30 Jahre Sommer-Grand-Prix - ein historischer Rückblick


Benjamin

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30 Jahre SGP


In diesem Sommer wird der Sommer-Grand-Prix zum 30. Mal durchgeführt - ich nehme dieses Jubiläum zum Anlass, um in einer mehrteiligen Serie die Geschichte des SGP ein wenig näher zu beleuchten. Kommentare und Diskussionen zu den einzelnen Kapiteln sind natürlich ausdrücklich erwünscht - und wenn jemand noch ergänzende Informationen dazu hat: Nur her damit! Geplant sind von meiner Seite her insgesamt sechs Kapitel; ich werde versuchen, sie jeweils am Wochenende nach und nach hier ins Forum zu setzen.

Inhaltsverzeichnis

1. Vorgeschichte und Anfänge

2. Die große Zeit des SGP - das Four Nations Tournament

3. Regelspielwiese der FIS

4. Krise des SGP - die Ära Kubacki

5. Hoppla, die Damen kommen!

6. Ausblick und Zukunft



1. Vorgeschichte und Anfänge

Das Sommerskispringen ist untrennbar mit dem Namen des Mannes verbunden, der vor mittlerweile fast 70 Jahren die Kunststoffmatten erfand, mit denen die Sprungschanzen belegt werden, um den Skispringern auch im Sommer das Training zu ermöglichen: Hans Renner! Anlass für seine Erfindung war das schlechte Abschneiden der ostdeutschen Springer bei der Nordischen Ski-WM 1954 in Falun. Durch hartes Training bereits im Sommer sollten die DDR-Athleten konkurrenzfähig werden. [1]

Renner hatte herausgefunden, dass feuchte Kunststoffmatten rutschig sind - doch die ersten Sprungversuche auf glatten ebenen Matten scheiterten zunächst, da die Reibung auf ihnen immer noch zu groß war. Auf die Idee, die Matten in Streifen zu zerschneiden, soll Renner gekommen sein, nachdem er eines Morgens auf dem nassen Fußabstreifer vor seiner Haustür ausgerutscht war. [2]

Getestet wurden die Matten auf der Regenbergschanze am Schwarzen Hügel; den ersten Testsprung auf 23 m absolvierte am 25.08.1954 ein gewisser Harald Pfeffer. Doch bald darauf wurde mit der Jugendschanze in Oberhof eine deutlich größere Schanze mit Matten belegt. Ein für die Öffentlichkeit zugänglicher Testwettkampf wurde dort am 20.11.1954 ausgetragen. Vor 15.000 Zuschauern erzielte dort Werner Lesser mit 42 m die Bestweite. [3]

In den Schwarzwald nach Hinterzarten kamen die Matten erst einige Jahre später: Mitte der 70er-Jahre war die alte Adlerschanze dort in der Jahre gekommen und entsprach nicht mehr den Richtlinien der FIS. Doch glücklicherweise wurde für das Bundesleistungszentrum Herzogenhorn eine Mattenschanze benötigt. Hinterzarten bewarb sich und bekam den Zuschlag. Fertiggestellt wurde die neue Adlerschanze im Jahr 1982 - und dies war auch das Jahr, in dem dann am 29. August das erste internationale Hinterzartener Sommerskispringen stattfand. Dies war eine der Keimzellen, aus denen sich einige Jahre später der Sommer-Grand-Prix entwickeln sollte. [4]

Die Siegerliste dieser ersten Jahre liest sich auch wirklich wie ein Who-is-who des damaligen Skisprungsports: Matti Nykänen, Jens Weißflog, Andreas Felder, Toni Nieminen, Jan Boklöv - sie alle haben hier gewonnen! [5]

Auch in Österreich blieb man natürlich nicht untätig. In der berühmten Kaderschmiede in Stams wurde 1988 mit dem Bau der Mattenschanzen begonnen. Das Internationale Eröffnungsspringen im Jahr 1990 gewann ein damals noch völlig unbekannter Internatsschüler namens Andreas Goldberger. [6]

Im Sommer 1994 wurde schließlich der erste Sommer-Grand-Prix ins Leben gerufen. Er bestand aus drei Stationen: Hinterzarten, Predazzo und Stams, wobei in allen drei Orten jeweils ein Einzelspringen stattfand und in Hinterzarten zusätzlich noch ein Teamspringen. Das Teamspringen gewannen die Japaner; Takanobu Okabe gewann alle drei Einzelwettkämpfe und krönte sich dadurch zum allerersten SGP-Gesamtsieger der Geschichte. [7]

Ein Jahr später folgte ihm Andreas Goldberger als Gesamtsieger nach; doch diesmal las sich die Siegerliste etwas abwechslungsreicher: Bei den nun vier Wettkämpfen in Kuopio, Trondheim, Hinterzarten und Stams siegten vier verschiedene Springer, darunter auch Karl-Heinz Dorner aus Österreich, der bis heute jüngste Sieger eines SGP-Wettkampfs. Er gewann
das abschließende Springen in Stams im Alter von 15 Jahren, 10 Monaten und 9 Tagen. Bei den ersten beiden Ausgaben des Sommer-Grand-Prix wurde noch ein Punktesystem wie bei der Vierschanzentournee verwendet, d.h. es wurden die Wettkampfpunkte aller Wettbewerbe addiert. Ab dem SGP 1996 wurde dann dasselbe Punktesystem wie im Weltcup verwendet. [8], [9]

[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Renner_(Skispringer)

[2] http://www.skisprungschanzen.com/DE...and/TH-Thüringen/Zella-Mehlis/2149-Regenberg/

[3] https://www.skisprungschanzen.com/DE/Schanzen/GER-Deutschland/TH-Thüringen/Oberhof/0607-Wadeberg/

[4] http://www.sommerskispringen-hinterzarten.de/Adler-Skistadion/Historisches

[5] http://www.sommerskispringen-hinter...Sieger-beim-Sommer-Grand-Prix-in-Hinterzarten

[6] http://www.skisprungschanzen.com/DE/Schanzen/AUT-Österreich/T-Tirol/Stams/0071/

[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Skisprung-Grand-Prix_1994

[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Skisprung-Grand-Prix_1995

[9] https://pl.wikipedia.org/wiki/Letni...arciarskich#Najmłodsi_zwycięzcy_konkursów_LGP
 

Benjamin

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2. Die große Zeit des SGP - das Four Nations Tournament

Gegen Ende der 90er-Jahre dehnte sich der SGP-Kalender etwas aus; im Jahre 1998 stand erstmals die Olympiaschanze im japanischen Hakuba auf dem Programm. Das war auch der Sommer, in dem ein junger deutscher Springer namens Martin Schmitt erstmals auf sich aufmerksam machte. Einen Wettkampf gewinnen konnte er zwar nicht - das gelang erst in der Folgesaison als erstem Deutschen seinem Teamkameraden Sven Hannawald -, aber er landete in sechs Wettkämpfen fünfmal auf dem Podest und belegte schließlich auch in der Gesamtwertung den dritten Rang. Im folgenden Winter sollte er der dominierende Mann sein. [10]

In der Folgesaison gewann Sven Hannawald nicht nur als erster Deutscher ein Einzelspringen beim SGP, sondern er gewann auch als erster Deutscher die Gesamtwertung. Er und Martin Schmitt hatten einen Skisprungboom in Deutschland ausgelöst, und das machte sich auch beim Sommer-Grand-Prix bemerkbar. Insbesondere nach Hinterzarten pilgerten die Fans zu Tausenden, um ihre Idole auch im Sommer sehen zu können. Und die Öffentlich-rechtlichen Sender übertrugen selbstverständlich alle Wettkämpfe des SGP live - selbst den bislang einzigen SGP auf koreanischem Boden im Jahr 2000 in Muju, der dann leider wetterbedingt abgebrochen werden musste. Zum Beweis hier der Sprung von Simon Ammann aus dem damaligen Wettkampf in Muju:


Der Sommer-Grand-Prix hatte sich zwar etwas ausgedehnt, aber dennoch gehörte es in dieser Zeit auch für die Topspringer einfach dazu, sich auch beim SGP zu präsentieren. Wer in dieser Zeit beim Sommer-Grand-Prix vorn mit dabei war, konnte sich auch berechtigte Hoffnungen auf einen guten Winter machen. Von 2005 bis 2009 gelang es dem jeweiligen SGP-Sieger fünfmal hintereinander, auch im folgenden Winter den Gesamtweltcup zu gewinnen. Die folgende Tabelle zeigt, welchen Platz der jeweilige SGP-Sieger im folgenden Winter im Gesamtweltcup erreicht hat. [11]

SaisonSGP-SiegerWC-Ergebnis
1994/95​
Takanobu Okabe​
5​
1995/96​
Andreas Goldberger​
1​
1996/97​
Ari-Pekka Nikkola​
12​
1997/98​
Masahiko Harada​
4​
1998/99​
Masahiko Harada​
9​
1999/00​
Sven Hannawald​
4​
2000/01​
Janne Ahonen​
5​
2001/02​
Adam Małysz​
1​
2002/03​
Andreas Widhölzl​
3​
2003/04​
Thomas Morgenstern​
6​
2004/05​
Adam Małysz​
4​
2005/06​
Jakub Janda​
1​
2006/07​
Adam Małysz​
1​
2007/08​
Thomas Morgenstern​
1​
2008/09​
Gregor Schlierenzauer​
1​
2009/10​
Simon Ammann​
1​
2010/11​
Daiki Ito​
15​
2011/12​
Thomas Morgenstern​
7​
2012/13​
Andreas Wank​
28​
2013/14​
Andreas Wellinger​
9​
2014/15​
Jernej Damjan​
14​
2015/16​
Kento Sakuyama​
47​
2016/17​
Maciej Kot​
5​
2017/18​
Dawid Kubacki​
9​
2018/19​
Jewgeni Klimov​
12​
2019/20​
Dawid Kubacki​
4​
2020/21​
Dawid Kubacki​
8​
2021/22​
Halvor Egner Granerud​
4​
2022/23​
Dawid Kubacki​
4​

Um den Sommer-Grand-Prix noch attraktiver zu machen, wurde ab dem Sommer 2006 eine zusätzliche kleine Wertung eingeführt: Das sogenannte Four Nations Tournament! Es handelte sich dabei in gewisser Weise um einen kleinen Bruder der Vierschanzentournee: Vier Wettkämpfe auf vier verschiedenen Schanzen in vier verschiedenen Ländern wurden zu einer gemeinsamen Wertung zusammengefasst, wobei die Wettkampfpunkte der Springer addiert wurden. Die Austragungsorte waren in der Regel Hinterzarten, Einsiedeln, Courchevel und Pragelato bzw. bei der ersten Ausgabe Predazzo. Langfristig halten konnte sich das Four Nations Tournament allerdings nicht. Erst brach Pragelato weg, so dass in einem Jahr ein 3 Nations Tournament entstand, dann bekam auch noch Einsiedeln Probleme. Im Sommer 2011 wurde das X Nations Tournament dann durch eine Polen-Tour in Wisla, Szczyrk und Zakopane ersetzt, die es aber auch nur auf eine einzige Ausgabe brachte, bevor diese Art der Sommer-Tournee wieder gestrichen wurde. Übrigens war das das einzige Mal, dass in Szczyrk ein SGP stattfand. In diesem Sommer sind dort aber wieder Wettkämpfe geplant. Alle Sieger gibt es hier im Überblick: [11]

2006: Andreas Kofler
2007: Thomas Morgenstern
2008: Gregor Schlierenzauer
2009: Simon Ammann
2010: Adam Małysz
2011: Thomas Morgenstern

Dass das Four Nations Tournament wirklich eine Art kleiner Bruder der Vierschanzentournee war, sah man auch am Abschneiden der Deutschen. Einen deutschen Gesamtsieger gab es nie; aber Georg Späth stand im Sommer 2008 kurz davor, diese Wertung für sich zu entscheiden; er führte das Four Nations Tournament vor dem entscheidenden letzten Springen in Pragelato an; doch bei einem Trainingssturz in Pragelato erlitt er zunächst einen Kreuzbandanriss, weswegen er beim Wettkampf pausieren musste; später bei einem Belastungstest riss das Kreuzband dann ganz. Seine alte Form konnte Späth danach nie wieder erreichen. [12], [13], [14]


[10] https://de.wikipedia.org/wiki/Skisprung-Grand-Prix_1998

[11] Diverse Ergebnislisten auf www.fis-ski.com

[12] https://medias4.fis-ski.com/pdf/2009/JP/3046/2009JP3046FNGP.pdf

[13] https://medias1.fis-ski.com/pdf/2009/JP/3091/2009JP3091FNGP.pdf

[14] https://www.tagesspiegel.de/sport/kreuzbandriss-saison-fur-spath-beendet-1706263.html


PS: Ein kleiner persönlicher Nachtrag: In diese Zeit fielen auch meine ersten Besuche bei einem Sommerspringen: 2000 und 2002 war ich in Hinterzarten dabei - und ich weiß auch noch genau, wie es an einem dieser Termine wirklich wie aus Kübeln gegossen hat. Aber den zahlreichen Fans machte das nichts, sie saßen teilweise in durchsichtige Plastikplanen eingehüllt an der Schanze, um halbwegs trocken zu bleiben und dennoch nichts zu verpassen.
 

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PS: Ein kleiner persönlicher Nachtrag: In diese Zeit fielen auch meine ersten Besuche bei einem Sommerspringen: 2000 und 2002 war ich in Hinterzarten dabei - und ich weiß auch noch genau, wie es an einem dieser Termine wirklich wie aus Kübeln gegossen hat. Aber den zahlreichen Fans machte das nichts, sie saßen teilweise in durchsichtige Plastikplanen eingehüllt an der Schanze, um halbwegs trocken zu bleiben und dennoch nichts zu verpassen.
Ach ja, das waren noch Zeiten :D

Aus'm Zelt quasi an die Schanze, nur um den besten Blick zu erhalten. Und ja klar, der Regenschutz war wie der Dreibeinhocker und die Rettungsfolie gegen die Kälte in der Früh ein wichtiges Utensil :LOL:. Aber meist folgte dann wieder ein wärmerer Tag, Sonnenbrand inclusive ;)
 

Benjamin

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3. Regelspielwiese der FIS

In dieser Zeit entdeckte die FIS den SGP auch als "Regelspielwiese". Neue Wettkampfformate wurden im Sommer mit der Intention getestet, sie später auch im Winter einzusetzen. Durchgesetzt haben sie sich jedoch meist nicht. Betrachtet man beispielsweise die Ergebnisliste von Hinterzarten aus dem Sommer 2000, so fällt einem etwas sehr Merkwürdiges auf: Damjan Fras auf Platz 13 hatte deutlich mehr Punkte als Sven Hannawald auf Platz 12, und Roar Ljøkelsøy auf Platz 25 hatte wiederum deutlich mehr Punkte als Andreas Goldberger auf Rang 24. [15]

Der Grund war der Modus, der in jenem Sommer ausprobiert wurde: Die besten 48 Springer der Qualifikation durften am Wettkampf teilnehmen; sie wurde dort in vier etwa gleich starke Gruppen eingeteilt. Die besten sechs Springer des ersten Durchgangs aus jeder Gruppe erreichten das zweiten Durchgang. Die verbliebenen 24 Springer wurden im zweiten Durchgang erneut in zwei Gruppen zu je zwölf Springern eingeteilt. Die besten sechs Springer aus jeder Gruppe erreichten schließlich den dritten Durchgang. Die Punkte, die man in einem Durchgang erzielt hatte, wurden nicht mit in den nächsten Durchgang genommen. Das gab der Jury die Möglichkeit, die Anlauflänge zwischen den verschiedenen Gruppen zu ändern - und das war auch eine der Ideen hinter diesem Modus: Gatepunkte gab es ja damals noch nicht; das heißt, wenn es bei einem normalen Wettkampf zu weit ging, dann blieb der Jury damals nichts anderes übrig als den Durchgang abzubrechen, zu verkürzen und den Durchgang neu zu starten. Dieses Problem sollte auf diese Weise eingedämmt werden. Durchsetzen konnte sich das System nicht - ein Gegenargument war gerade, dass am Schluss nur ein Sprung über den Sieg entschied, was natürlich dem Wind größere Einflussmöglichkeiten bot.

Eine andere Idee hatte man im Sommer 2002. Betrachtet man eine Ergebnisliste aus jenem Sommer, so fallen einem als erstes die extrem guten Haltungsnoten auf: Viele Springer bekommen von wenigstens einem Sprungrichter die Note 20,0 - Roar Ljøkelsøy erhält sogar in beiden Durchgängen 5x die Traumnote (das hat dann allerdings tatsächlich nur er geschafft). Was war da passiert? [16]

Im Vorfeld des SGP war die FIS auf die Idee gekommen, dass beim Sprung ausschließlich die Landung und die Ausfahrt bewertet werden sollten. Die Bewertung der Flugphase sollte wegfallen. "Vermeiden will man damit, dass kürzere, technisch gute Sprünge, niedriger bewertet werden." Eine Idee, bei der man sich tatsächlich manchmal fragt, warum sie sich anschließend nicht durchgesetzt hat. Denn gerade seit Einführung der Wind- und Gateregel kommt es ja durchaus öfter vor, dass es bei zwei ähnlich guten Sprünge deutliche Unterschiede in der Weite gibt - und dass der kürzere Sprung noch zusätzlich durch schlechtere Haltungsnoten bestraft wird. Und umgekehrt führen Fehler in der Luftfahrt ja ohnehin meist zu geringeren Weiten, so dass der Springer dadurch eigentlich genug bestraft ist. Durchaus interessant sind auch die anderen Änderungen, die damals offenbar getestet wurden: Es gab engere Anzüge (nicht mehr 8 - 10 cm über Körpermaß, sondern nur noch 6), und die Sprungrichter bekamen einen Monitor, auf dem sie den zu bewertenden Sprung vor der Punktevergabe nochmals ansehen konnten. [17], [18]

Eine bahnbrechende Neuerung, die 2009 getestet und beibehalten wurde, war natürlich die Einführung der Wind- und Anlaufregel; ich denke, dazu muss ich nicht viel sagen - kaum eine andere Regel hat hier im Forum, als sie eingeführt wurde, solche Diskussionen verursacht. Es ist aber durchaus interessant, aus heutiger Sicht nochmals die ersten Kommentare hier im Forum dazu zu lesen. [19]

Zu guter Letzt sei noch ein Test aus dem Sommer 2014 erwähnt. Damals wurden die Punkte aus der Qualifikation mit zum Gesamtergebnis addiert. Einerseits war das keine schlechte Idee, denn in einer Sportart wie dem Skispringen mit einem gewissen Zufallsfaktor gleichen sich unterschiedliche Bedingungen in einem Wettkampf mit drei Durchgängen natürlich eher aus als in einem Wettkampf mit zwei Durchgängen. Andererseits hätte dann aus meiner Sicht gewährleistet sein müssen, dass die Qualifikation auch stets übertragen wird - denn sie ist ja dann der eigentliche erste Durchgang, den man nicht verpassen möchte. Und gerade bei den Sonntagswettkämpfen im Winter gibt es kaum einen Platz für die Qualifikation im TV, was möglicherweise auch ein Grund war, warum sich das Ganze nicht durchgesetzt hat. [20]

[15] https://www.fis-ski.com/DB/general/results.html?sectorcode=JP&raceid=132

[16] https://medias2.fis-ski.com/pdf/2003/JP/3019/3019RL4.pdf

[17] https://web.archive.org/web/20031107020629fw_/http://skispringen.com.rtl.de/aktuell/0207/0207019.htm

[18] https://web.archive.org/web/20031109230139fw_/http://skispringen.com.rtl.de/aktuell/0210/021021.htm

[19] https://sportforen.de/threads/skispringer-sollen-ihren-anlauf-selbst-bestimmen.37662/

[20] https://medias3.fis-ski.com/pdf/2015/JP/3708/2015JP3708RL.pdf
 

Benjamin

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4. Krise des SGP - die Ära Kubacki

Betrachtet man die Statistiken, die ich bereits im zweiten Kapitel gepostet hatte, so stellt man fest, dass es etwa zu Beginn der 10er-Jahre einen gewissen Bruch gab. Hatten bis dahin auch viele Topspringer an den meisten Wettkämpfen des Sommers teilgenommen, so dass in der Regel auch einer der großen Springer den Gesamtsieg holte, so änderte sich das in dieser Zeit. Warum das so war, habe ich nie ergründen können, so dass ich nur Vermutungen darüber anstellen kann.

Bereits erwähnt hatte ich ja auch, dass zu Beginn der Nullerjahre die deutschen Öffentlich-rechtlichen Fernsehsender jeden Sommer-Grand-Prix übertragen haben - selbst dann, wenn er im fernen Korea ausgetragen wurde. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass es daher im Interesse der Sponsoren gerade auch der Topspringer lag, dass diese möglichst regelmäßig an den Sommerwettkämpfen teilnehmen. Denn wenn ein Martin Schmitt auch im Sommer halbwegs regelmäßig über den Bildschirm fliegt, verkauft Milka sicher die ein oder andere Tafel mehr. Aber die Leistungen der deutschen Springer ließen nach, das Interesse der Zuschauer ebenfalls - und dadurch war dann irgendwann der Wille der TV-Sender nicht mehr so groß, die SGPs zu übertragen. Das wiederum könnte dafür gesorgt haben, dass der Druck der Sponsoren auf die Springer geringer geworden ist, denn wenn ein Wettkampf ohnehin nicht im Fernsehen kommt, dann ist es auch nicht mehr so wichtig, ob sich der eigene Werbeträger dort präsentiert oder nicht.

Hinzu kommt, dass sich bereits im Laufe der Nullerjahre der ein oder andere Topspringer beim SGP etwas rar gemacht hat. Einer der ersten, die die Sommerwettkämpfe größtenteils links liegen gelassen haben, war Janne Ahonen. Im Jahr 2000 hatte er den SGP noch gewonnen; im Jahr 2004 nahm er größtenteils nicht mehr an den SGPs teil - und dennoch gewann er im folgenden Winter den Gesamtweltcup. [21]

Oder vielleicht gerade deshalb? Vielleicht war Ahonen im Winter 2004/05 gerade deshalb so überlegen, weil er sich im Sommer konzentriert vorbereitet hatte, ohne das Training immer wieder durch Sommerwettkämpfe zu unterbrechen. Diese Gedanken mögen möglicherweise dem ein oder anderen Springer durch den Kopf gegangen sein, und so wurden es in den nächsten Jahren langsam mehr Springer, die den Sommer nicht mehr durchsprangen.

Eine Rolle dabei gespielt haben mag auch, dass die FIS den SGP in dieser Zeit noch weiter ausdehnte: Zu den traditionellen Wettkämpfen in Hakuba kamen noch Springen im kasachischen Almaty oder im russischen Chaikovsky hinzu, so dass die Reisewegen für die meist mittel- oder nordeuropäischen Springer immer länger wurden, weil teilweise der halbe Sommer-Grand-Prix in Asien stattfand. Und so wurden gerade diese Wettkämpfe dann von immer mehr Topspringern ausgelassen, weil ihnen der Sieg in der SGP-Gesamtwertung dann doch nicht so wichtig war.

Der Gipfel der Geringschätzung war dann schließlich im Sommer 2014 erreicht, als ein gewisser Phillip Sjøen zwei Wettkämpfe vor dem Ende der Sommersaison die Gesamtwertung anführte - und dann entschied, die beiden restlichen Springen auszulassen und sich ganz auf den Winter zu konzentrieren. So gab er den Sieg im SGP natürlich noch aus den Händen. Apropos Phillip Sjøen - er war einer dieser Springer, die einst beim SGP viele Hoffnungen geweckt haben, die sich dann aber im Winter nie erfüllt haben. Ähnlich ging es auch einem Clint Jones, einem Reruhi Shimizu oder einem Kento Sakuyama. Und ich frage mich insbesondere bei Phillip Sjøen, ob er sich nicht nachträglich noch in den Hintern gebissen hat, dass er diese Chance, den SGP zu gewinnen, nicht genutzt hat. Klar konnte er das damals nicht wissen, aber es wäre eben sein einziger Titel gewesen. Das ist nun auch schon wieder bald zehn Jahre her, dabei ist Sjøen gerade mal ein Jahr älter als Halvor Egner Granerud. [22], [23]

Und dann gab es noch einen Springer, der zu Beginn seiner Karriere den Eindruck erweckt hat, als sei er ein Sommerspezialist, der im Winter seine Leistung nicht abrufen kann: Dawid Kubacki! In den ersten Jahren seiner Karriere erreichte er folgende Ergebnisse in den Gesamtwertungen des Sommers und des Winters: [24], [25]

....... SGP WC
2009/10: 68 --
2010/11: 05 --
2011/12: 46 --
2012/13: 08 36
2013/14: 24 49
2014/15: 43 53
2015/16: 05 29
2016/17: 13 19
2017/18: 01 09
2018/19: 08 05
2019/20: 01 04
2020/21: 01 08
2021/22: 02 27
2022/23: 01 04


Besonders auffällig sind hier die Ergebnisse aus den Jahren 2010/11, 2012/13 und 2015/16, als auf gute Sommer miserable Winter folgten. Erst unter Erfolgstrainer Stefan Horngacher gelang es Dawid Kubacki, auch im Winter starke Ergebnisse zu erzielen. Inzwischen kann er auch im Winter beachtliche Erfolge vorweisen, dennoch bleibt er der Sommerkönig schlechthin. Als einziger Springer hat er die SGP-Gesamtwertung viermal gewonnen, und er ist auch derjenige Springer mit den meisten Einzelsiegen beim SGP. Insgesamt 14 Wettkämpfe hat er gewonnen; dahinter folgen Adam Malysz und Gregor Schlierenzauer mit 13 sowie Kamil Stoch mit 12 Siegen. Erfolgreichster deutscher Springer beim SGP ist übrigens Andreas Wellinger mit 4 Siegen. Eine Person gibt es allerdings, die Kubackis Ergebnisse noch deutlich in den Schatten stellt - aber zu ihr kommen wir nächstes Mal, wenn es heißt: Hoppla, die Damen kommen! [26]

[21] https://medias3.fis-ski.com/pdf/2005/JP/3084/2005JP3084STGP.pdf

[22] https://medias2.fis-ski.com/pdf/2015/JP/3765/2015JP3765STGP.pdf

[23] https://berkutschi.com/de/front/news/3848-wenn-kampfgeist-starker-ist-als-pech

[24] https://www.fis-ski.com/DB/general/...e=JP&competitorid=111251&type=cups&cupcode=GP

[25] https://www.fis-ski.com/DB/general/...e=JP&competitorid=111251&type=cups&cupcode=WC

[26] https://pl.wikipedia.org/wiki/Letni...iarskich#Najwięcej_zwycięstw_w_konkursach_LGP
 

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5. Hoppla, die Damen kommen!

Lange hatte sich die FIS ja geweigert, offizielle Damenwettkämpfe zu veranstalten. Doch dem Einsatz und der Hartnäckigkeit mehrerer Pionierinnen aus verschiedenen Ländern ist es zu verdanken, dass es seit 2006 Juniorenweltmeisterschaften der Damen gibt, seit 2009 Weltmeisterschaften und seit der Saison 2011/12 den Weltcup. Und seit dem Sommer 2012 dann eben auch einen Sommer-Grand-Prix.

Der erste Sommer-Grand-Prix mit weiblicher Beteiligung fand am 14.08.2012 statt; es handelte sich um einen Mixed-Team-Wettkampf, den Japan gewann. Das erste Einzel ging dann einen Tag später an die Kanadierin Alexandra Pretorius, die ihre Karriere leider recht früh beendet hat. Sie wäre heutzutage möglicherweise eine gute Verstärkung für das kanadische Team.

Im letzten Kapitel hatte ich schon angedeutet, dass die ersten Jahre des SGP der Damen von einer Person beherrscht wurden, die diese Wettkampfserie nach Belieben dominierte. Von wem die Rede ist, lässt sich unschwer erraten - natürlich von Sara Takanashi. Wie gewaltig ihre Sommerleistungen waren, lässt sich durch zwei Zahlen veranschaulichen:

Sara Takanashi gewann den Sommer-Grand-Prix von 2012 bis 2019 sage und schreibe 8 Mal in Folge. Insgesamt fanden bis heute 46 Einzelspringen im Rahmen des SGP statt - und von denen gewann Sara Takanashi mehr als die Hälfte, nämlich 26. Besonders beeindruckend ist dabei eine Siegesserie von 14 Siegen am Stück: Vom 13.09.2013 bis zum 11.09.2016 gewann Sara Takanashi jeden einzelnen SGP-Wettkampf. [27]

46 Einzelwettkämpfe in 11 Jahren - daran sieht man natürlich auch, dass die Damen in der Vergangenheit deutlich weniger Wettkämpfe bekommen haben als die Herren. Exemplarisch möchte ich den Sommer 2014 herausgreifen, als die Herren sich 10 mal miteinander messen durften, die Damen aber nur zweimal - und dann auch noch beide Male in Almaty zu einem Zeitpunkt, als noch keine Kasachin das Startrecht besaß. [28]

In den letzten Jahren hat sich diese Verteilung der Wettkämpfe aber glücklicherweise etwas angeglichen, und so blicken wir in diesem Jahr auf eine Sommersaison, in der die Damen immerhin 8 Wettkämpfe bestreiten dürfen und damit nur 2 weniger als die Herren. [29]

[27] https://de.wikipedia.org/wiki/Skisprung-Grand-Prix

[28] https://de.wikipedia.org/wiki/Skisprung-Grand-Prix_2014

[29] https://assets.fis-ski.com/image/upload/fis-prod/assets/GP_Calendar_JP-23_Men_and_Women.pdf
 

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6. Ausblick und Zukunft

Ich hatte es ja schon in den früheren Kapiteln erwähnt: In den späten Neunzigern und den Nullerjahren erlebte der Sommer-Grand-Prix seine wohl beste Zeit: Für die Topspringer gehörte es zum guten Ton, den Sommer-Grand-Prix nahezu vollständig durchzuspringen; TV-Übertragungen waren garantiert. Doch spätestens in den Zehnerjahren wuchs die Zahl der Springer, die nur noch an ausgewählten Wettkämpfen teilnahmen, und im selben Maß nahm auch das Interesse der TV-Sender an den Übertragungen ab.

Doch was tun? Wie sieht die Zukunft des SGP in einer Zeit aus, in der Mattenspringen auch im Winter kein Tabu mehr sind? Mehr denn je scheint es wichtig für die Wintersportler zu sein, dass sie über den langen Sommer nicht in Vergessenheit geraten. Aber wie ermöglicht man Sommerwettkämpfe, die für die Top-Springer und damit auch für die Zuschauer attraktiv sind. Hierzu geistern verschiedene Ideen durch die Köpfe der Beteiligten:

Eine Möglichkeit wäre es, den Sommer-Grand-Prix vollständig zu streichen und stattdessen die Sommerwettkämpfe zu Weltcups umzuwidmen und dementsprechend auch zum Gesamtweltcup zu zählen. Springer, die dort vorn landen wollen, könnten es sich dann nicht mehr leisten, den Großteil des Sommers auszulassen; sie lägen dann bereits zu Beginn des Winters bereits weit zurück. Und finanziell attraktiver wären die Sommerspringen auch, da für Weltcups ja höhere Preisgelder ausgeschüttet werden.

Aber würde diese Rechnung wirklich aufgehen? Bei den Einschaltquoten zumindest in Deutschland zeichnet sich zu Beginn des Frühlings regelmäßig ab, dass das Interesse der Zuschauer in dieser Zeit zurückgeht. Wäre das bei möglichen Mattenweltcups im September oder Oktober wirklich anders? Und auch für die Skispringer finden die wichtigsten Wettbewerbe wie Weltmeisterschaften, Olympische Spiele oder die Vierschanzentournee weiterhin im Winter statt - auf die werden sie sich weiterhin vorbereiten, auch wenn es in Zukunft Mattenweltcups geben sollte. Es ist also durchaus denkbar, dass man durch eine solche Ausdehnung des Weltcups zwar die Bedeutung der Sommerspringen erhöht - während aber gleichzeitig die Bedeutung des Gesamtweltcups abnimmt. Dann hätte man mit Zitronen gehandelt.

In einem Artikel der Berliner Zeitung beklagt Stefan Horngacher: "Mittlerweile wird er [der SGP] oftmals missbraucht für irgendwelche anderen Shows, wie in Frankreich für eine nationale Flugshow." Er spielt dabei natürlich auf den SGP in Courchevel an, der ja oft mit einer Flugshow kombiniert wird. [30]

Diese Kritik kann ich allerdings nicht nachvollziehen; denn gerade diese Kombination sorgt ja dafür, dass der SGP von Courchevel meist recht gut besucht ist, was in einem Land wie Frankreich, das ja derzeit nicht unbedingt über weltcuptaugliche Springer verfügt, keine Selbstverständlichkeit ist.

Im selben Artikel regt Horst Hüttel an, an den bekannten Tourneeorten eine Art Sommer-Vierschanzentournee durchzuführen. Was sagt ihr zu diesem Vorschlag?

Was mir persönlich am SGP-Kalender immer wieder auffällt, ist, dass er im Vergleich zum Weltcup so zerfasert ist. Gleich an mehrerer Orten (letzten Sommer beispielswese in Courchevel und Hinzenbach) findet nur ein Wettkampf statt, und der ganze Grand-Prix zieht sich vom Juli bis in den Oktober. Hier wäre aus meiner Sicht für die Springer attraktiver, wenn zwei oder sogar drei Wettkämpfe an einem Wochenende stattfinden würden - und die verschiedenen Wettkampforte an aufeinander folgenden Wochenenden zum Zug kämen, damit sich die Reisen auch lohnen und dennoch längere Zeiträume übrig bleiben, in denen man sich voll aufs Training fokussieren kann.

Man muss allerdings auch zugeben, dass diese Überlegungen in den diesjährigen SGP-Kalender bereits miteingeflossen sind. Stationen, an denen nur ein einziges Springen pro Veranstaltungsort und Geschlecht stattfindet, gibt es in diesem Sommer nicht. Die Weltspitze der Herren glänzt allerdings an diesem Wochenende dennoch mit Abwesenheit...

[30] https://www.berliner-zeitung.de/spo...startschuss-der-ganzjahres-sportart-li.334960
 
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