Wurstkatastrophe
Die Wurstkatastrophe bezeichnet ein paradoxes Phänomen beim Vergleich der Packungsdichte verschiedener Kugelpackungen. Es geht bei der Wurstkatastrophe nicht darum, dass sich echte Kugeln paradox verhalten, sondern darum, dass die mathematisch errechenbare Packungsdichte bei 55 Kugeln bei einer linearen Wurstform günstiger ist, und dann bei 56 Kugeln plötzlich zugunsten der Cluster-Verpackung umschlägt.
Vorbemerkungen
Eine Verpackung von Kugeln, deren Mittelpunkte auf einer geraden Linie liegen nennt man eine Wurst oder wurstförmige Verpackung. Umhüllt man eine solche Anordnung mit einer Gummihaut, gleicht das Ergebnis einer Wurst - daher der Name. Ein Beispiel für die Anordnung der Kugeln in einer "wurstförmigen" Verpackung ist die handelsübliche Verpackung von Tennisbällen in einem Röhren-Karton.
Eine weitere Möglichkeit besteht darin, die Kugeln in eine Ebene anzuorden, die entsprechende Verpackung wird "Pizza" genannt und z.B. bei Pralinen verwendet. Sind die Kugeln allgemein dreidimensional angeordnet (also weder in Form einer Wurst noch in Form einer Pizza) spricht man von einem Cluster, wie z.B. bei Obst in einer Kiste mit gegeneinander versetzten Reihen genutzt.
Optimale Verpackung
Ziel einer ökonomisch optimalen Verpackung ist es, dass möglichst wenig Leerraum zwischen den Kugeln bleibt. Der Leerraum hängt von der Anordnung der Kugeln ab. Für eine oder zwei Kugeln ist jeweils nur eine Anordnung in der Umhüllung möglich, ab drei sind jeweils mehrere verschiedenen Anordnungen möglich:
Werden 3 Kugeln aneinander gereiht und mit einer elastischen "Wurstpelle" - wie in der ersten Abbildung für 6 Kugeln gezeigt - verpackt, haben die luftgefüllten Zwischenräume ein geringeres Volumen als bei der Clusterförmigen-Verpackung (auch wenn die zweidimensionalen Darstellungen das Gegenteil zu zeigen scheinen).
Clusterpackung
Bei 3 Kugeln ist die Wurstverpackung die beste Anordnung: Sie ist diejenige, die am wenigsten Leerraum lässt.
Diese Regel behält ihre Gültigkeit zunächst auch bei einer ansteigenden Kugelzahl. So lange es sich um weniger als 56 Kugeln handelt, ist die Wurstanordnung immer die dichteste und damit ökonomischste Verpackung.
Ab einer Kugelzahl von 56 gilt diese Regel nicht mehr: Es gibt dann (bis auf vier Ausnahmen) stets mindestens eine Cluster-Anordnung, deren Packungsdichte günstiger ist als die einer "Wurst-Anordnung". Dieser Übergang wird von Mathematikern scherzhaft als Wurstkatastrophe bezeichnet. Die Bezeichnung "Katastrophe" beruht auf der Erkenntnis, daß sich die optimale Anordnung beim Übergang von 55 auf 56 Kugeln sich "schlagartig" von einer geordneten Struktur (Wurst) in eine relativ ungeordnete Struktur (Cluster) ändert.
Mathematischer Hintergrund
Das mathematische Problem hinter der Wurstkatastrophe kommt aus dem Gebiet der endlichen Kugelpackungen. Ziel ist es, eine bestimmte Anzahl von Kugeln mit gleichem Radius so anzuordnen, dass das Volumen innerhalb der konvexen Hülle möglichst gering ist (oder anders ausgedrückt: Minimierung des Zwischenraums in der Hülle). Die konvexe Hülle ist dabei die Menge, die entsteht, wenn man zu den Kugeln noch alle Verbindungslinien zwischen je zwei Punkten auf den Kugeln hinzugibt. Im Bild entspricht das der Menge, die durch die blaue Linie begrenzt wird.
Eine optimale Anordnung zu finden, die diese Bedingungen erfüllt, ist ein mathematisch herausforderndes Problem. Jörg Wills hat 1985 die Vermutung aufgestellt, dass bis zu einer gewissen Anzahl von Kugeln die Anordnung als Wurst optimal ist, während ab einer (möglicherweise größeren) Zahl eine Clusteranordnung die beste ist. Das kleinste Zahl, ab der die Wurstverpackung nicht mehr optimal ist, entspricht der Kugelzahl, ab der die Wurstkatastrophe eintritt. Diese Vermutung ist teilweise bewiesen worden: 1992 konnten Gandini und Wills zeigen, dass ab 56 Kugeln (mit der Ausnahme 57, 58, 63, 64) die lineare Anordnung als Wurst nicht die beste ist, also in diesem Fall eine Clusteranordnung besser ist. Damit tritt die Wurstkatastrophe auf jeden Fall bei höchstens 56 Kugeln ein.
Es wird zwar allgemein angenommen, dass bei weniger als 56 Kugeln (und ebenso für die Ausnahmefälle) die Wurst optimal ist, aber ein Beweis dafür steht noch aus (Quelle: J. Wills, Math. Intelligencer (1998)).
Wurstvermutung
Die Bezeichnung Wurst stammt von Mathematiker Laszlo Fejer Toth; er stellte 1975 die Wurstvermutung auf. Die optimale Anordnung von Kugeln kann man auch in höheren Dimensionen untersuchen. Die Definition von Kugeln, konvexer Hülle sowie Volumen kann völlig analog auch in einem eudklidischen Raum mit mehr als drei Dimensionen formuliert werden. Die Wurstvermutung von Toth besagt, dass ab einer Dimension von 5 die Anordnung von Kugeln entlang einer Geraden immer die Beste ist. Demnach würde die Wurstkatastrophe in einem Raum mit mehr als 4 Dimensionen nicht mehr auftreten. Ob dies tatsächlich stimmt, ist noch unbewiesen. Das beste Resultat hierzu stammt von Ulrich Betke und Martin Henk. Sie bewiesen 1998, dass ab einer Dimension von 42 die Wurstvermutung tatsächlich gilt. Ab dem 42-dimensionalen Raum ist die Wurst also immer die dichteste Anordnung und die Wurstkatastrophe tritt nicht ein.
Interessanterweise ist in drei Dimensionen die optimale Verpackung immer entweder eine Wurst oder ein Cluster, aber niemals eine Pizza. Auch diese Tatsache scheint in höheren Dimensionen richtig zu sein: Es gibt dazu die Vermutung, dass eine optimale Anordnung immer "extreme" Dimensionen aufweist: Entweder liegen die Kugelmittelpunkte auf einer Linie (eindimensional) oder sie sind allgemein in einem n-dimensionalen Cluster angeordnet.
Verwandte Probleme
Das Problem der dichtesten Anordnung kann man auch für eine unendliche Anzahl von Kugeln betrachten. Hier geht es darum, eine optimale Anordnung von Kugeln zu finden, die den ganzen Raum ausfüllen. Die berühmteste Vermutung hierzu ist die Keplersche Vermutung.
Literatur
Max Leppmeier, "Kugelpackungen und Wurstkatastrophen oder zur Theorie der finiten und infiniten Packungen", in: A. Beutelspacher u.a. (Hrsg.), "Überblick Mathematik 1996/1997", Braunschweig/Wiesbaden 1997, ISBN 3528068922
Max Leppmeier, "Kugelpackungen von Kepler bis heute", Braunschweig/Wiesbaden 1997, ISBN 3528067926
Weblinks
Detailliertere Beschreibung