Episode I – Die kleine, pelzige Frucht und Bier trinkende Elfen.
Wirklich super. Ich hatte die Spur verloren. Der greise Mensch in Tilverton, der mich in die Dalelands geschickt hatte, war mir gleich etwas verwirrt vorgekommen. Aber er war der einzige gewesen, der sich an die Legende erinnert hatte. Und jetzt stand ich hier. Im sagenumwobenen Battledale, in dem einst so viel Schlachtlärm tobte, dass es sich Oropax besorgte. Der Schlachtlärm war beleidigt ob solcher Ignoranz und zog woanders hin. Seitdem war es sehr ruhig in der kleinen Stadt. Es hätte mich nicht gewundert, wenn der Wachposten einen Herzinfarkt bekommen hätte und von seinem Turm heruntergefallen wäre, als er mich sah. Aber er schlief. Elender Glückspilz. Ich hätte zu gern sein Gesicht gesehen.
Der Tag war noch jung, als ich auf dem Marktplatz eintraf. Eine gute Zeit, um den hiesigen Schmied aufzusuchen und mit ihm ein wenig über alte Legenden zu plaudern. Vielleicht hatte ich Glück und die Dalelands waren doch geschichtsträchtiger, als sie einem beim ersten Blick weismachen wollten. Ich fragte nach dem Schmied. Man sagte mir, er sei gerade nicht in der Stadt. Im Außendienst tätig. Na großartig. Genau das brauchte ich jetzt. Mitten im Niemandsland in einer Stadt, die keine war und das einzige, was ich hier wollte, sprang gerade auf einem Vertriebsbesuch in der nächst besten Stadt herum. Ich beschloss, dass es höchste Zeit für ein Bier wurde. Oder zumindest für etwas, dass im Entferntesten an eins erinnerte. Die Menschen konnten einfach kein Bier brauen. Lag wahrscheinlich an ihrer Größe. Dort oben entwickelten die Geschmacksnerven Höhenangst und durften nicht überfordert werden. Aber vielleicht waren ja ein paar Wachleute in der Taverne. Und wo Wachleute und Alkohol waren, war die nächste Kneipenschlägerei nicht weit. Bei diesem Gedanken ging es mir schlagartig besser und liebevoll betrachtete ich das schräg hängende Schild mit einem Bierkrug drauf. Hier gehörte ich hin.
Im Innenraum klappte mir erst einmal die Kinnlade herunter. Metaphorisch natürlich. Der zwergische Körper ist ein krankhafter Kontrollfreak und erlaubt keine unwillkürlichen Bewegungen. „Nein!“ sagten meine Augen und wurden groß wie goldene Schokoladentaler. Wen erwartet man an einem schönen, sonnigen Tag vormittags in einer Taverne? Wachleute vielleicht. Die waren da. Zwei Stück. Und sie becherten fleißig. Nichts Besonderes. Und ansonsten hätten die Tische der Taverne eigentlich leer sein sollen. Waren sie aber nicht. Da saß ein blauhaariger Elf, der Bier trank. Richtig. Ein Elf. Mit blauen Haaren. Und Bier. So wahr ich hier stehe. ER HAT SOGAR DARAN GENIPPT. Ich stand völlig paralysiert da. Wenn ich das zu Hause erzählte, würden mich alle für völlig durchgeknallt halten. Aber ich hatte nicht vor, das zu Hause zu erzählen, also fing ich lauthals an zu lachen. Ein Elf, der Bier trank. Das war ungefähr so wie ein Bär, der versuchte, eins dieser Blümchenmuster zu sticken, die alte Zwerginnen so oft an der Wand hängen hatten. Oder ein männlicher Orc im Korsett. Ein Ochse, der das berühmte Bardenlied vom großen blauen Kleid muhen wollte. Mir fielen ungefähr ein Bergwerk voll mit Dingen ein, die stilvoller aussahen als ein Elf mit einem Bierkrug in der Hand. Er nahm mein Gelächter mit Fassung. Als meine Tränen getrocknet waren, sagte er ganz trocken: „Du bist nicht zur Tür herein gekommen.“
Verdutzt drehte ich mich um. Tatsächlich. Ich konnte mich nicht erinnern, das morsche Stück Holz passiert zu haben. Aber wie sollte ich sonst hier hineingekommen sein? Ich steckte in einem zwergischen Dilemma. Je Sekunde, die man Moradin in seinem Leben nicht erklären konnte, kriegte man ein Bier im Jenseits weniger. Und das war göttliches Zwergenbier. Das durfte nicht sein. Ich ging noch einmal hinaus. Diesmal zog ich bewusst am Handring der Tür, als ich vorsichtig wieder hineintappte. Ich bat Moradin, ein Auge zuzudrücken. Man lief schließlich nicht ständig Elfen über den Weg, die Bier tranken. An dieser Stelle betraten meine Gedanken das Laufrad im Käfig. Ich war so mit dem Elf beschäftigt gewesen, dass ich die zweite Person im Raum nicht wahrgenommen hatte. Und den Menschenmagier nicht zu sehen, musste eine Meisterleistung meines Gehirns gewesen sein. Er saß mitten im Raum, war ganz in rot gekleidet, trug einen Hut mit einer riesigen Feder und lächelte mir zu. Jemand schloss zwei gegenpolarisierte Dioden an das Laufrad an und betätigte einen Schalter. Als mein Gehirn wankend aus dem Laufrad kippte, saß ich mit einem Bier in der Hand am Tisch des Elfen. Brave Zunge. Die wusste auch ohne Gehirn, was gut für sie war. Ich beschloss den Magier ins Reich der „Gesehen, aber Existenz noch nicht bewiesen“-Dinge zu stecken. Dort konnte er lustig in der Gegend herumtollen und hatte mit dem Potcookiemonster und dem rosa Einhorn Charlie bestimmt willige Gefährten zum Spielen.
Ich musterte den Elf genauer. Er war in Leder gekleidet und trug einen Bogen bei sich. Seine Gesichtszüge waren für ein Langohr erstaunlich mild. Ich fragte ihn, was er hier trieb. Er antwortete in einem freundlichen, wohlklingenden Satz. Die Worte sagten, dass er ein wenig durch die Gegend reiste, um die Welt kennen zu lernen. Die Pausen zwischen den Worten ergaben einen Code. Wenn man ihn richtig zusammensetzte, hieß er: „Das erzähl’ ich nicht jedem dahergelaufenen Zwerg.“ Ich seufzte. Er schien zu merken, dass er nicht der erste Elf war mit dem ich redete und erzählte mir als Konversationsangebot noch, dass das einzig Interessante, was es in dieser Stadt im Moment zu berichten gab, das Verschwinden des Schmiedes sei. Da wurde ich hellhörig. „Ich dachte, er sei auf Reisen?“. „Er hätte schon längst wieder zurück sein müssen. Das sagte zumindest der Wirt.“ Ich ging vor zur Theke und kletterte auf einen Barhocker. Ich fragte den Wirt, wo denn der Schmied hin wollte, erhielt aber nur die gelangweilte Antwort, ich solle doch mal beim Wachturm nachfragen. Auch gut, die Filtereinheit meines Gehirns war nämlich langsam überfordert damit, den roten Magier auszublenden. Aber bevor ich die Taverne verlassen konnte, betraten zwei neue Gestalten den Raum. Ich entschuldigte mich offiziell bei der Stadt Battledale, dass ich sie als langweiliges Kaff abgestempelt hatte. Wen man hier am frühen Mittag in der Taverne traf, war wirklich nicht zu glauben. Ein zweiter Elf schritt zur Tür hinein und sah sich um. Ihm folgte ein gewöhnlich aussehender Mensch im Lederpanzer. Ein Schurke. Was aber niemand wusste. Ich richtete mich erwartungsvoll auf. Es waren nicht mehr genug Tische da, damit jeder sich an einen einzelnen setzen konnte. Was hieß, dass es bestimmt gleich spaßig wurde. Aber die beiden Neuankömmlinge enttäuschten mich. Sie setzten sich gemeinsam an einen Tisch und spielten Karten. Wie überaus langweilig. Ich bezahlte mein Bier und ging zum Wachturm.
Als ich zurückkam, stand der Magier vor der Tavernentür. Ich schaltete auf Tunnelblick und schlängelte mich an ihm vorbei. Der Typ war mir unheimlich. Drinnen hatte sich das Bild geändert. Die beiden Neuankömmlinge von vorhin teilten sich gerade eine kleine, seltsam aussehende Frucht. Und der Bierelf versuchte verzweifelt mit seinen verschachtelten Sätzen und seiner hochkorrekten Aussprache aus den beiden betrunkenen Wachleuten irgendeine Information herauszubekommen. Als ich näher trat, drehte er sich um. „Was sagt der Kommandant?“ – „Dass wir eine Belohnung bekommen, wenn wir den Schmied finden“ teilte ich triumphierend mit. „Sehr gut. Wo ist er denn?“ – Mein Gehirn suchte sich die nächst gelegene Tischkante. „Dazu wollte er sich vorläufig noch nicht genau äußern.“ Die Pausen zwischen den Worten ergaben einen Code. Wenn man ihn richtig zusammensetzte, hieß er: „Das hab ich vergessen zu fragen, Langohr und wenn du mich darauf ansprichst, bist du einen Kopf kürzer.“ Für einen Elf bewies er wirklich ausgezeichnetes Taktgefühl und schlug vor, dass wir noch einmal gemeinsam zum Wachturm gingen. Der Magier sei mittlerweile auch involviert, da er ein Abenteuer hinter dem Ganzen wittere (typisch Menschen…). Bei dem Wort „Belohnung“ war der Exotik-Frucht-Kartenspieler-Mensch (von dem wir nicht wussten, dass er ein Schurke war) aufmerksam geworden und hatte gefragt, worum es denn ginge. Wir erklärten es ihm und er bot an, mit uns zu kommen. Sein Mitspieler wusste auch nichts Besseres zu tun und so standen wir zu fünft auf der Matte des Kommandanten. Der Schmied sei vor zwei Wochen nach Timberdale gereist. „Das hätte er mir auch beim ersten Mal sagen können“ knurrte ich meiner Axt zu und verließ den Raum wieder.
Timberdale lag ungefähr eine halbe Tagesreise von Battledale entfernt. Die Straße war eher wegig als straßig, aber das kümmerte sie nicht, weil Attribute im Straßenwahrnehmungsspektrum noch hinter kleinen pelzigen Exotikfrüchten stehen. Uns war es auch herzlich egal, da wir zu Fuß unterwegs waren. Nach einiger Zeit hörten wir eigenartige Geräusche. Es klang, als hätte jemand einen Hund unter den Schmiedehammer gelegt. Als wir näher kamen, sahen wir, dass es ein singender Kobold war. Der Bierelf und der Exotik-Frucht-Kartenspieler-Mensch (der in keinster Weise erkennen ließ, dass er ein Schurke war) schlichen näher heran. Ich blieb hinten, da vor tausenden von Jahren eine Fehde zwischen meiner Rüstung und dem Klan der lautlosen Bewegungen ausgebrochen war. Die Auswirkungen waren bis in die Gegenwart spürbar. Elende Nostalgiker. „Tu es nicht!“ Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen. Die Worte kamen aus dem Mund des roten Magiers. Ich folgte seinem Blick. Der Bierelf war gerade dabei, den Kobold zu erschießen. Oder wäre dabei gewesen, wenn der nicht - durch den Schrei aufgeschreckt – auf der Stelle verschwunden wäre. Ein elfischer Fluch ertönte. Ich wartete gespannt auf den folgenden Disput. Wenn Elfen sauer wurden, wurde es immer lustig. Aber es passierte überhaupt nichts. Der Bier- und Bogenelf knurrte etwas in sich hinein und untersuchte den Ritualplatz des Kobolds. Er fand Spuren, die in den Wald hinein führten. Er schien eine Art Waldläufer zu sein, wenn es so etwas bei Elfen gab. Er schlug vor, den Spuren zu folgen. In der nun folgenden Diskussion, ob das denn hilfreich dabei sei, den Schmied zu finden, kam ich voll auf meine Kosten. Zwar fielen keine echten Schimpfworte, aber 10 Minuten lang Wahrscheinlichkeiten gegeneinander abzuwägen, ob der Schmied nun von den Kobolden oder doch erst in Timberdale verschleppt worden war, war äußerst amüsant. Zumal nun auch der Magier damit begann, sein volles Komplexsprachenprogramm auszupacken. Ich glaube, es gab in diesem Gespräch keinen Satz, der unter 30 Worte zählte. Ich saß da, glücklich wie ein Honigkuchenpferd.
Leider einigte man sich schließlich. Ein lauter Pfiff ertönte und der Himmel verdunkelte sich. Ein kühler Luftzug fuhr über unsere Köpfe und vor uns landete eine riesige Eule. Sie flog auf den Exotik-Frucht-Elfen zu und ließ sich streicheln. Dieser nickte in Richtung des Pfades. Sie flog los und kehrte nach kurzer Zeit zurück. Ihre Augen leuchteten. „Da ist irgendetwas“ sagte der Elf. Also folgten wir dem Pfad. Wir erreichten eine Höhle. Eine sehr seltsame Höhle. Trotz dass ich im Dunkeln eigentlich ganz gut sehe, blieb dort alles schwarz für mich. Es schien eine Art magische Dunkelheit zu sein, ich fühlte mich sowieso etwas mulmig. Wir bauten uns behelfsmäßige Fackeln und traten in die Dunkelheit. Auf dem Boden ließen sich Blutspuren ausmachen. Bald fanden wir die dazugehörige Leiche. Der Waldläufer beugte sich hinab, um sie zu untersuchen. Im Höhleninneren hörten wir ein Fauchen. Etwas, das schwer untot aussah, torkelte auf uns zu. Der Bierelf zog seinen Bogen und schoss. Der Pfeil bohrte sich in den puppenartigen Körper und warf ihn ein Stück zurück. Ich sprang vor, hob meine Axt und versetzte der Luft einen derart gehörigen Hieb, dass sie sich um den Zombie stark verdichtete und ihn ein weiteres Bisschen aufhielt. Ganz bestimmt. Ich weiß es. Der Waldläufer erledigte den Zombie mit einem Weiteren Pfeil und wandte sich erneut dem toten Kobold zu. Dieser hatte offenbar überhaupt keine Lust mehr auf seine Bewegungslosigkeit, stand auf und brezelte dem Schurken eins über. Dabei hatte er, wie der Rest der Gruppe auch, nicht die geringste Ahnung, dass es sich um einen Schurken handelte. Ich versuchte mich ein zweites Mal im Zombie-Zweiteilen und dieses Mal hatte ich Erfolg. Der Schurke erledigte den Rest mit seinem Kurzschwert und musste sich danach erstmal an die Höhlenwand lehnen. Der Eulenelf bot ihm einige Beeren an. Diese beiden verband offenbar das innige Band des Essenteilens. Und tatsächlich sah der Kartenspielermensch danach schon viel besser aus.
Wir gingen weiter. Der Bierelf schlich voraus. Nach kurzer Zeit hörten wir einen Aufschrei und Schritte. Wir eilten ihm nach. Er stand im Eingang zu einer weiteren Höhlenausbuchtung. Im Inneren torkelten zwei Zombies in unsere Richtung. Der Eulenfrüchteelf murmelte ein paar sehr seltsam klingende Worte. Vor uns kamen Wurzeln aus der Erde, die sich um die Beine der beiden Untoten legten. Oder zumindest um das, was von den Beinen übrig war. Einer schaffte es trotzdem bis zu uns. Er schlug nach dem Waldläufer. Ich enthauptete ihn (den Zombie, nicht den Waldläufer). Aber das Ding torkelte trotzdem weiter durch die Gegend. Das Kurzschwert des Schurken überlebte“ er dann aber doch nicht. Mit dem zweiten Zombie spielten wir Dart. Zumindest vier von uns. Der rote Magier spielte „Wie versenke ich einen Bolzen am besten in der Höhlendecke, damit ich die anderen störe?“. Er war sehr gut in diesem Spiel. Das schien aber auch das einzige zu sein, worin er gut war, außer im Auffällig sein. Als sich die Wurzeln wieder in die Erde verzogen hatten, sahen wir uns um. Wir fanden Gold, Silber und nach ein wenig Teamarbeit auch eine Schatulle mit einem Amulett und einem Trank. Das waren die wichtigen Dinge. Außerdem fanden wir noch den Schmied. Tot. Der Kerl hatte es doch tatsächlich gewagt, zu sterben, ohne vorher mit mir über meine Axt geredet zu haben. Ich nahm das persönlich und versetzte ihm einen Fußtritt. Die Belohnung für seinen Fund haben wir dann dennoch gekriegt, als wir wieder in der Stadt waren. Wenigstens etwas. Also werde ich doch in die nächst größere Stadt müssen, um jemanden zu finden, der die Legende kennt. Ich könnte auch einfach den Magier fragen, die sollen ja angeblich so überaus viele Bücher gelesen haben. Aber der hat so komische Sachen an. Und eine Feder. Und eine Schlange hat er auch. Außerdem sieht er nicht so aus, als würde er sich mit Waffen auskennen. Nein, lieber frage ich Bane persönlich, wo er das verdammte Ding verloren hat.
Als wir am Abend in der Taverne zusammen saßen, habe ich sie aber noch alle nach ihren Namen gefragt. Damit ich das nächste Mal nicht wieder mit so idiotischen Hilfsnamen arbeiten muss.
Wirklich super. Ich hatte die Spur verloren. Der greise Mensch in Tilverton, der mich in die Dalelands geschickt hatte, war mir gleich etwas verwirrt vorgekommen. Aber er war der einzige gewesen, der sich an die Legende erinnert hatte. Und jetzt stand ich hier. Im sagenumwobenen Battledale, in dem einst so viel Schlachtlärm tobte, dass es sich Oropax besorgte. Der Schlachtlärm war beleidigt ob solcher Ignoranz und zog woanders hin. Seitdem war es sehr ruhig in der kleinen Stadt. Es hätte mich nicht gewundert, wenn der Wachposten einen Herzinfarkt bekommen hätte und von seinem Turm heruntergefallen wäre, als er mich sah. Aber er schlief. Elender Glückspilz. Ich hätte zu gern sein Gesicht gesehen.
Der Tag war noch jung, als ich auf dem Marktplatz eintraf. Eine gute Zeit, um den hiesigen Schmied aufzusuchen und mit ihm ein wenig über alte Legenden zu plaudern. Vielleicht hatte ich Glück und die Dalelands waren doch geschichtsträchtiger, als sie einem beim ersten Blick weismachen wollten. Ich fragte nach dem Schmied. Man sagte mir, er sei gerade nicht in der Stadt. Im Außendienst tätig. Na großartig. Genau das brauchte ich jetzt. Mitten im Niemandsland in einer Stadt, die keine war und das einzige, was ich hier wollte, sprang gerade auf einem Vertriebsbesuch in der nächst besten Stadt herum. Ich beschloss, dass es höchste Zeit für ein Bier wurde. Oder zumindest für etwas, dass im Entferntesten an eins erinnerte. Die Menschen konnten einfach kein Bier brauen. Lag wahrscheinlich an ihrer Größe. Dort oben entwickelten die Geschmacksnerven Höhenangst und durften nicht überfordert werden. Aber vielleicht waren ja ein paar Wachleute in der Taverne. Und wo Wachleute und Alkohol waren, war die nächste Kneipenschlägerei nicht weit. Bei diesem Gedanken ging es mir schlagartig besser und liebevoll betrachtete ich das schräg hängende Schild mit einem Bierkrug drauf. Hier gehörte ich hin.
Im Innenraum klappte mir erst einmal die Kinnlade herunter. Metaphorisch natürlich. Der zwergische Körper ist ein krankhafter Kontrollfreak und erlaubt keine unwillkürlichen Bewegungen. „Nein!“ sagten meine Augen und wurden groß wie goldene Schokoladentaler. Wen erwartet man an einem schönen, sonnigen Tag vormittags in einer Taverne? Wachleute vielleicht. Die waren da. Zwei Stück. Und sie becherten fleißig. Nichts Besonderes. Und ansonsten hätten die Tische der Taverne eigentlich leer sein sollen. Waren sie aber nicht. Da saß ein blauhaariger Elf, der Bier trank. Richtig. Ein Elf. Mit blauen Haaren. Und Bier. So wahr ich hier stehe. ER HAT SOGAR DARAN GENIPPT. Ich stand völlig paralysiert da. Wenn ich das zu Hause erzählte, würden mich alle für völlig durchgeknallt halten. Aber ich hatte nicht vor, das zu Hause zu erzählen, also fing ich lauthals an zu lachen. Ein Elf, der Bier trank. Das war ungefähr so wie ein Bär, der versuchte, eins dieser Blümchenmuster zu sticken, die alte Zwerginnen so oft an der Wand hängen hatten. Oder ein männlicher Orc im Korsett. Ein Ochse, der das berühmte Bardenlied vom großen blauen Kleid muhen wollte. Mir fielen ungefähr ein Bergwerk voll mit Dingen ein, die stilvoller aussahen als ein Elf mit einem Bierkrug in der Hand. Er nahm mein Gelächter mit Fassung. Als meine Tränen getrocknet waren, sagte er ganz trocken: „Du bist nicht zur Tür herein gekommen.“
Verdutzt drehte ich mich um. Tatsächlich. Ich konnte mich nicht erinnern, das morsche Stück Holz passiert zu haben. Aber wie sollte ich sonst hier hineingekommen sein? Ich steckte in einem zwergischen Dilemma. Je Sekunde, die man Moradin in seinem Leben nicht erklären konnte, kriegte man ein Bier im Jenseits weniger. Und das war göttliches Zwergenbier. Das durfte nicht sein. Ich ging noch einmal hinaus. Diesmal zog ich bewusst am Handring der Tür, als ich vorsichtig wieder hineintappte. Ich bat Moradin, ein Auge zuzudrücken. Man lief schließlich nicht ständig Elfen über den Weg, die Bier tranken. An dieser Stelle betraten meine Gedanken das Laufrad im Käfig. Ich war so mit dem Elf beschäftigt gewesen, dass ich die zweite Person im Raum nicht wahrgenommen hatte. Und den Menschenmagier nicht zu sehen, musste eine Meisterleistung meines Gehirns gewesen sein. Er saß mitten im Raum, war ganz in rot gekleidet, trug einen Hut mit einer riesigen Feder und lächelte mir zu. Jemand schloss zwei gegenpolarisierte Dioden an das Laufrad an und betätigte einen Schalter. Als mein Gehirn wankend aus dem Laufrad kippte, saß ich mit einem Bier in der Hand am Tisch des Elfen. Brave Zunge. Die wusste auch ohne Gehirn, was gut für sie war. Ich beschloss den Magier ins Reich der „Gesehen, aber Existenz noch nicht bewiesen“-Dinge zu stecken. Dort konnte er lustig in der Gegend herumtollen und hatte mit dem Potcookiemonster und dem rosa Einhorn Charlie bestimmt willige Gefährten zum Spielen.
Ich musterte den Elf genauer. Er war in Leder gekleidet und trug einen Bogen bei sich. Seine Gesichtszüge waren für ein Langohr erstaunlich mild. Ich fragte ihn, was er hier trieb. Er antwortete in einem freundlichen, wohlklingenden Satz. Die Worte sagten, dass er ein wenig durch die Gegend reiste, um die Welt kennen zu lernen. Die Pausen zwischen den Worten ergaben einen Code. Wenn man ihn richtig zusammensetzte, hieß er: „Das erzähl’ ich nicht jedem dahergelaufenen Zwerg.“ Ich seufzte. Er schien zu merken, dass er nicht der erste Elf war mit dem ich redete und erzählte mir als Konversationsangebot noch, dass das einzig Interessante, was es in dieser Stadt im Moment zu berichten gab, das Verschwinden des Schmiedes sei. Da wurde ich hellhörig. „Ich dachte, er sei auf Reisen?“. „Er hätte schon längst wieder zurück sein müssen. Das sagte zumindest der Wirt.“ Ich ging vor zur Theke und kletterte auf einen Barhocker. Ich fragte den Wirt, wo denn der Schmied hin wollte, erhielt aber nur die gelangweilte Antwort, ich solle doch mal beim Wachturm nachfragen. Auch gut, die Filtereinheit meines Gehirns war nämlich langsam überfordert damit, den roten Magier auszublenden. Aber bevor ich die Taverne verlassen konnte, betraten zwei neue Gestalten den Raum. Ich entschuldigte mich offiziell bei der Stadt Battledale, dass ich sie als langweiliges Kaff abgestempelt hatte. Wen man hier am frühen Mittag in der Taverne traf, war wirklich nicht zu glauben. Ein zweiter Elf schritt zur Tür hinein und sah sich um. Ihm folgte ein gewöhnlich aussehender Mensch im Lederpanzer. Ein Schurke. Was aber niemand wusste. Ich richtete mich erwartungsvoll auf. Es waren nicht mehr genug Tische da, damit jeder sich an einen einzelnen setzen konnte. Was hieß, dass es bestimmt gleich spaßig wurde. Aber die beiden Neuankömmlinge enttäuschten mich. Sie setzten sich gemeinsam an einen Tisch und spielten Karten. Wie überaus langweilig. Ich bezahlte mein Bier und ging zum Wachturm.
Als ich zurückkam, stand der Magier vor der Tavernentür. Ich schaltete auf Tunnelblick und schlängelte mich an ihm vorbei. Der Typ war mir unheimlich. Drinnen hatte sich das Bild geändert. Die beiden Neuankömmlinge von vorhin teilten sich gerade eine kleine, seltsam aussehende Frucht. Und der Bierelf versuchte verzweifelt mit seinen verschachtelten Sätzen und seiner hochkorrekten Aussprache aus den beiden betrunkenen Wachleuten irgendeine Information herauszubekommen. Als ich näher trat, drehte er sich um. „Was sagt der Kommandant?“ – „Dass wir eine Belohnung bekommen, wenn wir den Schmied finden“ teilte ich triumphierend mit. „Sehr gut. Wo ist er denn?“ – Mein Gehirn suchte sich die nächst gelegene Tischkante. „Dazu wollte er sich vorläufig noch nicht genau äußern.“ Die Pausen zwischen den Worten ergaben einen Code. Wenn man ihn richtig zusammensetzte, hieß er: „Das hab ich vergessen zu fragen, Langohr und wenn du mich darauf ansprichst, bist du einen Kopf kürzer.“ Für einen Elf bewies er wirklich ausgezeichnetes Taktgefühl und schlug vor, dass wir noch einmal gemeinsam zum Wachturm gingen. Der Magier sei mittlerweile auch involviert, da er ein Abenteuer hinter dem Ganzen wittere (typisch Menschen…). Bei dem Wort „Belohnung“ war der Exotik-Frucht-Kartenspieler-Mensch (von dem wir nicht wussten, dass er ein Schurke war) aufmerksam geworden und hatte gefragt, worum es denn ginge. Wir erklärten es ihm und er bot an, mit uns zu kommen. Sein Mitspieler wusste auch nichts Besseres zu tun und so standen wir zu fünft auf der Matte des Kommandanten. Der Schmied sei vor zwei Wochen nach Timberdale gereist. „Das hätte er mir auch beim ersten Mal sagen können“ knurrte ich meiner Axt zu und verließ den Raum wieder.
Timberdale lag ungefähr eine halbe Tagesreise von Battledale entfernt. Die Straße war eher wegig als straßig, aber das kümmerte sie nicht, weil Attribute im Straßenwahrnehmungsspektrum noch hinter kleinen pelzigen Exotikfrüchten stehen. Uns war es auch herzlich egal, da wir zu Fuß unterwegs waren. Nach einiger Zeit hörten wir eigenartige Geräusche. Es klang, als hätte jemand einen Hund unter den Schmiedehammer gelegt. Als wir näher kamen, sahen wir, dass es ein singender Kobold war. Der Bierelf und der Exotik-Frucht-Kartenspieler-Mensch (der in keinster Weise erkennen ließ, dass er ein Schurke war) schlichen näher heran. Ich blieb hinten, da vor tausenden von Jahren eine Fehde zwischen meiner Rüstung und dem Klan der lautlosen Bewegungen ausgebrochen war. Die Auswirkungen waren bis in die Gegenwart spürbar. Elende Nostalgiker. „Tu es nicht!“ Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen. Die Worte kamen aus dem Mund des roten Magiers. Ich folgte seinem Blick. Der Bierelf war gerade dabei, den Kobold zu erschießen. Oder wäre dabei gewesen, wenn der nicht - durch den Schrei aufgeschreckt – auf der Stelle verschwunden wäre. Ein elfischer Fluch ertönte. Ich wartete gespannt auf den folgenden Disput. Wenn Elfen sauer wurden, wurde es immer lustig. Aber es passierte überhaupt nichts. Der Bier- und Bogenelf knurrte etwas in sich hinein und untersuchte den Ritualplatz des Kobolds. Er fand Spuren, die in den Wald hinein führten. Er schien eine Art Waldläufer zu sein, wenn es so etwas bei Elfen gab. Er schlug vor, den Spuren zu folgen. In der nun folgenden Diskussion, ob das denn hilfreich dabei sei, den Schmied zu finden, kam ich voll auf meine Kosten. Zwar fielen keine echten Schimpfworte, aber 10 Minuten lang Wahrscheinlichkeiten gegeneinander abzuwägen, ob der Schmied nun von den Kobolden oder doch erst in Timberdale verschleppt worden war, war äußerst amüsant. Zumal nun auch der Magier damit begann, sein volles Komplexsprachenprogramm auszupacken. Ich glaube, es gab in diesem Gespräch keinen Satz, der unter 30 Worte zählte. Ich saß da, glücklich wie ein Honigkuchenpferd.
Leider einigte man sich schließlich. Ein lauter Pfiff ertönte und der Himmel verdunkelte sich. Ein kühler Luftzug fuhr über unsere Köpfe und vor uns landete eine riesige Eule. Sie flog auf den Exotik-Frucht-Elfen zu und ließ sich streicheln. Dieser nickte in Richtung des Pfades. Sie flog los und kehrte nach kurzer Zeit zurück. Ihre Augen leuchteten. „Da ist irgendetwas“ sagte der Elf. Also folgten wir dem Pfad. Wir erreichten eine Höhle. Eine sehr seltsame Höhle. Trotz dass ich im Dunkeln eigentlich ganz gut sehe, blieb dort alles schwarz für mich. Es schien eine Art magische Dunkelheit zu sein, ich fühlte mich sowieso etwas mulmig. Wir bauten uns behelfsmäßige Fackeln und traten in die Dunkelheit. Auf dem Boden ließen sich Blutspuren ausmachen. Bald fanden wir die dazugehörige Leiche. Der Waldläufer beugte sich hinab, um sie zu untersuchen. Im Höhleninneren hörten wir ein Fauchen. Etwas, das schwer untot aussah, torkelte auf uns zu. Der Bierelf zog seinen Bogen und schoss. Der Pfeil bohrte sich in den puppenartigen Körper und warf ihn ein Stück zurück. Ich sprang vor, hob meine Axt und versetzte der Luft einen derart gehörigen Hieb, dass sie sich um den Zombie stark verdichtete und ihn ein weiteres Bisschen aufhielt. Ganz bestimmt. Ich weiß es. Der Waldläufer erledigte den Zombie mit einem Weiteren Pfeil und wandte sich erneut dem toten Kobold zu. Dieser hatte offenbar überhaupt keine Lust mehr auf seine Bewegungslosigkeit, stand auf und brezelte dem Schurken eins über. Dabei hatte er, wie der Rest der Gruppe auch, nicht die geringste Ahnung, dass es sich um einen Schurken handelte. Ich versuchte mich ein zweites Mal im Zombie-Zweiteilen und dieses Mal hatte ich Erfolg. Der Schurke erledigte den Rest mit seinem Kurzschwert und musste sich danach erstmal an die Höhlenwand lehnen. Der Eulenelf bot ihm einige Beeren an. Diese beiden verband offenbar das innige Band des Essenteilens. Und tatsächlich sah der Kartenspielermensch danach schon viel besser aus.
Wir gingen weiter. Der Bierelf schlich voraus. Nach kurzer Zeit hörten wir einen Aufschrei und Schritte. Wir eilten ihm nach. Er stand im Eingang zu einer weiteren Höhlenausbuchtung. Im Inneren torkelten zwei Zombies in unsere Richtung. Der Eulenfrüchteelf murmelte ein paar sehr seltsam klingende Worte. Vor uns kamen Wurzeln aus der Erde, die sich um die Beine der beiden Untoten legten. Oder zumindest um das, was von den Beinen übrig war. Einer schaffte es trotzdem bis zu uns. Er schlug nach dem Waldläufer. Ich enthauptete ihn (den Zombie, nicht den Waldläufer). Aber das Ding torkelte trotzdem weiter durch die Gegend. Das Kurzschwert des Schurken überlebte“ er dann aber doch nicht. Mit dem zweiten Zombie spielten wir Dart. Zumindest vier von uns. Der rote Magier spielte „Wie versenke ich einen Bolzen am besten in der Höhlendecke, damit ich die anderen störe?“. Er war sehr gut in diesem Spiel. Das schien aber auch das einzige zu sein, worin er gut war, außer im Auffällig sein. Als sich die Wurzeln wieder in die Erde verzogen hatten, sahen wir uns um. Wir fanden Gold, Silber und nach ein wenig Teamarbeit auch eine Schatulle mit einem Amulett und einem Trank. Das waren die wichtigen Dinge. Außerdem fanden wir noch den Schmied. Tot. Der Kerl hatte es doch tatsächlich gewagt, zu sterben, ohne vorher mit mir über meine Axt geredet zu haben. Ich nahm das persönlich und versetzte ihm einen Fußtritt. Die Belohnung für seinen Fund haben wir dann dennoch gekriegt, als wir wieder in der Stadt waren. Wenigstens etwas. Also werde ich doch in die nächst größere Stadt müssen, um jemanden zu finden, der die Legende kennt. Ich könnte auch einfach den Magier fragen, die sollen ja angeblich so überaus viele Bücher gelesen haben. Aber der hat so komische Sachen an. Und eine Feder. Und eine Schlange hat er auch. Außerdem sieht er nicht so aus, als würde er sich mit Waffen auskennen. Nein, lieber frage ich Bane persönlich, wo er das verdammte Ding verloren hat.
Als wir am Abend in der Taverne zusammen saßen, habe ich sie aber noch alle nach ihren Namen gefragt. Damit ich das nächste Mal nicht wieder mit so idiotischen Hilfsnamen arbeiten muss.