Weihnachten bei Enkes


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Herz des Ruhrgebiet
Siege und Sorgen

Von Volker Wiedersheim und Jörg Grußendorf
Hannover. „Das Wichtigste für einen Torwart“, sagt 96-Schlussmann Robert Enke, „ist die Ruhe.“ Ruhe? Keine Spur davon, als der Bremer Miroslav Klose im Pokal-Derby wegen eines angeblichen Fouls von Enke einen Strafstoß zugesprochen bekam. Der 29-Jährige drosch den Ball vor Wut auf den Rasen und sah Gelb dafür. Und noch in den Arena-Katakomben, lange nach dem Abpfiff, gurgelte der Ärger aus ihm hervor: „Was soll ich denn machen, mich theatralisch hinfallen lassen wie es andere tun?“ Unverkennbar eine Spitze gegen einen Mannschaftskollegen der Abteilung Attacke. Nicht fein, nicht typisch für Enke, nicht weiter wild: Jetzt ist Weihnachten, die 96-Profis haben Urlaub und schmücken daheim, bei Eltern oder Schwiegereltern die Christbäume.
Die Enkes auch. Zum ersten Mal. Die ganze Familie daheim im umgebauten Bauernhaus aus dem 16. Jahrhundert in der Nähe von Neustadt. Mit sieben Hunden, zwei Katzen und einem Pferd. Beim vergangenen Weihnachtsfest war Töchterchen Lara zwar auch schon knapp drei Monate alt, doch wegen eines angeborenen Herzfehlers lag sie seit ihrer Geburt in der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), teilweise im künstlichen Koma. Und Mutter Teresa Enke fast immer an ihrer Seite. „Heiligabend 2004, das war für uns ein Nachmittag zu dritt im Vierbettzimmer“, erinnert sich Robert Enke. Und als die Kleine, angeschlossen an Versorgungssonden und Herztonmonitore, schließlich eingeschlafen war, „da bin ich mit meiner Frau in die MHH-Mensa zum Essen gegangen. Weihnachtsgans.“
Hypoplastisches Linksherzsyndrom, so lautete die Diagnose. Die Enkes wussten davon schon während der Schwangerschaft in Spanien. Ihre Entscheidung für Hannover bedeutete deshalb nicht nur Roberts Rückkehr in die Bundesliga, sondern auch die Nähe zur MHH, wo Lara Enke wenige Tage nach ihrer Geburt am 2. September 2004 von Kinderherzchirurg Thomas Breymann schon zum ersten Mal operiert werden musste, so erzählt der Torwart mit bewundernswerter Ruhe. Seine Tochter hat mit dem Tod gerungen – während für die „Roten“ mit Robert Enke die Siegesserie des Herbstes 2004 begann. An einem Sonnabend Ende Oktober kassierte Enke in Bremen noch drei Werder-Tore, und 96 rutschte ans Tabellenende. Tags darauf erhielt Enke kurz vor Mitternacht einen Anruf aus dem Krankenhaus: „,Kommen Sie schnell, Lara hat einen Herzstillstand.‘ Da denkst du natürlich: Das war es!“ Doch die Ärzte brachten das kleine Herz wieder zum Schlagen. Drei Tage später mussten die „Roten“ zum Pokalspiel nach Cottbus. „Geh und spiel. Es muss ja weitergehen“, habe Teresa ihm gesagt. Enke ging – und parierte im Elfmeterschießen den entscheidenden Schuss von Laurentiu-Aurelian Reghecampf.
Lara Enke erholte sich danach langsam – und auch Hannover 96 fiel auf die Füße. Für die Fußballer gab es Siege in Serie gegen Schalke, Bielefeld, Rostock, Wolfsburg, Mönchengladbach, Kaiserslautern und Bochum, und nach einer Niederlage beim FC Bayern München ging das pausenlose Punkten gegen Dortmund, Mainz, Nürnberg, Stuttgart und Hamburg weiter.
„Natürlich steht man mal in einer Bundesligapartie im Tor, und es passiert minutenlang nichts. Und dann schweifen die Gedanken ab zu meiner Tochter und meiner Frau“, meint Enke. Doch hätten ihn die Sorgen nie vom Spiel abgelenkt. Eher anders herum: „Das Training war für mich Entspannung. Und auf die Spiele habe ich mich gefreut.“
Noch immer wird Lara Enke durch eine Magensonde ernährt. „Sie hat in der körperlichen Entwicklung sechs Monate Rückstand“, berichtet Enke, und aus seinen Augen blitzt ein fröhliches Funkeln, als er fortfährt: „Sie blickt aber inzwischen sehr aufmerksam in die Welt. Und sie ist faul, das merkt man bei der Krankengymnastik.“ Ende Januar, nach dem 96-Trainingslager im spanischen Jerez, muss Lara die letzte von drei schweren Herzoperationen überstehen. „Leistungssport wird sie sicher nie machen können“, sagt der 96-Torwart, „aber ansonsten steht ihr nach den Erfahrungen der Mediziner ein unbeschwertes Leben bevor.“
Heiligabend, das wird im Gespräch deutlich, soll einen Vorgeschmack auf dieses unbeschwerte Leben geben – Lara und der ganzen Familie. Und wenn es nach Robert Enke geht, kann dieses Leben noch eine ganze Zeit in Hannover spielen. 96 bemüht sich gerade, ihn langfristig an den Verein zu binden, und der Torwart möchte gern bleiben. Nicht für immer, aber erst einmal. „Uns gefällt es hier gut. Nur das Wetter: Eines Tages gehen wir zurück nach Portugal. Da ist es so viel wärmer.“


Robert Enke…
… wurde am 24. August 1977 in Jena geboren, machte das Abitur am dortigen Sportgymnasium und begann seine Torwartkarriere beim FC Carl Zeiss Jena. Als 19-Jähriger wechselte er nach Mönchengladbach, in seinem ersten Jahr als Stammtorwart (1998/99) stieg er mit der Borussia jedoch ab. Enke folgte dem entlassenen Trainer Jupp Heynckes – einem Freund Ewald Lienens – zu Benfica Lissabon. 2002 lockte ihn der FC Barcelona, bei dem sich Enke aber nicht durchsetzen konnte. Seine nächste Station: der türkische Klub Fenerbahce Istanbul. Als die Fans Enke beschimpften und ihn mit Flaschen bewarfen, löste er nach nur einem Spiel seinen Vertrag auf und nahm dafür sogar eine halbjährige Sperre in Kauf. Bei CD Teneriffa in der 2. spanischen Liga gab es den nächsten Neustart. Im Juli 2004 kehrte der Torwart in die Bundesliga zurück: zu Hannover 96. Enkes aktueller Marktwert wird auf etwa sechs Millionen Euro geschätzt. Enke lebt mit Ehefrau Teresa und Tochter Lara in einem umgebauten Bauernhaus bei Neustadt. wie


Quelle: HAZ


Habe den Artikel wegen des aktuellen Bezuges gepostet und vielleicht auch um mal zu zeigen, dass es einige wenige Ausnahmen unter den Fussballern gibt, die nicht arrogant, abgehoben, weltfremd oder einfach nur dumm sind, was sich leider bei mir als Eindruck mannschaftsübergreifend immer mehr festsetzt.
 
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