Ich bin aufgrund von RL etwas spät und bitte um Nachsicht, wenn ich keine Lust habe, im Wust der Postings einzelne Stellen wieder rauszupicken. Ich hatte heute Gelegenheit, mit meinem Kumpel M., der seit über 30 Jahren als Türke in Deutschland lebt und dessen Kinder hier geboren und aufgewachsen sind, zu plauschen. Dabei hat er als Beispiel für den laut Özil erlebten typischen Alltagsrassismus interessanterweise eines gewählt, was hier bereits als Positivbeispiel hergenommen wurde - ich glaube, es war Kaelin, der von einem albanischstämmigen Kollegen schrieb, der sich dauernd sagen lassen muss, wie gut er Deutsch spricht, und dass er das positiv sehen sollte.
Genau dieses Verhalten empfindet M. als Rassismus der allerübelsten Sorte. Wenn man in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, dass man Deutsch spricht. Natürlich gibt es auch Fälle, bei denen das nicht der Fall ist, das bestreitet auch niemand. Aber durch das explizite Loben von guten Deutschkenntnissen bekommt der türkischstämmige Deutsche das Gefühl vermittelt, für seinen Gegenüber wäre er die Ausnahme und der Türke mit deutschem Pass und ohne Deutschkenntnisse wäre die Regel. Genauso sollte es der Normalfall sein, wenn ein in Gelsenkirchen, Berlin oder München geborener Junge in der deutschen Nationalmannschaft spielt, obwohl er theoretisch auch für andere Länder spielen könnte. Herausheben sollte man immer den umgekehrten Fall und dort genau hinsehen, warum
- das in Berlin geborene Kind auch nach der 6.Klasse noch mangelhafte Deutschkenntnisse hat, oder
- der in Gelsenkirchen geborene Junge für die türkische Nationalmannschaft spielen will.
So, wie es im Moment läuft, ist es gerade für die türkischstämmigen Deutschen immer das Gefühl "so lange wie es gut läuft, darfst du bei uns mitmachen, aber eigentlich bist du überhaupt kein richtiger Deutscher", was Özil beschrieben hat. Und für dieses Herausheben "Du sprichst (als Türke) gut deutsch" und "Du spielst (als Türke) für die Deutschen" soll derjenige, dem gerade implizit das "richtige Deutschsein" abgesprochen wird, auch noch dankbar sein. Das funktioniert nicht!
Zum Thema Multikulti: Da liegt das Problem darin, dass der Begriff praktisch von jedem so ausgelegt wird, wie es gerade passt. Das bloße Nebeneinander kann nicht funktionieren, weil man z.B. ohne deutsche Sprache in Deutschland keinen Zugang zum Bildungssystem bekommt und beruflich höchstens irgendwelche HiWi-Jobs bei Verwandten bekommt. Kultur ist aber viel mehr als nur Sprache. Warum sollte es die Gesellschaft stören, wenn jemand lieber türkische als deutsche Schriftsteller liest, lieber Turk-Pop als Helene Fischer hört und Freitags nach der Arbeit in die Moschee geht? Ganz krude wird es allerdings dann, wenn jemand gegen Multikulti wettert, der von der amerikanischen Kultur gar nicht genug bekommen kann. Vielleicht kann
@Angliru mal so nett sein und jeden, der sich hier mit Beiträgen oder Likes gegen Multikulti positioniert hat, für die offensichtlich undeutschen Unterforen NFL und NBA sperren.
Ganz kurz noch zum Thema Poldi und Trauerflor: Ich bin da mangels polnischen Sprachkenntnissen nicht wirklich weitergekommen, aber in den meisten deutschsprachigen Medien war der Flugzeugabsturz von Kaczynski eine Militärmaschine mit hochrangigen Politikern und Militär. Kann sein, dass das in Polen differenzierter gesehen wurde und mehr auf die Gäste eingegangen wurde. Das ist aber ohnehin nur ein Nebenkriegschauplatz. Wichtiger ist für mich, dass Podolskis "polnisches Herz" in Deutschland nie zu seinem Nachteil ausgelegt wurde, nicht einmal zu Zeiten, wo eine Einwechslung 7 Minuten vor Schluss in einem Testspiel zu mehreren empörten Beiträgen geführt hat. Özil wird seine türkische Abstammung dagegen sehr wohl immer wieder unter die Nase gerieben, und das nicht nur von einigen braunen Hohlbratzen, und nicht nur, wenn er Fototermine mit türkischen Diktatoren macht...