSGANGSSITUATION
Das letzte Großereignis endete für die Three Lions wieder einmal im Tal der Tränen: bei der WM in Brasilien war für ein Team im Umbruch absolut nichts zu holen. Nach 1:2-Niederlagen gegen Italien und Uruguay sowie einem torlosen Remis gegen Costa Rica war das WM-Abenteuer schon nach der Gruppenphase vorbei. Trainer Roy Hodgson durfte trotzdem bleiben, und die Verjüngung des Kaders wurde weiter vorangetrieben. Steven Gerrard und Frank Lampard beendeten ihre Karriere im Nationalteam, während sich langsam aber sicher ein neuer Kern herauskristallisierte, um den man in Hinblick auf die WM 2018 ein neues junges Team aufbaut. Für einige dieser Spieler wird die EM der erste richtige Auftritt auf der großen Bühne, dementsprechend vorsichtig muss man mit der Erwartungshaltung sein.
DIE VORBEREITUNG
Trotz einiger Umstellungen nach der enttäuschenden WM fegten die Engländer über ihre Quali-Gruppe hinweg und schlossen die Quali am Ende als einziges Team überhaupt mit einer weißen Weste ab: 10 Spiele, 10 Siege. Den Grundstein für eine erfolgreiche Qualifikation legte man bereits am ersten Spieltag mit einem 2:0-Auswärtssieg in der Schweiz, am letzten Spieltag bezwang man die Eidgenossen auch zuhause mit dem gleichen Ergebnis. Dazwischen löste man die Pflichtaufgaben Estland, Litauen und San Marino souverän - einzig den Slowenen gelang es bei den 1:3- und 2:3-Niederlagen, gegen die Engländer überhaupt ein Tor zu erzielen. Toptorschütze mit 7 Toren in der Qualifikation war Kapitän Wayne Rooney, der dabei auch Sir Bobby Charlton in der ewigen Bestenliste überholte und nun Englands neuer Rekordtorschütze ist. Danny Welbeck erzielte 6 Tore.
Die Testspielbilanz in den letzten Monaten fiel dagegen eher mittelmäßig aus. Im November musste man sich Spanien auswärts nach zwei späten Gegentoren mit 0:2 geschlagen geben, ehe man wenige Tage später zuhause die Franzosen mit 2:0 besiegen konnte. Dieses Match stand allerdings im Schatten der Terroranschläge von Paris, dementsprechend wenig sollte man aus diesem Spiel ableiten. Im März sorgte dann ein 3:2-Sieg in Berlin für Euphorie auf der Insel, konnte man den amtierenden Weltmeister doch nach 0:2-Rückstand mit einem furiosen Finish noch in die Knie zwingen. Drei Tage später wurde man im Wembley aber von den Niederländern wieder zurück auf den Boden der Tatsachen geholt: gegen die EM-Zaungäste setzte es eine 1:2-Niederlage.
Vor der EM testen die Engländer noch dreimal: am kommenden Sonntag gehts im Etihad Stadium gegen die Türkei, am 27. Mai im Wembley gegen Australien und zum Abschluss am 2. Juni ebenfalls im Wembley gegen Portugal.
DER KADER
Roy Hodgson hat vorerst 26 Spieler nominiert:
Verletzt zuschauen müssen unter anderem Fraser Forster, Luke Shaw und Danny Welbeck.
Mit Phil Jagielka, Michael Carrick und Theo Walcott wurden drei langjährige Stützen nicht berücksichtigt. Gerade bei Jagielka kommt das etwas überraschend, denn da auch Phil Jones mal wieder verletzungsbedingt ausfällt und Ryan Shawcross seit Jahren konsequent ignoriert wird, stehen nun mit Chris Smalling, Gary Cahill und John Stones nur drei Innenverteidiger im Kader. Im Notfall könnte dort auch Eric Dier aushelfen, aber quantitativ ist das doch etwas dünn in der Innenverteidigung.
Im Mittelfeld ist es ein bisschen befremdlich, dass Jack Wilshere nach 141 Spielminuten in dieser Saison gleich wieder in den Kader spaziert, und was Fabian Delph nach dieser Saison im Kader verloren hat, weiß nur Hodgson selbst. Dass Andros Townsend auf dem Flügel den Vorzug gegenüber Michail Antonio bekommt, sorgt bei mir auch für Kopfschütteln. Im Sturm hat auch Marcus Rashford bereits den Sprung in den Kader geschafft, aber das kommt für mich ehrlich gesagt viel zu früh.
Bezüglich der drei Spieler, die noch gestrichen werden müssen, würde ich definitiv auf Fabian Delph, Andros Townsend und Marcus Rashford tippen.
DAS SYSTEM
Glaubt man den englischen Medien, dann wird England bei der EM ein 4-3-3 spielen. Wayne Rooney ist da offenbar als linker Flügel eingeplant, was zur Folge haben dürfte, dass entweder Raheem Sterling oder Jamie Vardy auf der Bank Platz nehmen muss. Hier wird also wieder mal darauf verzichtet, die beste Mannschaft aufs Feld zu schicken, damit man Rooney irgendwie ins Team quetschen kann ... persönlich kann ich das nicht nachvollziehen, denn die Mannschaft hätte ohne ihn schlicht und ergreifend mehr Balance. Vermutlich wird die Startelf also folgendermaßen aussehen:
Wobei sich auch Bertrand (LV), Walker (RV), Wilshere (ZM), Lallana und Sterling (jeweils RA) Hoffnungen machen dürfen.
DIE GRUPPE
Die Auslosung bescherte den Engländern eine interessante, aber machbare Gruppe. Besonderen Anreiz für die Engländer hat natürlich das Duell mit dem kleinen Bruder Wales, der ja mittlerweile selbst - zumindest laut FIFA-Rangliste - zu einer Top 15-Adresse im Fußball geworden ist. Auch Russland wird sich im Aufstiegskampf einmischen, dementsprechend wichtig ist schon die Eröffnungspartie für die Engländer. Die Slowakei dürfte nur eine Außenseiterrolle spielen, aber unterschätzen sollte man auch diese Mannschaft nicht. In jüngerer Vergangenheit trafen die Engländer auf keinen ihrer Gruppengegner: gegen Wales spielte man zuletzt in der EM-Qualifikation für 2012 (England gewann beide Duelle), gegen die Slowakei spielte man zuletzt bei einem Freundschaftsspiel im März 2009 (England gewann mit 4:0) und mit den Russen hatte man es das letzte Mal in der EM-Qualifikation für 2008 zu tun (3:0 und 1:2 aus Sicht der Engländer).
PLAYERS TO WATCH
Vor einem Jahr kickte der 20-jährige
Dele Alli noch in der dritten Liga bei MK Dons. Zu diesem Zeitpunkt stand sein Wechsel zu Tottenham zwar längst fest, aber einen derartigen Aufstieg hat niemand vorhersehen können: in seiner ersten Saison in der Premier League etablierte sich Alli sofort als Leistungsträger bei den Spurs, erzielte dabei beachtliche 10 Tore und wurde am Ende ins PL-Team des Jahres sowie als "Young Player of the Year" gewählt. Alli hätte theoretisch auch für Nigeria spielen können, entschied sich aber früh für England, wo er geboren und aufgewachsen ist. Im Oktober gab er sein Debüt in der Nationalmannschaft und bot in den Testspielen eine gute Figur. Alli wird bei der EM in der Startelf sein und eine Schlüsselrolle im Mittelfeld spielen, alles andere wäre eine Überraschung.
Auch sein 22-jähriger Spurs-Teamkollege
Harry Kane ist aus dem Nationalteam nicht wegzudenken. Seinen Durchbruch feierte der Mittelstürmer schon in der letzten Saison mit 21 Toren, und in der abgelaufenen Spielzeit bewies er als Torschützenkönig mit 25 Treffern eindrucksvoll, dass er alles andere als ein "One Year Wonder" ist. Auch seine Quote im Nationalteam kann sich durchaus sehen lassen - im letzten Jahr begann er seine Karriere im Dress der Three Lions mit 3 Toren in seinen ersten 4 Spielen, insgesamt hält er nun bei 4 Toren und 2 Assists in 10 Spielen. Zuletzt traf er im März gegen Deutschland.
Nur ein Saisontor weniger als Kane hatte am Ende ein Mann auf dem Konto, dessen fußballerischer Werdegang wohl einzigartig ist. Denn
Jamie Vardy kickte mit 25 noch immer in der 5. Liga, ehe er 2012 in die 2. Liga zu Leicester City wechselte. Dort schaffte er 2014 den Aufstieg in die Premier League und schrieb - so manch einer wirds mitbekommen haben - in der abgelaufenen Saison mit dem Meistertitel ein Fußballmärchen, das seines gleichen sucht. Vardy brach dabei auch einen PL-Rekord, indem er in elf aufeinanderfolgenden Spielen traf. Sein Debüt im Nationalteam gab der 29-Jährige letztes Jahr im Testspiel gegen Irland, seither hat er 6 Partien absolviert. Dabei gelangen ihm auch 2 Tore: im März schlug er sowohl gegen Deutschland als auch gegen die Niederlande zu.
DIE PROGNOSE
Die Gruppenphase zu überstehen ist ein Muss, alles weitere hängt auch von den Paarungen in der KO-Phase ab. Das Viertelfinale ist in jedem Fall drin, für mehr dürfte es in Frankreich noch nicht reichen.