Zu wahnsinnig ausführlichen Eindrücken komm ich hier jetzt leider wirklich zu selten. Ich versuch mal das, was ich noch bis dato gesehen habe, einigermaßen flott runterzuschreiben, bin selbst gerade in Iguazu und besuche morgen und übermorgen die Wasserfälle.
Nach den beiden Spielen in den jeweiligen Copa-Wettbewerben bei Racing und Lanus, die ja nun wirklich die Messlatte unfassbar hoch gelegt haben, stand dann ab dem Freitag der argentinische Liga-Alltag an. Freitagabends war ich bei San Lorenzo gegen Deportivo Riestra, San Lorenzo gehört ja auch zu den größeren Vereinen, Riestra ist ziemlicher Emporkömmling der letzten Jahre und hat sein winziges Stadion tatsächlich direkt neben dem wunderschönen Estadio Pedro Bidegain von San Lorenzo. Vor der Gegend bei San Lorenzo wird gerne mal gewarnt, in der Tat sind die Häuserblocks hinter der gegenüberliegenden Hauptstraße wohl nicht ohne, für mich war die Anreise mit dem Uber aber ziemlich entspannt, auch wenn ich einmal komplett ums Stadion rumlaufen musste - hab mich da nicht sonderlich unwohl gefühlt, es ist aber auch immer ein Unterschied, ob es hell oder dunkel ist. Hab das Spiel mit dem Kollegen aus Duisburg, den ich bei Racing kennengelernt hatte, geschaut und zugegeben, nach den beiden Spektakeln war ich erstmal vom Support der Heimfans durchaus angetan, aber jetzt auch nicht begeistert. So plätscherte die erste Halbzeit etwas dahin, aber ich musste vielleicht auch einfach mal meine Antennen neu ausrichten. Die zweite HZ hat dann zugegebenermaßen auch richtig Bock gemacht, San Lorenzo gewann in einem bescheidenen Spiel 1:0 und die Kurve hat mir da doch einige Ohrwürmer beschert. Nach dem Spiel gings mit dem Duisburger Kollegen per ÖPNV zurück in die City - auch das recht entspannt, ich hätte mich aber womöglich in der Situation dann etwas mehr stressen lassen, wenn ich alleine gewesen wäre und ich ggfls. wieder irgendwo auf ein Uber gewartet hätte.
Samstags stand dann die Qual der Wahl an - bzw., eigentlich war gar nicht so viel auszuwählen, aber man hatte theoretisch die Option, drei Spiele zu schauen. Los gehen sollte es diesmal in der zweiten Liga, wo die Aufstiegsplayoffs laufen und der CA Atlanta nach einem 0:1 im Hinspiel Deportivo Moron zu Gast hatte. Atlanta hat die gleichen fantastischen Vereinsfarben wie Boca, das Stadion und die Umgebung macht deshalb schon von Außen echt viel her und als ich dort ankam, kaufte ich mir erstmal ein Ticket an der Tageskasse und stürzte mich dann draußen noch ins Getümmel - denn unweit vom Stadion konnte ich hören, wie sich die Barra auf dem Weg zum Stadion machte und von zahlreichen umstehenden Fans gefeiert wurde. Das hat richtig Laune gemacht, Partystimmung kam allenthalben auf und ich hatte echt Bock aufs Spiel - auch wenn es an diesem Tag echt brutal heiß war, zum ersten Mal auf der bisherigen Reise und mich so ein Wetter durchaus schlaucht.
Beim Einlass habe ich dann aber direkt meinen Fauxpas realisiert - ich bejahte die Frage des Kassierers nach "Popular?", was im Umkehrschluss bedeutete, das mein Ticket nicht für die Haupttribüne gültig war, sondern für die Hintertortribüne, wo somit auch die komplett Barra stand. Erstmal sangen sich die Jungs noch unter der Tribüne (hier waren die Temperaturen erträglich) weiter ein und es war tatsächlich super cool, mal wirklich auf einen Meter an dem Orchester aus Trommeln, Pauken und Trompeten vorbeizulaufen. Zum Start ins Spiel zog der Klub ne Choreo hoch und fackelte etwas Rauch ab - und ich, auch wenn ich mich natürlich ganz Außen positionierte, mitten drin. Noch dazu in der gleißenden Hitze. Na klasse
Dementsprechend waren es echt anstrengende 90 Minuten, die zudem auch nicht durch das Spiel verbessert wurden. Moron hatte nur einen einzige Idee - 0:0 spielen und weiterkommen und der ging auf, auch weil sich Atlanta bereits nach 20 Minuten mit einer Roten Karte schwächte. Danach fiel gar nix mehr ein und so war dann auch das Spiel - gruselig und wirklich ein Paradebeispiel für unsportliches Zeitspiel, wie man es in Argentinien in einer unglaublichen Form erlebt.
Nach dem Schlusspfiff war ich platt. Und trotz eincremen mit dickem Sonnenbrand. Ich hätte nun noch sowohl Velez Sarsfield als auch am Abend CA Independiente jeweils in der ersten Liga schauen können - aber ich hab drauf verzichtet, bin zurück in die Unterkunft und hab mir dann im weiteren Verlauf noch einen entspannten Tag gemacht. War auch ok so, auch wenn ich dem Velez-Ground noch etwas hinterhertrauere, könnte aber sein, dass der noch fällt.
Auch am Sonntag hatte ich erst einmal viel Zeit, denn das einzige Spiel stand erst spät am Abend im größten Stadion des Landes an - im Estadio Monumental, dem Stadion von River Plate und dem Nationalstadion Argentiniens. Ich hatte ursprünglich mal geplant, das Wochenende in Uruguay zu verbringen, aber weil klar war, dass es das letzte Heimspiel von River in dieser Saison sein wird, habe ich dem Ground und dem Klub dann doch klar den Vorzug gegeben, an den letzten zwei Wochenenden war das Stadion jeweils belegt durch Konzerte von Dua Lipa und Oasis (ich hatte letzteres überlegt, aber die Preise waren mir dann auch too much, wäre aber schon episch geworden).
River ist sicherlich unzweifelhaft nach Boca der bekannteste argentinische Klub in unseren Gefilden, ich machte mich frühzeitig auf den Weg und war glaube ich rund drei Stunden vor Anpfiff schon am Stadion

Ticket konnte ich tatsächlich recht entspannt online kaufen, dazu musste ich dort eine Face-ID machen, mit der ich Stadioneintritt erhalten sollte. Hat natürlich nicht funktioniert vor Ort, aber nach Durchgabe meines Reisepasses konnte ich rein.
Das Stadion ist unzweifelhaft ein absolutes Brett, mit Platz für über 85000 Zuschauer. Gigantisch einfach, man merkt zugleich aber auch, dass es das Nationalstadion ist und dementsprechend einen moderneren Anstrich als die meisten anderen Stadien im Land hat - Catering etc. sind hier schon deutlich amerikanisierter als anderswo

River spielte an dem Abend gegen Gimnasia La Plata und verlor 0:1 durch einen Elfmeter für die Gäste, der gefühlt deren einzige Chance im Spiel war. Ich muss zugeben, ich war im Rahmen des Besuchs phasenweise ein wenig abgefuckt vom wirklich absolut grauenhaften Fußball, den ich da im fünften Spiel der Tour größtenteils zu boten bekam. Garniert mit den Schauspieleinlagen und Zeitspiel-Aktionen des Todes, war das phasenweise harter Tobak. Zur Krönung erhielt River, ebenfalls grottig, einen Elfmeter in der neunten Minute der Nachspielzeit, der schließlich in der 18. Minute der Nachspielzeit ausgeführt wurde, nachdem drei La Plata-Verteidiger den Schiedsrichter neun Minuten lang auf Schritt und Tritt folgten und belaberten - ohne auch nur eine Karte zu sehen. Selbstverständlich wurde der Strafstoß verschossen.
Man muss das wirklich so klar sagen: Die argentinische Liga ist in ihrer Form einfach irrer Quatsch. So viele fantastische Fußballer aus diesem Land, aber dann spielt man da mit 30 Mannschaften in einer Liga, aufgeteilt auf zwei Staffeln, in zwei Meisterschaften pro Kalenderjahr, mit 16 Spielen und dann anschließenden Playoffs. Wenn überhaupt steigt ein Team ab, das ist aber glaube ich auch nicht immer ganz sicher. Aber von diesen 30 Mannschaften haben 25 Mannschaften gefühlt wirklich keinen einzigen Plan, wie sie überhaupt Tore schießen wollen. In der Tat habe ich irgendwo etwas von Statistiken gelesen, dass in keiner anderen Liga der Welt so wenig Tore fallen wie in Argentinien, es gibt halt auch kaum Anreize, warum die Mannschaften versuchen sollten, ihr Heil in der Offensive zu suchen. Und als ich bei River gegen La Plata dann im fünften Spiel effektiv drei Tore gesehen hatte insgesamt (davon eines per Strafstoß), war ich wirklich stockgenervt

Umso bemerkenswerter ist es im Übrigen bei dem Niveau der Spiele, mit welcher unfassbaren Leidenschaft, Emotion und Inbrunst die ganzen Argentinien halt trotzdem jede Woche ins Stadion rennen. Denn ja, die Atmosphäre ist ja nichtsdestotrotz fast überall herausragend und macht einfach nur gewaltig Bock.
Das war dann mein Wort zum Sonntag, am Montag standen dann natürlich zwei weitere Spiele an

Erst spielte Platense am Nachmittag bei heißen Temperaturen gegen Sarmiento. Platense ist im Sommer im ersten Turnier des Jahres Meister geworden. Wie sie das geschafft haben, ist mir ein absolutes Rätsel, fünf Monate später haben sie das zweite Turnier des Jahres auf dem 15. und damit letzten Tabellenplatz beendet. Welcome to Argentina. Das Spiel war auch wieder eher dürftig, aber hey, es fielen zwei Tore!! Und da Platense spät der Ausgleich gelang, wurde das natürlich frenetisch gefeiert - das Stadion ist auch ganz nett, konnte mit den Spektakeln der letzten Tage aber nicht mithalten. Auffällig: Platense hat das gleiche Braun-Weiß wie St. Pauli und ich habe im Stadion mehrere Leute mit Pauli-Merch gesehen.
Nach dem Platense-Spiel ging es mit dem Hannoveraner vom Racing-Spiel per Uber nochmal weiter raus nach Banfield. Ebenfalls ein Bezirk, der außerhalb liegt, aber gefühlt von diesen Bezirken zu den besseren der Stadt gehört, den Eindruck machten auch die Häuser und Autos, die in den Straßen standen. Ich hatte bereits von ein, zwei bekannten gehört, dass Banfield ein ziemlicher Geheimtipp ist, der richtig Spaß macht (zugegeben, ich kannte vorher nicht viel über den Verein) und noch dazu spielte man heute gegen Lanus - die ich ja bereits vier Tage vorher ziemlich cool fand (auch fußballerisch), was quasi ein Derby ist und als "Clasico del Sur" gilt. Gästefans waren hier natürlich auch nicht erlaubt, aber es sollte zumindest ein besonderes Spiel sein.
Und ja, was soll ich sagen? Es war ein absoluter Volltreffer. Das Stadion ist weltklasse, zum Start gab es wieder eine irre Pyro und Feuerwerkshow und auf beiden Hintertorseiten wurden tolle Choreos gezeigt. Die Stimmung war über 90 Minuten herausragend und es entwickelte sich ehrlich gesagt das unterhaltsamste Spiel, das ich bis dato auf der ganzen Tour gesehen habe. Lanus hatte nach dem Erfolg in der Copa Sudamericana ordentlich rotiert und die besten Leute erst draußen gelassen, Banfield spielte sich in einen Quasi-Rausch (zumindest für argentinische Verhältnisse) und führte irgendwann 2:0, Lanus gelang noch der Anschluss, aber Banfield konnte den Sieg in einer packenden Schlussphase über die Zeit bringen. Das komplette Stadionerlebnis war eine absolute 1+ und ich war nach meinem zwischenzeitlichen Frust am Sonntag (ja, Jammern auf extrem hohem Niveau) wieder vollkommen beseelt mit Argentinien, ich hatte aber ja auch immerhin in zwei Spielen deutlich mehr Tore gesehen als an den fünf Tagen zuvor zusammen
Dienstags ging es dann schließlich, weil der Duisburger dort hinging, nochmal tief runter, 15:30 Uhr in die vierte Liga zu Deportivo Espanol. Lag tatsächlich auch daran, weil das Stadion offiziell ebenfalls über 30.000 Zuschauern Platz bietet und echt ein Brett ist, hier wurde wohl auch mal Erstligafußball gespielt, ehe es steil bergab ging. Das Stadion versprüht aber wirklich einen ganz eigenen Charme und ist herrlich abgewrackt, zudem sieht die Barra in den Spanien-Farben einfach toll aus (
https://www.europlan-online.de/estadio-nueva-espa%F1a/stadion-6191.html), und ja, auch wenn im ganzen Stadion vielleicht maximal 200 Leute waren, gab es auch hier von einigen Unerschrockenen Support, sodass man einfach Dienstagnachmittags zu argentinischen Klängen um 15:30 Uhr mitwippte. Was genau da ausgespielt wurde, konnte keiner so genau sagen, es ging wohl um irgendein Playoff-Spiel für irgendeinen Pokalwettbewerb - in jedem Fall gewann Espanol 2:1 - schon wieder drei Tore!!! (Spoiler: Mehr habe ich noch bei keinem Spiel gesehen).
Nach acht Spielen in sieben Tagen war danach erstmal drei Tage Fußballfrei angesagt, ich habe aber noch eine weitere komplette Woche in Buenos Aires verbracht und werde die Tage dann hoffentlich nochmal was zu den weiteren Spielen schreiben. Ich war unter anderem beim Superclasico im Bombonera bei Boca vs River

(und habe deutlich das teuerste Ticket meines Lebens gekauft)