Thomas Doll, der Traineraufsteiger des Jahres, gewährt vor dem Spiel des HSV heute in Bremen Einblicke in sein Privatleben, seine Arbeitsmethoden und seine Zukunftsplanung
Mit der Übernahme des Traineramtes durch Thomas Doll, 39, im Oktober 2004 begann der Höhenflug des HSV. Der gebürtige Mecklenburger sieht sich dennoch nicht in der Gefahr, "wegen Größenwahn aus dem Gleichgewicht" zu geraten.
Welt am Sonntag: Herr Doll, ein ungewöhnlich erfolgreiches Jahr liegt hinter Ihnen. Was war der bewegendste Moment?
Thomas Doll: Unser Besuch auf der Kinderkrebsstation in Eppendorf vor zwei Wochen. Wir waren mit der Mannschaft da, ohne Fotografen und Presse, weil wir das aus dem tiefsten Inneren tun wollten. Als ich danach nach Hause kam, waren die Eindrücke so bewegend, daß ich meine Tochter zwanzig Minuten nicht mehr aus dem Arm gelassen habe.
Ihre Olivia. Fahren Sie die immer noch jeden Tag zur Schule?
Doll: Jeden Tag, das ist mein Ritual. Ich liebe den Kontakt mit den Kindern, Lehrern und Eltern.
Besuchen Sie Elternabende?
Doll: Natürlich, ich bin voll dabei. Das ist für mich schon deshalb wichtig, um mal aus dem Umfeld unserer Branche rauszukommen. Als Trainer stehst du immer im Mittelpunkt und hast das Gefühl, daß sich das ganze Leben nur um Fußball dreht. Das möchte ich nicht. Mein Tagesablauf ist deswegen bewußt normal gehalten. Ich bin zu Hause dafür zuständig, daß morgens alle aus dem Bett kommen. Ich mache das Frühstück, gehe mit dem Hund Gassi und liefere die Kleine im Klassenraum ab. Erst auf der Autobahn fange ich an, auf Fußball umzuschalten.
Müssen Sie nicht schon im Klassenraum den Trainer geben?
Doll: Ich bin dort der Papa. Am Anfang war auf dem Korridor natürlich Rummel. "Ey, guck mal, da ist Thomas Doll". Autogramme, Händeschütteln, das ganze Programm. Aber weil ich jeden Tag da bin, ist Normalität eingetreten. Das ist mir auch extrem wichtig. Ich möchte, daß meine Kleine normal aufwächst und nicht die Tochter eines Prominenten ist. Sie ist eine eigene Persönlichkeit, und so soll sie auch gesehen werden.
Dabei ist sie jetzt sogar Tochter des "Hamburger des Jahres", zu dem Sie gerade gekürt wurden. Überrascht Sie so eine Wahl noch?
Doll: Ich denke in solchen Momenten, daß andere Sportler das viel eher verdient hätten. Aber bei uns im Verein ist ein großer Wandel vollzogen worden, seit ich Trainer bin. Das weiß ich natürlich. Aber ich weiß auch, daß es nicht nur an einer Person liegt, sondern viele daran beteiligt sind. Ich kann deswegen ganz gut für mich die Balance finden und gerate nicht wegen Größenwahn aus dem Gleichgewicht. Sehen Sie, ich komme zwei Mal im Monat in die Stadt, ansonsten laufe ich mit Gummistiefeln in Quickborn rum.
Hat Sie der Rummel um Ihre Person dennoch verändert?
Doll: Ich sehe meine Position als sehr wichtig an, nehme mich aber selbst nicht so wichtig. Ich frage meine Frau und Freunde oft, ob Sie an mir Veränderungen feststellen. Sie bescheinigen mir, daß ich der Alte geblieben bin, der für alle ein offenes Ohr hat.
Würden Sie es trotzdem gelten lassen, wenn wir Sie zum Trainer des Jahres erheben würden?
Doll: Ja, gern. Die gute Phase beim HSV ist ja gekommen, nachdem ich Trainer wurde. Aber auch jeder Spieler ist in diesem Jahr als Persönlichkeit gereift, das ist schön zu sehen. Denn ich bin zwar Trainer einer Mannschaft. Aber ich möchte ihnen auch außerhalb des Fußballs etwas mit auf den Weg geben.
Weil Ihnen das als Spieler niemand angedeihen ließ?
Doll: Genau. Ich mußte selbst meinen Weg finden, wie man durchs Leben gehen kann.
Mit welchen Stichworten treten Sie als Ratgeber an die Spieler heran?
Doll: In erster Linie sind das Respekt und Glaubwürdigkeit.
Müssen Sie als Trainer selbst noch viel dazulernen?
Doll: Ja, ganz klar. Ich habe 13 verschiedene Nationalitäten im Team, da muß ich mich immer wieder ganz neu reinversetzen. Aber ich habe mir immer Spielraum gelassen, Verantwortung abgegeben an die Spieler und ans Trainerteam. Ich stelle mich nicht jede Woche hin und lasse das Gewicht kontrollieren. Die Jungs wissen mittlerweile, wie ich ticke. Wenn einer nicht fit ist, dann spielt er nicht. Das wurmt jeden, denn jeder will in diesem Topteam dabeisein.
Predigen Sie deshalb, daß Ihre Spieler sich in Demut üben sollen?
Doll: Das hat einen anderen Grund. Wir erleben jetzt eine Phase, wo die Euphorie sehr groß ist. Aber jeder soll sich immer daran erinnern, wo er herkommt. Jeder soll sich in seine Kindheit zurückversetzen, wie er sich auf den Bolzplätzen durchboxen mußte. Jeder ist aufgefordert, sich bewußt zu machen, wie gut es uns geht.
Tritt da nicht irgendwann ein Ermüdungseffekt ein?
Doll: Nur Wiederholung schafft Wahrheit und Klarheit. Aber ich habe in den vergangenen zwei Monaten ohnehin keine Sitzung mehr abhalten müssen, um an unser Ziel zu erinnern. Den Jungs ist das in Fleisch und Blut übergegangen, wir haben uns nicht mal am Tag vor Spielen zusammensetzen müssen. Die Jungs können den Abend so gestalten, wie sie möchten.
Ist diese freigeistige Haltung auch charakteristisch für Ihre Philosophie eines guten Spiels?
Doll: Es gibt natürlich taktische Vorgaben, die jeder in erster Linie zu erledigen hat. Wir denken ergebnisorientiert. Aber jeder Spieler soll seine Individualität zum Tragen bringen können. Das ist für mich moderner Fußball.
Und was macht den modernen Trainer aus?
Doll: Keine Ahnung. Es gibt Trainer, die ziehen ihren Stil seit Jahrzehnten erfolgreich durch. Und es gibt welche, die für alles offen sind. Für mich persönlich ist wichtig, daß ich unberechenbar bleibe. Daß ich beispielsweise nach einem schlechten Spiel nicht immer Frustabbau auf dem Trainingsplatz betreibe, sondern einen Wellnesstag anordne. Daß ich Respekt vor dem Gegner habe, wir uns aber in erster Linie auf uns konzentrieren. Die Spieler müssen sich wohl fühlen, das unterscheidet wohl eine gute und schlechte Mannschaftsführung.
Wer in der Bundesliga genießt Ihren Respekt?
Doll: Bremen und die Leistungen meines Kollegen Thomas Schaaf. Seine Arbeit finde ich bemerkenswert. Er ist für mich schon ein kleines Trainervorbild. Vor allem, wie er Fußball spielen läßt.
Offensiv, ganz nach dem Geschmack der Fans.
Doll: Einfach klasse. Er hat natürlich auch klasse Spieler.
In der Tabelle haben Sie Werder überholt. Hätten Sie gedacht, daß es so schnell gehen würde?
Doll: Nein, nur gehofft, weil wir gute Einkäufe getätigt haben.
Dennoch soll beim HSV bloß keiner vom Titelkampf mit Bayern München reden.
Doll: Es wäre nicht fair, uns mit Bayern zu vergleichen. Die spielen jedes Jahr gegen Chelsea, Madrid, Juve. Wir haben jetzt gerade mal eine Phase hinter uns mit Prilep oder Olmütz. Ein Spiel im Uefa-Cup wie gegen Kopenhagen war für uns ein Highlight. Aber Kopenhagen ist noch lange nicht Chelsea. Man sollte uns in Ruhe wachsen lassen. Den Druck machen wir uns schon selber.
Machen Sie Druck auf den HSV, daß er Ihnen einen langfristigen Vertrag anbietet? Bremen hat mit Schaaf gerade bis 2008 verlängert.
Doll: Ich schaue nicht so weit nach vorn. Das beste Beispiel haben wir doch in dieser Woche vor Augen geführt bekommen. Ein Trainer, der eine Mannschaft in die Champions League geführt hat, ist auf einmal einen Spieltag vor Ende der Hinrunde nicht mehr da.
Sie sprechen von Ralf Rangnick, der von Schalke 04 entlassen wurde.
Doll: Ich maße mir nicht an, über Schalke zu urteilen. Ich will damit nur aufzeigen, wie schnellebig dieses Geschäft ist.
Bei Ihnen deutet nichts auf eine unehrenhafte Entlassung hin.
Doll: Nein, das ist richtig. Ich habe jedoch 24 Jahre im Osten gelebt. Ich durfte also nicht viele Entscheidungen selbst treffen. Eines weiß ich deshalb: Was immer auch geschieht, ich werde entscheiden, was in meinem Leben passiert. Kein Verein, keine Presse, kein anderer. Denn das habe ich 24 Jahre lang mitgemacht.
Artikel erschienen am 18. Dezember 2005
welt am sonntag
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Ein unglaublich sympathischer Typ!