Die Bestrebung, die Weltverbände im größeren Maße zu ignorieren, ist durchaus gerechtfertigt und die womöglichen Bestrebungen des "Ring Magazine" sind daher verständlich.
In den letzten Jahren haben insbesondere WBC und WBA eine katastrophale Entwicklung vollzogen.
Beim WBC loben Sulaiman und seine Mannen diverse Titel aus. Einst dachte man noch, dass die Situation um Vitali Klitschko und Kostya Tszyu, sogenannte "Emeritus" Champions, überschaubar und nachvollziehbar wäre. Nun gibt es WBC-Titel wie Sand am Meer.
Emetirus, Diamond, Silver, In Recess, Interim ... usw. usw. ... und ein "normaler" Weltmeister ist auch noch drunter. Unnötig zu erwähnen, dass der Zuschauer oftmals nicht durchblickt, was nun der "normale" Titel ist und was nicht.
Die Profitgier scheint hier keine Grenzen zu kennen. Weder beim WBC, noch beim Promoter der das Spielchen mitspielt. Man holt sich Titel, man holt sich Werbung. Man druckt was aufs Plakat ... der Kunde (der Zuschauer also) muss es nicht verstehen.
Vorbei scheinen die Zeiten, als man in den Boxnews noch lesen konnte, wann um welchen Kampf ein Purse Bid stattfindet. Vorbei scheinen die Zeiten, als gespannt die Nachrichten über die jeweiligen Gebote erschienen.
Heute verliert ein Tim Bradley plötzlich seinen Titel ... weil Morales einfach mehr Cash bringt. Der darf dann gegen Barrios um einen Titel boxen. Barrios war mal wer und hatte nen knappen Kampf mit Guzman und verlor mit aufgeplatzter Lippe gegen Juarez, gegen den er einen starken Kampf lieferte. Aber wie lange ist der letzte achtbare Sieg von Barrios her? Wie lange steht er schon nicht mehr in den WBC-Ranglisten?
Warum darf jemand, der nichtmal gerankt ist, um einen WM-Titel boxen ... nur weil er dem Morales-Management zu gefallen scheint?
Ohnehin verlieren die Titel an Bedeutung. Der WBC hat Sergio Martinez kurzerhand den Titel aberkannt, nachdem HBO einen Sebastian Zbik als Gegner für Martinez abgelehnt hatte.
HBO war Zbik noch gut genug, um gegen Chavez zu boxen ... den Chavez-Hype wollte man hier aber nicht bremsen. Und Martinez boxte gegen Dzinziruk, welcher nun wirklich nicht populärer als Zbik ist/war.
In den USA wird eher das getan "was HBO sagt", als dass ein Titel noch großes Gewicht hat. Pacquiao, Mosley, Cotto, Clottey und Margarito boxen in verschiedenen Kombinationen gegeneinander ... HBO überträgt. Das ist so, als wäre früher der Ligapokal 5 Mal in der Saison ausgetragen worden, ohne dass die betreffenden Fußballvereine gegen andere Erstligisten antreten.
Vor ein paar Jahren gab es auch noch Übersichtlichkeit bei der WBA. Den Superchampion-Titel gab es für Titelvereinigungen und der Träger musste nach anderthalb Jahren seinen Gürtel verteidigen.
Dazu gekommen ist es nur einmal (Hopkins-Joppy), ein anderes Mal führte diese Regelung zu einer Gerichtsverhandlung (Wright-Simms).
Die WBA-Regelung ist mitterweile erweitert ... scheinbar. Zum Teil ist garkein anderer Titel mehr nötig, um Super-Champion zu werden. Siehe Felix Sturm, siehe Margarito vs Mosley.
Es entstehen interessante Phänomene, dass um den "Regular Title" häufig Boxer antreten, in deren Land auch der "kleine" Titel als Weltmeisterschaft verkauft werden kann ... z.B. Deutschland.
Zwar sollen sie dann die Pflichtverteidigungen absolvieren ... aber wer will schon wirklich diesen Mini-Titel? Die Top-Boxer jedenfalls nicht. Will man an die Nummer 1 der Gewichtsklasse, dann ist der "Regular Title" der WBA der falsche Weg.
Zumindest führt er einen nicht zu einem Purse Bid. Nur zu Herausforderern aus der dritten Reihe oder so, womit man sich keine Reputation verdient.
Als wäre das nicht genug, führt die WBA teilweise 3 Weltmeister pro Gewichtsklasse. Scheinbar hat dies die Einnahmen der Sanktionsgebühren vorran getrieben.
Der WBC, aus der WBA hervorgegangen, wurde davon wohl angespornt.
Alleine diese beiden Verbände haben das Potential in einer Gewichtsklasse 6 Titelträger zu stellen.
WBC Diamond
WBC Regular
WBC Silver
WBC Emeritus
WBC Interim
WBA Super
WBA Regular
WBA Interim
Soll man da nun durchblicken? Was ist der Diamond-Titel überhaupt? Wer steht höher, der Silver oder der Interim-Titel? Was ist, wenn ein Eliminator geboxt wird ... welcher Titelträger muss nun gegen den Ranglistenersten verteidigen?
Die meisten Box-Zuschauer interessiert dies nicht. Aber sobald ein Funken Information zu sie durchdringt, wundern sie sich schon. Wie kann ein Felix Sturm WBA-Weltmeister sein, wenn Jermain Taylor dies auch ist?
Warum gibt es im Boxen vier Weltmeister pro Gewichtsklasse?
Die durch WBC und WBA veranstaltete Titelflut verursacht den Eindruck, dass selbst im Wrestling der Wechsel des Titelträgers nachvollziehbarer ist als im Boxen und eher sportlichen Kriterien folgt, als dramaturgischen.
Mal ehrlich, wenn dank Chavez-Hype oder Bradley-Unpopularität der Titel den Besitzer wechselt ... glaubt man als Box-Zuschauer dann wirklich noch einen "Sport" zu schauen?
Hat der WBC jemals Anstrengungen verlauten lassen, dass man einen Kampf zwischen Chavez und Martinez sehen möchte? Nein ... gewiss nicht. Chavez möchte den Kampf nicht, Arum möchte den Kampf nicht, HBO möchte den Kampf nicht. Warum? Chavez würde wahrscheinlich verlieren und die Einnahmen, die man dank seines Namens hat, würden sinken. Ergo möchte auch der WBC den Kampf nicht.
Martinez kann die Nummer 1 der Gewichtsklasse sein und HBO kann ihn als Box-Virtuosen und P4P-Top5 abfeiern ... er müsste sich ein Herausforderungsrecht gegen Chavez schon einklagen. Inklusive Eliminator, Interim- und Silver-Titel wahrscheinlich. Und gegen Gegner, die HBO ablehnt.
Ob der Situation im Federgewicht mit Gamboa, Chris John und weiteren Titelträgern fragte Max Kellerman rein rhetorisch warum das Boxen Probleme habe. Nunja ... HBO trägt selber auch einen Teil dazu bei.
Es ist nicht alleine der Lobbyismus der Promoter, welcher den Weltverbänden in die Karten spielt, es ist teilweise auch der Wille von HBO, wie deren Wunsch für die Boxwelt auszusehen hat. Was aber nicht bedeutet, dass die "Fight Of The Year"-Kandidaten häufiger auf HBO, als z.B. auf Showtime gebohren werden.
Insbesondere in Gewichtklassen, in denen großes Geld generiert wird, ist die Situation um WBC und WBA verworren. Das Supermittelgewicht ist ein solches Beispiel, als die Frage im Raum steht, ob Froch und Abraham um den WBC-Titel boxen, oder ob der ungerankte WBA-Weltmeister Andre Ward sich den Gürtel holen darf ... "Wer zahlt höhere Sanktionsgebühren?", scheint die entscheidende Frage zu sein.
Hier, im Supermittelgewicht, gibt es auch bald die oben angesprochenen 6 Titelträger.
WBA-Super: Andre Ward
WBA-Regular: Balzsay/Kashtanov
WBA-Interim: Brian Magee
WBC-Emeritus: Mikkel Kessler
WBC-Regular: Carl Froch
WBC-Silver: Zuckerrübe Alcoba
Egal wie tief WBC und WBA den eigenen Karren fortwährend in den Dreck schieben. Völlig untergehen werden sie nicht. Denn notfalls gibt es immernoch den asiatischen Markt. Obgleich WBC und WBA eher dem mittelamerikanischen Raum entspringen, haben sie doch den Vorteil beispielsweise in Japan anerkannt zu sein, was dort für IBF und WBO nicht gilt. Ich glaube, in Thailand ist die Situation ähnlich. Des Weiteren ist man erfolgreich im Frauenboxen eingestiegen und hat dort Verbände wie IWBF, IBA, WIBA, GBU.
Selbst wenn nun also Hoffnungen aufkämen, dass das maßlose Übertreiben von WBC und WBA in Sachen Titeljungle und Profitgier dazu führen sollten, dass jene Verbände massiv an Bedeutung verlieren (und es damit Aufklärung im Titelwirrwarr gäbe) ... völlig untergehen werden WBC und WBA gewiss nicht.
Das verhindert quasi die weiterhin uneingeschränkte Anerkennung von diesen Verbänden in Europa, Asien und im Frauenboxen. Bei den Damen gibts immerhin weniger Silver-, Super-, Interim- und Diamond-Champions und so...
Da ist der US-Boxfan vielleicht doch besser aufgeklärt.
Und die anderen Verbände? Haben die eine weiße Weste? Gewiss nicht.
Bei der WBO gibt es Pflichtverteidungen, wenn der Ranglistenerste eine Lobby hat ... liegt diese beim Titelträger, dann gibt es das Spiel Marke "Frank Warren" oder "UBP". Allzu deutlich wurde dies z.B. nach der Vertragsunterzeichnung von Sultan Ibragimov bei Golden Boy Promotions.
Interims-Titelträger sind auch hier gegeben. Und wer weiß z.B. wirklich genau, warum Sergio Martinez der Titel aberkannt wurde, so dass wenig später Daniel Jacobs und Dimitry Pirog darum boxten?
Die IBF wirkt da von den 4 Verbänden vielleicht noch mit am gemäßigsten. Interims-Titel gibt es keine ... sondern es ist nur ein IBF-Weltmeister pro Gewichtsklasse vertreten. "Wahnsinn" im heutig Boxen, möchte man glatt meinen.
Das mag kaum darüber hinweg täuschen, dass auch bei der IBF in manchen Ranglisten Überraschungen vorhanden sind und dass z.B. Australier hier recht populär sind.
Immerhin ... in Sachen "Pflichtverteidigungen" hält sich die IBF von den Weltverbänden am ehesten an die eigenen Vorgaben.
Profitgier ist aber durchaus auch hier gegeben. Damit beziehe ich mich nicht auf die Korruptionsverwürfe im Zusammenhang mit dem Zustandekommen des Foreman-Schulz-Kampfes. Ich meine damit vielmehr die Existenz des häufig vakanten zweiten Ranglisten-Platzes.
Er ist selten gefüllt, obgleich Boxer hierfür Eliminatoren boxen können. Die weiter vorne platzierten boxen um den #1-Spot ... den #2-Spot wollen nur diejenigen, die sonst keine Weg weit nach vorne in der Rangliste sehen.
Und dann bitte darauf hoffen, dass der #1-Spot frei ist, wenn der Weltmeister eine Pflichtverteidigung ansteht. So kann man weiter hinten in der Rangliste platziert sein, gegen einen anderen boxen, der weiter hinten rangiert ... und an einen profitablen WM-Kampf kommen.
Ray Austin vs Wladimir Klitschko ist hierfür ein Beispiel. Ein Kampf auf Augenhöhe ist hier selten das Ergebnis... Aber dieser zweite vakante Ranglisten-Platz erhöht das Potential für mögliche Einnahmen an Sanktionsgebühren doch spürbar.
Ja, die Verbände haben irgendwie alle Dreck am Stecken. Gibt es Alternativen? Würde die zweite Reihe der Weltverbände, also IBO/WBF/IBA es besser machen? Wohl kaum ... früher oder später stünden auch hier die Dollarscheinchen in den Augen, wenn jene Verbände an Popularität gewännen.
Und ohne Weltverbände geht es auch nicht. "The Ring" mag seine Champions küren und HBO mag Ansetzungen bestimmen. Aber die Offiziellen werden durch sie nicht gestellt.
Die Ring- und Punktrichter werden von den Weltverbänden gestellt und geschult. Bei WM-Kämpfen möchte der Zuschauer erfahrene Ring- und Punktrichter sehen. Würden 12-Runden-Kämpfe zwischen Top-Boxern von den Punktrichtern gescored, welche zuvor nur 6-Runden-Kämpfe in Grundschul-Turnhallen gepunktet haben, dann wären Ergebnisse wie bei Williams vs. Lara vielleicht an der Tagesordnung.
Das Potential, dass die Offiziellen einer lokalen Boxkommision den "Heimboxer" bevorteilen ist doch größer als bei erfahrenen und weltweig agierenden Offiziellen.
Der Profiboxsport sieht sich in einer Misere, aus der er sich selbst kaum ziehen kann. Zu eingespielt sind die lobbyistischen Strukturen zwischen Weltverbänden und Promotern und den gutgläubigen Fans, welche im Sinne der Quote kaum darüber aufgeklärt werden, dass der Boxsport sich selbst ein Bein stellt.
Es gibt nichts wie UCI, FIFA, WTA, FIA, FIS oder vergleichbares, was beim Profiboxen einem Begriff wie "zentrales Kontrollorgan" nahe käme.
Man mag sich vielleicht wünschen, dass die AIBA mit ihrem APB-Programm im Profisport eine ähnliche Stellung wie im Amateur-Boxsport einnehmen könnte. Aber als wahrscheinlich würde ich das im Moment nicht erachten.
Wer mag den Boxsport schon retten?
Für die Verbände wie WBC und WBA läuft das Spiel.
Die Promoter sehen potentiell höhere Einnahmen dank der Titel.
Die Zuschauer blicken größtenteils eh nicht durch und fressen aus der Hand, die ihnen hingehalten wird.
Da wünscht man sich doch, dass heutzutage mehrere Boxer beigehen und ihren WBC-Gürtel in den Mülleimer werfen, so wie einst Riddick Bowe. Der Grund diesmal sollte halt nur nicht "Lennox Lewis" lauten.