Zu pauschal. Bei den Millionen, die er verdient hat, wird es dann schon deutlich, dass es einfach ein typischer, den Hals nicht voll kriegender Move ist und es da schon starke charakterliche Unterschiede gibt.
Das Eine schließt doch das Andere nicht aus. Aus dem Umfeld von Fury wurde berichtet, dass er ein sehr nerdiger Boxfan ist. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass er als Boxer ebenfalls eher Idealismus-geprägt ist. Sieht man sich den Cunningham-Kampf an, so sieht man das Duell eines Contenders gegen einen Ex-WM aus einer anderen Gewichtsklasse, der im Schwergewicht Geld abgreifen will und seine Funktion als Gatekeeper gefunden hat. Gar nicht so untypisch. Untypisch ist, dass der Gatekeeper deutlich besseres Boxen zeigt und es in der Folge sogar zum Niederschlag kommt. Wie reagiert Fury darauf? Mal abgesehen davon, dass Cunningham in der Folge dämlich boxt und sein Pulver verschießt: Fury macht den Kampf unsauber. Er nutzt seine körperlichen Vorteile und verlässt sich auf Anweisung auf sein Dirty Tactics-Arsenal. Das gibt m. E. den weiteren Karriereweg vor. Eine weitere Schlüsselszene dürften die gescheiterten Verhandlungen mit David Haye und das ganze mediale Hin und Her gewesen sein. Haye hat ihm demonstriert, wie man mit einfachen Mitteln und flotten Sprüchen mediales bzw. Fan-Interesse generieren kann und damit seinen Marktwert steigert. Boxen als Geschäft, das Spiel mit den Medien und Fans als eigentliche Profession und der Instinkt, wie man sich damit eine große Marktmacht aufbauen kann - das ist heute das große Rüstzeug von Fury und er ist da in den Fahrwassern von Haye (und vielleicht auch Ali früher).
Wenn ich Boxen als reines Geschäft verstehe und begreife, dass mir eine Marktmacht über meine Fanbase die Ausgangslage verschafft, Bedingungen diktieren zu können und weiß, dass der locker vorgetragene Spruch bzw. das noch so abstruse Narrativ wichtiger ist, als die Fakten in einer Sache, dann kann ich das System Fury durchdringen. Ich als Box-Enthusiast finde das verachtenswert, ich kann aber - wenn man sich erst einmal dazu entscheidet, jeden erdenklichen Vorteil für sich zu nutzen und gleichzeitig über die bekannten Medien ein gegenteiliges Narrativ zu steuern, um die eigene Fanbase zu beruhigen - durchaus nachvollziehen, dass Fury den Pfad konsequent weiter beschreitet. Ebenso konsequent ist es dann, sich Gegner nach deren Möglichkeiten/Stil oder nach Erfahrungen im Sparring auszusuchen (Wilder, Chisora, Whyte) und als nüchterner Geschäftsmann eine klare Risikoabwägung zu betreiben, ob ich meine drölfzig Millionen lieber gegen einen gefährlichen Gegner verdienen will, der mir boxerisch wahrscheinlich überlegen und zugleich clever ist (Usyk) oder lieber gegen einen bösguckenden Bully aus einer benachbarten Sportart, dem die boxerische Erfahrung und vielleicht auch die grundsätzlichen Fähigkeiten fehlen (Ngannou). Wichtig ist doch nur, dass die begleitende Propaganda stimmt und gekonnt vorgetragen wird. Die Wahrheit interessiert nach kurzer Zeit niemanden mehr.
Auf einer anderen Ebene haben wir das Gleiche mit Wladimir Klitschko erlebt. Der hat seine KO-Niederlagen nie überwunden und hat sich von Steward ein System illegaler Tricks zur Verteidigung in boxerisch schwierigen Situationen beibringen lassen, von dem er ab einem gewissen Punkt nicht mehr lassen konnte. Er konnte das aufgrund seiner Art bloß nicht verkaufen.
Wenn man einmal einen solchen Pfad betreten hat, dann ist es m. E. zwar verwerflich, diesen nicht wieder zu verlassen - es ist aber auch sehr menschlich, auf die damit verbundenen Vorteile nicht verzichten zu wollen. Fury ist ebenso wie Haye (oder Ali) im Gegensatz zum medial hölzernen Klitschko nur viel geschickter darin, diese Nummer mit Goldfarbe anzusprühen und entsprechend zu vermitteln. Ich zumindest, möchte Dich in Furys Situation sehen, wenn Du auf diese Art Millionen gescheffelt hast und dann sollen Dich Gewissenbisse oder was auch immer von der Nummer wieder runterbringen? Come on.
Was hat Usyk getan, dass der Fight jetzt nicht zustande kam? Was hatte WK seinerzeit getan, sich 1,5 Jahre von Fury um den Rückkampf verarschen zu lassen? Ich würde lieber mit Don King verhandeln als mit Fury.
Siehe Ausführungen zuvor. Ich rechtfertige Furys Aktionen nicht, ich halte sie nur im Hinblick auf seine Agenda für nachvollziehbar.