30.
The Departed 248 P. [11 / 2]
........"One of us had to die. With me, it tends to be the other guy"
USA, 2006
Regie: Martin Scorsese / Drehbuch: William Monahan (remake of the 2002 Hong Kong film Infernal Affairs)
Stars: Leonardo DiCaprio, Matt Damon, Jack Nicholson, Mark Wahlberg
Trailer
„Departed“ ist überragend gut photographiert. Man könnte einzelne Szenen hervorheben, z.B. wie Costello den Film buchstäblich eröffnet, gleich als bestimmender Mittelpunkt mit den Zuschauern ins Geschehen und dabei selbst erst langsam aus dem Schatten tritt. Wirklich gut ist aber, wie der Tonfall der Geschichte und die durch die Bilder transportierte Atmosphäre eine Einheit bilden. Kein Element drängt sich unnötig in den Vordergrund. Das gilt ganz allgemein, nicht nur für die Kamera: Die Spannung entsteht aus der Situation der Figuren und wird durch die genretypischen filmischen Mittel nur unterstützt. Die Dialoge sind scharfzüngige Filmdialoge, natürlich kein realistisches Sprechen, aber eben nicht aufgesetzt. Die Musikauswahl, vom leitmotivisch gebrauchten, mit treibenden Gitarrenriffs unterlegtem irischen Folk-Crossover bis hin zum Pink-Floyd-Soft-Rock zur Liebesszene, sitzt passgenau. Ja, auch letzterer, weil er gerade nicht verkitscht, sondern nüchtern den mäßig romantischen Charakter kommentiert, zumindest wenn man mit einem Ohr auf den Text achtet.
(filmstarts)
29.
Big Fish 251 P. [13 / 5]
........"The biggest fish in the river gets that way by never being caught"
USA, 2003
Regie: Tim Burton / Drehbuch: John August (based on the 1998 novel of the same name by Daniel Wallace)
Stars: Ewan McGregor, Albert Finney, Jessica Lange, Danny DeVito
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Big Fish erzählt Edwards Biographie von der Wiege bis zu Bahre in kurzen Geschichten, kleinen Anekdoten, märchenhaften Episoden. Sie sind bilderreich und überquellend inszeniert, der Film ist eine rechte Wundertüte für all jene, die prächtig-überladene Bühnenbilder schätzen, und kunterbunten Kitsch nicht fürchten, sondern sich an einem Kino freuen können, das sich als barocke Wunderkammer gibt. Wie gesagt: Auf Abgründe und Dunkelheit verzichtet der Film fast völlig, allein in der Doppelrolle von Helena Bonham Carter scheint sie auf. Die spielt zunächst einmal eine Hexe aus Edwards Kindertagen, vor der seine Jugendfreunde Angst haben. Nur Edward selbst wagt sich in ihren Garten, und erfährt so schon im Vorhinein, wie er nach einem langen Leben einmal sterben wird. Später dann begegnet diese begnadete Darstellerin uns wieder als die einzige – platonische – Geliebte Edwards, seine einzige Möglichkeit ein anderes, vielleicht wahrhaftigeres, weil weniger märchenhaftes Leben zu führen.
Man kann nämlich auch in diesem, oberflächlich betrachtet allzu heiteren, versponnen-wohlwollenden, und darin eben etwas naiven und kitschigen Geschichte, die in vielem eher wie ein Spielberg-Film aus den 80ern wirkt, als wie einer von Tim Burton, eine andere, keinesfalls naive Seite entdecken: Edward entpuppt sich dann nämlich auch als eine tragische Figur, einer der das Leben selbst verpasst hat, weil er es immer nur als Material für Erzählungen begreift. Der zur Schau getragene Optimismus des Films wäre in diesem Sinn selbst die größte Bedrohung.
(Rüdiger Suchsland)
28.
District 9 260 P. [14 / 9]
........"When dealing with aliens, try to be polite, but firm. And always remember that a smile is cheaper than a bullet"
USA, 2009
Regie: Neill Blomkamp / Drehbuch: Neill Blomkamp, Terri Tatchell
Stars: Sharlto Copley
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Was 2008 „Cloverfield“ war, ist in diesem Jahr „District 9“. Der einzige große Name ist bei den Produzenten zu finden und alle Versatzstücke sind längst bekannt. Doch Regisseur Neill Blomkamp überzeugt mit einem individuellen Zugriff auf seine Themen, die er mit politischem Zündstoff unterfüttert. Dazu sieht sein Film schlicht gut aus und ist hochspannend. Leider ist Blomkamp im Finale der Versuchung erlegen, die Action-Spirale immer weiter zu drehen und hat es damit etwas übertrieben. Weniger wäre hier mal wieder mehr gewesen. Aber auch so ist „District 9“ eine der großen Überraschungen des Jahres.
(filmstarts)
27.
Lost in Translation 277 P. [13 / 1]
........"Let's never come here again because it will never be as much fun"
USA, 2003
Regie: Sofia Coppola / Drehbuch: Sofia Coppola
Stars: Bill Murray, Scarlett Johansson
Trailer
Mit diesem Meisterwerk wird Sofia Coppola zu einer der ganz Großen des Gegenwartkinos. Lost in Translation ist ein Kammerspiel über den Ennui, voller Gefühl für die Nuancen der Empfindungen. Der Film zeigt ein in romantische Melancholie getränktes Lebensgefühl, und amüsiert zugleich, denn er ist in aller Tiefe doch nicht zuletzt auch eine sehr gelungene Satire auf das Verhältnis des Westens zu Japan. Zahllos sind die Witze die über zu kleine Duschen, und zu schnelle Laufbänder, sonderbare Werbung und grelle TV-Shows auf Kosten des zeitgenössischen Japans aus der Sicht des westlichen Besuchers gemacht werden, doch immer liebevoll, nie verächtlich. Sehr klug und sensibel erfasst Coppolas Blick die Schönheit Japans in seiner Spannung zwischen Tradition und radikaler Moderne.
Fremdheitserfahrung muss nicht immer etwas Gutes bedeuten. Zumal weil man die Fremdheit manchmal direkt bei sich selbst findet. In Lost in Translation bestimmt das Jet-Lag-Gefühl, das Herausgerissen-sein aus der Zeit die Atmosphäre, bildet das heimliche Grundempfinden. Die Bilder in die sie und ihr Kameramann Lance Acord diese Erfahrungen stilsicher tauchen, sind hell, pastellfarben, irgendwie verträumt und trotz allem irreal, dabei tiefemotional. Zumindest an der Oberfläche erinnern sie an manche asiatische Filme. Wie die Figuren driftet auch die Kamera durch die Nacht, unterstützt von präzis gewählter Elektropop-Musik, die alles in Trance zu tauchen scheint. Schlafwandelnde Bilder.
»Lost« sind wir alle. Und weil Coppola in Lost in Translation wie nur wenige Filme in den letzten Jahren das Lebensgefühl der Gegenwart ebenso wie einen universalen Aspekt der condition moderne in Bilder fasst, dürfte ihr grandioser neuer Film Coppola den endgültigen Durchbruch bescheren: Vollkommen löst sie sich aus Vaters Schatten und wird zur eigenständigen, herausragenden Stimme einer neuen Regie-Generation.
(artechock)
26.
Eternal Sunshine of the Spotless Mind 282 P. [11 / 1]
........"Constantly talking isn't necessarily communicating"
USA, 2004
Regie: Michel Gondry / Drehbuch: Charlie Kaufman
Stars: Jim Carrey, Kate Winslet, Kirsten Dunst
Trailer
»Sehr geehrter Adressat, jemand hat Sie aus seinem Gedächtnis löschen lassen«
Aus dieser Grundidee, die Regisseur Michel Gondry an den Drehbuchautor Charlie Kaufman herangetragen hat, entwickelt sich eine der schönsten und wahrhaftigsten Liebesgeschichten, die seit langem im Kino zu sehen war.
Als Joel am Morgen des Valentinstages auf dem Weg zur Arbeit trüben Gedanken nachhängt, überkommt ihn plötzlich ein verrückter Impuls: Warum nicht einfach an den Strand fahren, nach Montauk? Er wundert sich noch über seine ungewohnte Spontaneität und über die merkwürdigen Fehlstellen in seinem Tagebuch. irgendjemand hat die letzten zwei Jahre herausgerissen, warum nur? da fällt ihm auch schon die ausgeflippte junge Frau mit den blauen Haaren auf. Sie spricht ihn an, lädt ihn zu sich ein, überredet ihn zu einem gemeinsamen nächtlichen Ausflug, und die Geschichte macht alle Anstalten, sich zu einer Romanze zu entwickeln.
Dann kommt der Vorspann. Und wir sehen Joel weinend in seinem Auto sitzen: seine Freundin Clementine, wegen ihrer orangenen Haare Mandarinchen (Tangerine) genannt, hat ihn nach zwei Jahren im Streit verlassen, schlimmer noch, als er ihr ein Versöhnungsgeschenk bringen will, kennt sie ihn nicht einmal mehr.
[...]
Zauberhaft ist in Eternal Sunshine of the Spotless Mind die zunehmende Vermischung der realen Ebene mit Joels Vorstellungswelt umgesetzt, mit Tricks, die keine sind (für eine Szene musste Carrey blitzschnell wiederholt das Kostüm wechseln, weil er mal als erinnernder, mal als erinnerter Joel in ein und der selben Einstellung zu sehen ist), mit verblüffenden visuellen Einfällen wie einem Joel, der halb von einem Fernseher verdeckt wird, der allerdings gerade den verdeckten Teil Joels auf dem Bildschirm zeigt, mit Bahnhofshallen, aus denen die Menschen mit der Erinnerung verschwinden, mit Strandhäusern, die mit dem Vergessen zusammenstürzen, mit unkenntlichen Gesichtern und unleserlichen Buchtiteln, mit Szenerien, die im Dunkeln verschwinden Gondrys visuelle Fabulierlust scheint keine Grenzen zu kennen. Unterstützt wird er dabei von der Dogma-erprobten Cutterin Valdís Oskarsdóttir (Das Fest, Mifune), die die bewegten Bilder der Kamerafrau Ellen Kuras (sie hat wiederholt mit Spike Lee gearbeitet und I Shot Andy Warhol gefilmt) kongenial zum Film zusammengesetzt hat.
(artechock)