Amateurboxen noch interessant?


timeout4u

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Wobei man noch erwähnen sollte, dass der Amateurboxsport nicht erst mit dem Kopfschutz, den Punktmaschinen und der 2 Minuten-Runden anfing zu sterben. Es ist vielmehr ein schleichender Tod mit vielen unterschiedlichen Krankheiten.

Im Grunde war das Amateurboxen in Deutschland schon immer ein Randsport, der sich selber tragen musste. In den Nachkriegsjahren war das noch einfacher. Es gab nicht so viele Freizeitangebote wie heute und es fanden sich auch mehr Leute, die sich ehrenamtlich engagierten. Und das Amateurboxen lebt vor allem durch das unentgeltliche und ehrenamtliche Engagement vieler einzelner. Angefangen vom Trainer, der sein Wochenende opfert und mit seinen Schützlingen trainiert, ohne zusätzliche Spesen oder Aufwandsentschädigungen bis hin zum Mann für die Presseartikel oder den Leuten, die den Ring aufbauten. Allein für „unliebsame“ Dinge wie eben Ringaufbau, Wäsche der Trikots, Kassiertätigkeiten finden sich heutzutage immer weniger Freiwillige, kein Wunder in der heutigen Zeit, die schneller zu verfliegen scheint als früher.

Dann lebte der Amateurboxsport früher vor allem auch durch seine lokalen Rivalitäten, durch spezielle Attraktionen und durch seinen eben sog. „wilden“ Ruf. Boxen war und ist halt eben nicht so alltäglich wie Fussball, Joggen, Radfahren etc. und er zog mit seinem besonderen Flair. Da war es ein Spektakel, wenn Boxer aus der in der Umgebung stationierten US-Militärbasis gegen eine Vereinsmannschaft antraten. 1000, 2000 und mehr Zuschauer kamen da von ganz allein in die Zelte geströmt. Dann verschwanden die US-Streitkräfte allmählich, dafür aber lockerten sich die Grenzen in den Ostblockstaaten. Jetzt waren es plötzlich die Boxstaffeln aus der CSSR, Ungarn, Polen, Russland, die viele Zuschauer anzogen. Heute dagegen fehlen durch die weltliche Entwicklung diese exotischen Begegnungen.

Der Fall der Mauer und der Grenzen spielten beim Sterben des Amateurboxens ebf. eine nicht unwichtige Rolle. Aus eigener Erfahrung sind mir auch genug Boxflüchtlinge bekannt. Bei Vergleichskämpfen gegen z.B. die CSSR oder Polen in Deutschland setzten sich auch hin und wieder Boxer ab. Das Echo war zunächst hoch. Meist handelte es sich hier um Landes-Europa- oder Weltmeister und viele Leute wollten von dieser Attraktion etwas abhaben. Da wurden die Boxer aus den eigenen Reihen plötzlich zurückgestellt. Für den neuen und vermeintlichen Starboxer dagegen suchte man Job, Arbeit u.s.w. Und das Ende vom Lied? Viele „Flüchtlinge“ kamen mit dem neuen Leben nicht zurecht bzw. waren überfordert. Nach dem Motto „Boxen? Training? Ich musste heute schon 8 Stunden in der Fabrik arbeiten, dann wartet der Hausbau auf mich - da hab ich für Boxen keine Zeit mehr.“ Die Moral von solchen Geschichten? Der Verein musste plötzlich auf den sog. Starboxer verzichten und gleichzeitig auch auf einige Leute aus den eigenen Reihen, die sich zurückgesetzt und hintergangen fühlten. Natürlich gab und gibt es auch andere erfolgreichere Beispiele von sog. Boxflüchtlingen, keine Frage, aber diese negativen Fällen gab es eben auch.

Ähnlich lief es dann mit den DDR-Boxern und DDR-Trainern ab. Die alten BRD-Trainer waren auf einmal nicht mehr gut genug. Man erhoffte sich einen Aufschwung vom DDR-Boxsystem, aber man vergaß dabei, dass das System in der BRD anders funktionierte. Im Grunde trainierten die alten BRD-Trainer ja weitgehend genauso wie die DDR-Kollegen mit dem Unterschied, dass ihre Schützlinge mehr Verlockungen in der Freizeit ausgesetzt waren und Schule, Ausbildung, Beruf mit dem Boxsport schwieriger zu vereinbaren war als eben in der DDR. Doch davon wollten vor allem die sog. „Oberen“ wenig wissen. Es hieß plötzlich nur noch, was können wir alles von dem DDR-Boxen lernen. Umgekehrt wurde das Lernen leider weitgehend vernachlässigt. Natürlich will ich hier keinem zu nahe treten und sicher haben und hatten einige DDR-Leute durchaus mehr drauf bzw. etwas zu lehren, aber das alles erfolgte in den meisten Fällen eben weniger partnerschaftlich oder gleichberechtigt, sondern vor allem über Kontakte, Beziehungen, Bevorzugungen und mit wenig Toleranz und Einfühlungsvermögen auf beiden Seiten.

Nicht zuletzt musste das Amateurboxen schon immer gegen das Profiboxen ankämpfen. Heute gegen den Boxerschwund, früher gegen den schlechten Ruf der Ära Weller, Rocky & Co. Ich erinnere mich noch gut an eine Amateurboxveranstaltung zwischen einem deutschen Verein und einer CSSR-Auswahl, bei der mehrere Olympiateilnehmer, Welt- und Europameister in den Ring stiegen. Mehr als dreitausend zahlende Zuschauer zog dieses Event damals in den Bann und eingeladen war auch der OB und einige Stadträte. Niemand dieser Politiker erschien damals natürlich zu dieser Boxveranstaltung in einem Bierzelt. Lieber nahmen diese Leute damals an einem Altherren-Tennisturnier der Kreisklasse vor weniger als 500 Zuschauern statt. Soviel zum Stellenwert des Boxens damals. Obwohl der OB dann später doch noch auftauchte. Allerdings mit Hut und Sonnenbrille und der Erwähnung, bitte nichts von seinem Boxbesuch in der Presse zu erwähnen.:crazy:

Tja, so sind sie eben die sog. Funktionärsköpfe, die mit ihren Entscheidungen zum Sterben des Amateurboxens das Übrige beitragen. Wie damals bei der Einführung des Kopfschutzes, als man ca. 2, 3 Jahre frei wählen durfte, ob man mit oder ohne Kopfschutz boxen wollte. Da war es keine Seltenheit, dass ein Boxer mit Helm gegen einen Boxer ohne Helm boxte und die Zuschauer sich irgendwie wunderten, wie so etwas sein konnte. Von Gleichbehandlung keine Spur und ob ne Besserung in Sicht ist, wage ich zu bezweifeln.:saint:
 
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