11.07.2005: 9. Etappe: Gute Beine & geteiltes Rad
Nachdem gestern unser Sprinter Galvez das Rennen aufgegeben hat, weil seine Sturzverletzungen ihn zu sehr beeinträchtigten, gingen wir von Illes Balears heute nur noch zu Acht ins Rennen.
Ich merkte schon nach dem Aufstehen heute morgen, dass es mir bedeutend besser ging, als die Tage zuvor. Die Muskulatur in den Beinen war deutlich geschmeidiger und tat auch nicht mehr schon allein beim Laufen weh. Zur Bestätigung gingen für mich auch heute die Bergwertungen weniger belastend über die Bühne; da musste ich nicht dauernd ans Limit gehen. Fünf Berge waren irgendwann geschafft, und der Sechste (letzter und schwierigster dieser Etappe) stand kurz bevor. Mir war klar, dass ich über eine Einser-Kategorie noch nicht mit der Spitze würde mitfahren können, auch wenn es mir inzwischen besser ging; und so beschloss ich darauf zu warteten, bis die Jungs von QuickStep um ihren Chef Tom Boonen das Tempo wegnahmen, um dann mit ihnen den Berg relativ gemütlich und gleichmäßig weiter hoch zu fahren (Gruppetto).
Ich traf diese Entscheidung sehr bewusst, denn ich versprach mir sehr viel von den gesparten Kräften - einerseits wegen der Regeneration nach meinen Problemen von Krankheit, und Sturz und für die schweren Etappen, die uns nach dem Ruhetag bevorstehen. Da wir bis dahin gut im Rennen lagen, hatten wir auch keine Eile, denn bis ins Ziel konnten wir nicht mehr so viel verlieren, dass es mit der Karenzzeit Probleme geben konnte. Die letzte Abfahrt nahm ich von vorne, hatte aber nach kurzer Zeit einiges an Vorsprung, so dass ich, als ich es bemerkte, auf meine Kollegen wartete - im Gruppetto herrscht generell Solidarität und spätestens nach der Abfahrt wollte ich ja sowieso nicht alleine weiter fahren.
Als mich zwei Fahrer passiert hatten, schaute ich mich kurz um, damit ich wusste, an welcher Stelle ich mich in die Reihe einsortieren kann. Die Lücke war direkt da und die nächste Kurve auch. Mein Blick nach hinten, oder bereits das Warten, stellte sich als verhängnisvoller Fehler heraus. Wenige Zentimeter neben dem linken Straßenrand türmte sich eine Felswand auf, die sich zu allem Überfluss rechtwinklig in den von mir erwarteten Straßenverlauf einer 90-Grad-Kurve stellte. Die Kurve war dann dementsprechend spitzer im Winkel, und ich hatte zu spät in die Bremsen gegriffen, als dass es gereicht hätte mit dem noch zu hohem Tempo auch diese nun schärfer als vermutet ausgefallene Kurve sturzfrei zu bewältigen. Es war als tauchte ich in die Felswand ein, aber natürlich überschlug ich mich. Ich prallte in der Reihenfolge, Rad-Helm-Nacken-Schulter-Kreuz am Gestein ab und blieb für einige Sekunden gekrümmt liegen.
Mein erster klarer Gedanke war: Verdammt, du hast Dir ein Stück Zunge abgebissen, aber dem war ´Gott sei Dank´ nicht so. Als nächstes sah ich, was ich aus meinem Rad gemacht hatte. Fetzen von geplatztem bzw. zerrissenem Karbon waren an den Bruchstellen am Ober- sowie auch am Unterrohr zu sehen. Ein sehr eigenartiger Anblick - mein Rad war tatsächlich zweigeteilt! Ich taumelte schwer benommen, dachte, dass muss es gewesen sein und wartete darauf, dass die Englein beginnen zu singen. Meine linke Schulter schmerzte unglaublich und ich konnte sie im ersten Moment nicht bewegen. Aus dem Tagesergebnis entnahm ich später, dass mich noch über 60 Rennfahrer passiert haben mussten, aber daran kann ich mich gar nicht erinnern. Etwas hilflos winkte ich den nachziehenden Materialwagen anderer Mannschaften, denn da wir von meiner Mannschaft mit Zandio in der Spitzengruppe vertreten waren, waren meine beiden Materialwagen schon einige Minuten vor mir. Der einzige, der stoppte, war der sportliche Leiter von FDJeux.com und kurz danach der Rennarzt mit dem Krankenwagen.
Der Doktor bestellte die Sanitäter um mich transportfertig für den Weg ins Krankenhaus zu machen und bezeichnete meine durchs Trikot blutende Schulter und Rücken als gebrochen.
Nach kurzer Diskussion konnte ich ihn überzeugen, dass ich das Rennen weiter fahren will und ungläubigen Blickes ließ er mich gewähren; stellte sich nur die Frage: mit welchem Rad sollte ich weiterfahren? Der Materialwagen von FdJ hatte Räder auf dem Dach, aber sie fahren ein anderes Pedalsystem. Ich war so sehr dankbar, weil sie nicht einfach weiterfuhren, sondern sogar noch versuchten, meine Pedale an eines ihrer Räder zu montieren; aber, keine Chance! Dadurch, daß Vorder- und Hinterrad nicht mehr starr verbunden waren, wegen der Zweiteilung des Rahmens, ließ sich kein Gegendruck für den Pedalschlüssel am Pedal aufbauen; alles Versuchen dauerte ewig. Irgendwann bekam ich eine Maschine, die mir viel zu klein war und mit falschen Pedalen, bei denen ich aber zumindest drücken, leider nicht ziehen konnte, und zwar vom allerletzten Materialwagen der Organisation, der inzwischen zusammen mit dem Besenwagen angekommen war.
Meine Jagd konnte nun beginnen - gegen die Karenzzeit! Nach grober Rechnung lag ich inzwischen etwa 28 min hinter dem Führenden und noch 55 km lagen vor mir; davon auch noch 40 km mit Gegenwind und... diesem Fahrrad!
Bei derart veränderter Sitzposition ist das Eintreten von Krämpfen nur eine Frage der Zeit, zumal wenn es gilt Vollgas zu fahren. Ein paar Meter noch brachte mich der Materialwagen von FdJ auf Schwung (und an dieser Stelle einmal einen Riesen Dank an die Jungs!), dann hatte ich nur noch die Jury hinter mir, und die sind bekannter Maßen gnadenlos was Hilfestellung angeht.
Ich fuhr wie um mein Leben und abgesehen von eingeschränkter Kopfbewegung und den Schmerzen in Schulter und Zunge, merkte ich, dass meine Beine in Ordnung waren. Wenigstens ein Lichtblick. Die Beschwerlichkeit der schlackernden Schuhe in den Pedalen nervte zunehmend, aber da kam der Kommisär, gab mir eine Trinkflasche, an der ich mich sogar ordentlich abziehen durfte, dabei kurz an Fahrt gewann und sagte mir, dass mein Materialwagen mit meinem persönlichen Ersatzrad weiter vorne wartete.
Da machte meinem Herz einen Sprung. Nochmal 3 Flaschen und 20 km, bis ich zum zweiten Mal in dieser Tour mein Reserverad in Empfang nehmen konnte. Die Kilometer zum Ziel zogen sich endlos, aber ich kam an. Erstaunlicher Weise mit nur knapp 26 min Rückstand. Da stand ich dem unglaublich gefahrenem Tagessieger Rasmussen, der ein 163 km Solo hinlegte, zumindest auf den letzten 50 km gar nicht so viel nach.
Geärgert habe ich mich trotzdem, den 41 min Rückstand hätten gereicht um im Zeitlimit zu bleiben, aber diese Information ist mir leider verwehrt geblieben.
Ciao,
Daniel