Aus der taz von gestern:
Negative Motivation
Immer wieder verpflichtet die deutsche Radsportgruppe T-Mobile teure Stars, die dann nicht halten, was man sich von ihnen versprochen hat. Es fehlt jeglicher Teamgeist und die lähmenden Strukturen könnten Jan Ullrich ein weiteres Mal ausbremsen
VON SEBASTIAN MOLL
Die Reaktion beim Team T-Mobile auf den Sieg beim Giro d'Italia von Paolo Savoldelli war typisch für den Stil des magentafarbenen Hauses. Sportdirektor Mario Kummer machte alte Rechnungen auf: "Savoldelli ist für uns in zwei Jahren ganze zehn Rennen gefahren", nörgelte er. "Wir haben ihm sein Gehalt während seiner Verletzungen weiter bezahlt - und trotzdem hat er sich unser neues Angebot nicht einmal angeschaut, als sein Vertrag auslief."
Das beleidigte Gepampe aus dem T-Mobile-Lager war einerseits höchst unsportlich. Andererseits hatte Kummers Eindruck, betrogen worden zu sein, auch einen wahren Kern. Savoldelli fühlte sich unwohl bei T-Mobile, die Mannschaft bot dem Giro-Sieger von 2002 kein Umfeld, in dem er sich hätte entfalten können. Und so war sein Desinteresse an einer Weiterbeschäftigung beim Bonner Rennstall eine kaum verhohlene Kritik an den Zuständen beim Team von Jan Ullrich. In den vergangenen Jahren ist deutlich geworden, dass T-Mobile nicht eben eine Truppe ist, bei der Radprofis aufblühen. Die Liste der T-Mobile-Versager ist lang. Der Kolumbier Santiago Botero kam als Tour-Bergkönig und als Zeitfahr-Weltmeister zu T-Mobile. In seiner Bonner Zeit konnte er kaum mit dem Feld mithalten. Kaum war er bei einer anderen Mannschaft, gewann er wieder Rennen, zuletzt die Königsetappe und das Zeitfahren bei der Dauphiné Libéré. Dem Amerikaner Bobby Julich, Tour-Dritter von 1998, erging es ähnlich - nur Monate nachdem er ein anderes Trikot anzog, konnte er wieder Rad fahren, gewann in diesem Jahr die Mittelmeer-Rundfahrt sowie Paris-Nizza. Nachwuchsfahrer wie David Kopp und Stefan Schumacher kamen mit großen Erfolgen in der Jugend zu T-Mobile - und verschwanden in der Versenkung. Raphael Schweda, Sportdirektor der kleinen Akud-Mannschaft, warnte deshalb seinen 18 Jahre alten deutschen Überraschungsmeister Gerald Ciolek davor, bei T-Mobile zu unterschreiben: "Die hatten schließlich schon viele Talente, die besser wurden, als sie wieder weg waren."
Das berühmteste davon ist Jan Ullrich. Im Jahr 2003, dem Jahr, in dem er nicht für T-Mobile fuhr, bestritt er seine beste Tour seit 1997. Zurück im Magenta-Trikot war 2004 jedoch alles wieder beim Alten, was heißt: eine schlampige Vorbereitung und eine Tour-Vorstellung weit unter seinen Möglichkeiten. Und ob Ullrich sich ausgerechnet in diesem Jahr von den lähmenden Strukturen freischwimmen kann, ist ausgesprochen zweifelhaft. Doch was ist es, das Sportler bei T-Mobile hindert, ihre Möglichkeiten auszuschöpfen? Auf der Suche nach einer Antwort lohnt es sich, in das Jahr 1997 zurückzugehen. In jenem Jahr war bei der Tour eine echte Mannschaft am Start, jene Gruppe junger Deutscher um Erik Zabel, Jens Heppner, Udo Bölts, Christian Henn und Rolf Aldag, die sich gemeinsam von der Drittklassigkeit in die Weltklasse hochgekämpft hatte. Und das Team hatte in Bjarne Riis einen charismatischen und willensstarken Anführer. Auch wenn Riis 1997 dem überwältigend starken Ullrich den Vortritt lassen musste - der Däne hielt bei Telekom noch immer die Zügel in der Hand.
Danach wurde alles anders. Riis war weg und setzte seine modernen Trainingsmethoden sowie sein Charisma für seine eigene Mannschaft ein. Der Telekom-Konzern indes pulverte ordentlich Geld in die Mannschaft. Damit wiederum wuchs der Druck, fortan jedes Jahr die Tour gewinnen zu müssen - und die Mannschaftsleitung gab ihn einfach an die Fahrer weiter. Teamchef Walter Godefroot ist ein flämischer Rennfahrer der alten Schule - Dinge wie Motivation oder Teambuilding sind für ihn mehr oder weniger Kokolores. Godefroot kaufte viele und teure Fahrer ein und erwartete, dass diese für ihr Geld Leistung bringen. Wie, das ging ihn nichts an.
Die Abwesenheit von Riis als Leader wurde immer deutlicher spürbar. Der alte Mannschaftskern fiel auseinander. Männer mit unschätzbarem Wert für das Gefüge wie Bölts oder Heppner hatten es von Jahr zu Jahr schwerer, überhaupt in das Aufgebot zu kommen. Ullrich, dem Star, fehlten die Fähigkeit und die Persönlichkeit, eine Mannschaft zu leiten oder gar mitzureißen.
Die Führungslosigkeit führte letztlich zu dem vorhersehbaren Zerwürfnis zwischen Godefroot und Rudy Pevenage. Godefroot fand, man müsse Ullrich unter Druck setzen, und tat dies vor allem über die Presse. Pevenage fand, dass man sich um den Star kümmern müsse und ihn verhätscheln. Beiden fehlten jedoch die Energie und letztlich auch der Intellekt von Männern wie Bjarne Riis und dem Chef von Armstrongs Discovery-Truppe, Johan Bruyneel.
Wie dysfunktional die Mannschaft ist, zeigt sich schon an dem merkwürdigen Führungskonstrukt seit der Rückkehr von Ullrich. Pevenage ist Angestellter von Ullrich, nicht von T-Mobile. Er spricht nur via Kummer mit Godefroot - Kummer wiederum sitzt zwischen allen Stühlen. Godefroots designierter Nachfolger Olaf Ludwig mischt auch irgendwie mit. Im Zentrum dieses hierarischen Chaos steckt Ullrich, der bei seiner Rückkehr der Mannschaft seine Bedingungen diktieren konnte. Darüber ist wiederum Godefroot verbittert. Das Ergebnis ist eine merkwürdig gedrückte, beinahe paranoide Atmosphäre im Team. Die Motivation ist weitgehend negativ, Fahrer bekommen Druck, wenn sie etwas falsch machen, ansonsten sind sie sich selbst überlassen. Vor allem aber: Es gibt keinen Mannschaftsgeist, der sie trägt. Wer ehrgeizig ist, wie Savoldelli, Botero oder Julich, geht, sobald er kann.
Nur dickhäutige Fahrer bleiben von dieser Atmosphäre unberührt. Zabel war schon immer unabhängig, und auch Alexandre Winokourow ließ sich nie beirren. Als er zu Beginn der Tour 2003 ankündigte, er wolle aufs Podium, erschrak Walter Godefroot. Das war nicht abgesprochen. Winokourow wurde Dritter und Godefroot machte gute Miene zum bösen Spiel. In diesem Jahr hat Winokourow gesagt, er wolle versuchen zu gewinnen, wenn er sich stärker fühle als Ullrich. Das sollte man bei T-Mobile ernst nehmen.
truth hurts...
Negative Motivation
Immer wieder verpflichtet die deutsche Radsportgruppe T-Mobile teure Stars, die dann nicht halten, was man sich von ihnen versprochen hat. Es fehlt jeglicher Teamgeist und die lähmenden Strukturen könnten Jan Ullrich ein weiteres Mal ausbremsen
VON SEBASTIAN MOLL
Die Reaktion beim Team T-Mobile auf den Sieg beim Giro d'Italia von Paolo Savoldelli war typisch für den Stil des magentafarbenen Hauses. Sportdirektor Mario Kummer machte alte Rechnungen auf: "Savoldelli ist für uns in zwei Jahren ganze zehn Rennen gefahren", nörgelte er. "Wir haben ihm sein Gehalt während seiner Verletzungen weiter bezahlt - und trotzdem hat er sich unser neues Angebot nicht einmal angeschaut, als sein Vertrag auslief."
Das beleidigte Gepampe aus dem T-Mobile-Lager war einerseits höchst unsportlich. Andererseits hatte Kummers Eindruck, betrogen worden zu sein, auch einen wahren Kern. Savoldelli fühlte sich unwohl bei T-Mobile, die Mannschaft bot dem Giro-Sieger von 2002 kein Umfeld, in dem er sich hätte entfalten können. Und so war sein Desinteresse an einer Weiterbeschäftigung beim Bonner Rennstall eine kaum verhohlene Kritik an den Zuständen beim Team von Jan Ullrich. In den vergangenen Jahren ist deutlich geworden, dass T-Mobile nicht eben eine Truppe ist, bei der Radprofis aufblühen. Die Liste der T-Mobile-Versager ist lang. Der Kolumbier Santiago Botero kam als Tour-Bergkönig und als Zeitfahr-Weltmeister zu T-Mobile. In seiner Bonner Zeit konnte er kaum mit dem Feld mithalten. Kaum war er bei einer anderen Mannschaft, gewann er wieder Rennen, zuletzt die Königsetappe und das Zeitfahren bei der Dauphiné Libéré. Dem Amerikaner Bobby Julich, Tour-Dritter von 1998, erging es ähnlich - nur Monate nachdem er ein anderes Trikot anzog, konnte er wieder Rad fahren, gewann in diesem Jahr die Mittelmeer-Rundfahrt sowie Paris-Nizza. Nachwuchsfahrer wie David Kopp und Stefan Schumacher kamen mit großen Erfolgen in der Jugend zu T-Mobile - und verschwanden in der Versenkung. Raphael Schweda, Sportdirektor der kleinen Akud-Mannschaft, warnte deshalb seinen 18 Jahre alten deutschen Überraschungsmeister Gerald Ciolek davor, bei T-Mobile zu unterschreiben: "Die hatten schließlich schon viele Talente, die besser wurden, als sie wieder weg waren."
Das berühmteste davon ist Jan Ullrich. Im Jahr 2003, dem Jahr, in dem er nicht für T-Mobile fuhr, bestritt er seine beste Tour seit 1997. Zurück im Magenta-Trikot war 2004 jedoch alles wieder beim Alten, was heißt: eine schlampige Vorbereitung und eine Tour-Vorstellung weit unter seinen Möglichkeiten. Und ob Ullrich sich ausgerechnet in diesem Jahr von den lähmenden Strukturen freischwimmen kann, ist ausgesprochen zweifelhaft. Doch was ist es, das Sportler bei T-Mobile hindert, ihre Möglichkeiten auszuschöpfen? Auf der Suche nach einer Antwort lohnt es sich, in das Jahr 1997 zurückzugehen. In jenem Jahr war bei der Tour eine echte Mannschaft am Start, jene Gruppe junger Deutscher um Erik Zabel, Jens Heppner, Udo Bölts, Christian Henn und Rolf Aldag, die sich gemeinsam von der Drittklassigkeit in die Weltklasse hochgekämpft hatte. Und das Team hatte in Bjarne Riis einen charismatischen und willensstarken Anführer. Auch wenn Riis 1997 dem überwältigend starken Ullrich den Vortritt lassen musste - der Däne hielt bei Telekom noch immer die Zügel in der Hand.
Danach wurde alles anders. Riis war weg und setzte seine modernen Trainingsmethoden sowie sein Charisma für seine eigene Mannschaft ein. Der Telekom-Konzern indes pulverte ordentlich Geld in die Mannschaft. Damit wiederum wuchs der Druck, fortan jedes Jahr die Tour gewinnen zu müssen - und die Mannschaftsleitung gab ihn einfach an die Fahrer weiter. Teamchef Walter Godefroot ist ein flämischer Rennfahrer der alten Schule - Dinge wie Motivation oder Teambuilding sind für ihn mehr oder weniger Kokolores. Godefroot kaufte viele und teure Fahrer ein und erwartete, dass diese für ihr Geld Leistung bringen. Wie, das ging ihn nichts an.
Die Abwesenheit von Riis als Leader wurde immer deutlicher spürbar. Der alte Mannschaftskern fiel auseinander. Männer mit unschätzbarem Wert für das Gefüge wie Bölts oder Heppner hatten es von Jahr zu Jahr schwerer, überhaupt in das Aufgebot zu kommen. Ullrich, dem Star, fehlten die Fähigkeit und die Persönlichkeit, eine Mannschaft zu leiten oder gar mitzureißen.
Die Führungslosigkeit führte letztlich zu dem vorhersehbaren Zerwürfnis zwischen Godefroot und Rudy Pevenage. Godefroot fand, man müsse Ullrich unter Druck setzen, und tat dies vor allem über die Presse. Pevenage fand, dass man sich um den Star kümmern müsse und ihn verhätscheln. Beiden fehlten jedoch die Energie und letztlich auch der Intellekt von Männern wie Bjarne Riis und dem Chef von Armstrongs Discovery-Truppe, Johan Bruyneel.
Wie dysfunktional die Mannschaft ist, zeigt sich schon an dem merkwürdigen Führungskonstrukt seit der Rückkehr von Ullrich. Pevenage ist Angestellter von Ullrich, nicht von T-Mobile. Er spricht nur via Kummer mit Godefroot - Kummer wiederum sitzt zwischen allen Stühlen. Godefroots designierter Nachfolger Olaf Ludwig mischt auch irgendwie mit. Im Zentrum dieses hierarischen Chaos steckt Ullrich, der bei seiner Rückkehr der Mannschaft seine Bedingungen diktieren konnte. Darüber ist wiederum Godefroot verbittert. Das Ergebnis ist eine merkwürdig gedrückte, beinahe paranoide Atmosphäre im Team. Die Motivation ist weitgehend negativ, Fahrer bekommen Druck, wenn sie etwas falsch machen, ansonsten sind sie sich selbst überlassen. Vor allem aber: Es gibt keinen Mannschaftsgeist, der sie trägt. Wer ehrgeizig ist, wie Savoldelli, Botero oder Julich, geht, sobald er kann.
Nur dickhäutige Fahrer bleiben von dieser Atmosphäre unberührt. Zabel war schon immer unabhängig, und auch Alexandre Winokourow ließ sich nie beirren. Als er zu Beginn der Tour 2003 ankündigte, er wolle aufs Podium, erschrak Walter Godefroot. Das war nicht abgesprochen. Winokourow wurde Dritter und Godefroot machte gute Miene zum bösen Spiel. In diesem Jahr hat Winokourow gesagt, er wolle versuchen zu gewinnen, wenn er sich stärker fühle als Ullrich. Das sollte man bei T-Mobile ernst nehmen.
truth hurts...