Nein, mein alter Freund. Heute genauso wenig wie vor 1, 2 oder 6 Jahren. Die vernichtenden Niederlagenserien, die Federer in den letzten Jahren (seinen besten Jahren) erlitten hat, können mit halbgaren "Triumphen" in Zeiten der sportlichen Dürftigkeit nicht ausgeglichen werden. Ich erkenne aber klar an, dass er seinen tennishistorischen Rang hinter Djokovic und Nadal zumindest gefestigt hat. Aber mit minderwertigen GS Siegen kührt man sich 2018 genauso wenig wie 2007 zum Größten. Das mag dem einen oder anderen vielleicht ein wenig hart erscheinen, aber hier geht es ja um den Gewinn von Erkenntnis und da muss gerade in einer solchen Stunde der verklärenden Hysterie eine Gegenposition ins Feld gestellt werden, welche mit klarem Kopf und kühlem Herzen gewonnen wurde.
Ich schreibe diese Zeilen auf den Marmorklippen, von wo aus ich in den letzten 12 Monaten einen guten Blick auf den atemberaubenden Niedergang eines ganzen Sports hatte und die Dinge frei von irgendwelchen fanatischen Leidenschaften, wie sie hier ja so gerne kultiviert werden, sortieren konnte.
Man kann soweit gehen und sagen, dass Tennissport auf dem höchstem Level welches uns jahrelang erfüllte, bereits seit etwas über einem Jahr nicht mehr existiert. Ich habe das an gleicher Stelle vor etwa 12 Monaten mehrmals prophezeit. Das allerdings wahrhaft eine Zeit anbrechen wird, in der sich die Carreno Bustas und Ken Andersons dieser Welt in den einst bedeutungsvollen und ehrwürdigen GS Finals und Halbfinals tummeln, während die Größten aller Zeiten sich vom Lazarett aus auf den Platz schleppen und die sogenannte neue Generation abgestorben ist bevor sie je erblühte, derartigen Schreckensszenarien habe selbst ich mich innerlich verweigert.
Dass alle Siege und Ergebnisse, die in dieser Zeit erzielt werden von geringer Bedeutung sind und ausschließlich formalen Wert haben, ergibt sich daraus von selbst. In den Annalen der Tennisgeschichte werden es später leere Seiten sein. In einer Epoche, die einen so horrenden Mangel an Grundqualität hat, ist es natürlich auch kategorisch ausgeschlossen, dass sich irgendwelche Änderungen am Ranking der Allzeitgrößen ergeben.
Das sind also in etwa die Hintergrundkulissen und Bedigungen vor denen Federer sich nun seit einigen Monaten noch einmal aufschwingt, um zumindest die größten Wunden und Narben aus den den letzten Jahren notdürftig zu lindern, bevor er sie mit in den Ruhestand nimmt. Wie bereits 2006-07 in der 1. großen Zerfalls- und Schwächephase des Sports seit der Jahrtausendwende, fängt er an zu dominieren und glänzen, wenn das allgemeine Niveau am Boden liegt und ohnehin kaum oder keine konkurrenzfähigen Gegner existieren. Das alles ist natürlich keine zufällige Fügung sondern eine Grundachse in Federers Spiel- und Wesensart. Er ist da wenn das Schicksal ihm schönes Wetter macht und kostet die Sonnenstrahlen genussvoll aus wie kein anderer. Und so ist es auch kaum verwunderlich und wenig beeindruckend, dass er nun gerade wieder einen erneuten Rausch der Illusionen erzeugt.
Aber was geschah als 2 junge Spieler mit ATG Format in ihrer Prime auf die Bühne traten und ihn zum 1. Mal wirklich konstant herausforderten? Wie souverän war seine Position in den Jahren, als der Tennissport auf dem Zenit seiner Existenz stand? Was waren er und sein schöngeistiges Spiel wert, als sie sich in den stürmischen und sauerstoffarmen Gipfelregionen der absoluten Elite bewähren mussten? Ganze 2 von 24 möglichen Grand Slam Titeln ... v-e-r-n-i-c-h-t-e-n-d. Dazu noch in jüngerer Vergangenheit die Niederlagenserie von 4 verlorenen GS Spielen gegen Djokovic plus 1 WTF Finalniederlage. Kein einziges Spiel davon ging über die maximale Satzanzahl.
Wie das Ganze spielerisch aussah, hat man hier wohl noch besser in Erinnerung als es dem einen oder anderen lieb ist. Federers Ästhetizismus und Spielweise wurden entblößt, entzaubert und völlig dekonstruiert. Es waren diese Jahre und Spiele in denen der GOAT Status für Federer in nicht mehr zu erreichende Sphären gerückt ist und deren Eindrücke er nimmermehr widerlegen kann. Durch sein empfindsames Naturell ist ihm das auch deutlich bewusster als dem Großteil seiner Fans und so waren es auch heute die traumatischen Erinnerungen vom AO Finale 2009 die ihn auf der Bühne überwältigt und zum Weinen gebracht haben. Die Tränen hatten nichts mit banaler Glückseeligkeit zu tun sondern selbst in dieser Stunde des Sieges hat die Vergangenheit Federer wieder eingeholt.
Dass er nun angesichts der Umstände wieder zu seinen Wurzeln zurückkehren kann und mit der Domination 2. klassiger Gegner noch ein paar Titel von zweifelhaftem Wert seiner beachtlichem Sammlung von eben diesen hinzufügt ist natürlich bis zu einem gewissen Grade bewundernswert und ein beseelender Trost für ihn und das ein oder andere geschundene Fanherz. Da schließt sich gewissermaßen ein Kreis. Nur ändert das nichts daran, dass er in den tennishistorischen Machtkämpfen der wirklichen Giganten als es Prime gegen Prime ging unterm Strich nicht bestehen konnte. Er und seine Spielphilosophie wurden dort gewogen, gemessen und in den meisten Fällen für nicht gut genug befunden.
Bei aller Vergangenheitsbewältigung sollten Federer und seine Geniekultanhänger sich in ihrem aktuellen Eifer und Elan aber auch bewusst sein, dass jeder neue Titelgewinn und ist er auch noch so zweifelhaft und glanzlos die entsprechenden Siege Nadals und Djokovics noch zusätzlich aufwertet. Konnten die Maestroianer sich bei früheren Zerstörungen noch auf die Schutzbehauptung zurückziehen, dass Federer ja körperlich schlicht nicht mehr über die Ressourcen verfüge um sich auf allerhöchstem Niveau zu erwehren, so wird dieser Narrativ nun in eindrucksvoller Art und Weise vom mittlerweile 36 jährigen Roger selber pulverisiert. Es manifestiert sich immer mehr die Erkenntnis, dass Federer in den großen Spielen, welche er regelmäßig verlor, tatsächlich rein qualitativ und deutlich weniger physisch unterlegen war.
Allerdings bin ich überzeugt davon, dass dieser Gedanke sich schon vor einigen Monaten auch im Lager der Fedex Jünger nachhaltig festgesetzt hat. Dem aufmerksamen Beobachter der tennisgesellschaftlichen Entwicklungen fällt auf, dass die Wellen der restaurativen Euphorie auf Seiten der Federerbewegung längst nicht mehr die früheren Höhen erreichen. Auch ihren heutigen Versuchen das kollektiv-öffentliche Gedächtnis durch Demagogik und Agitation im Sinne ihrer Tennisideologie zu beeinflussen fehlt es an der früheren Durchschlagskraft. Selbst ihre Jubelarien in einer solchen Stunde wirken blut- und geistesleer.
Es ist die morbide Stimmung des Verfalls, die das Tennis überwältigt hat und der sich auch die aktuellen Nutznießer nicht entziehen können. In Kombination mit der von Federer verkörperten Ästhetisierung des Sports wirkt sie toxisch und erstickt jede Form von Sturm und Drang. Talent ist vorhanden aber diesen neuen Generationen fehlt es an mentalem Format und Aggressivität. Es sind keine Kriegernaturen. Sie haben sich mit Federer den Falschen zu ihrem Meister gewählt oder viel eher wurde er ihnen durch eine über Jahre und Jahrzehnte gesteuerte Medienpropaganda aufgezwungen und indoktriniert. Zverev hat alle Anlagen aber in der hiesigen von Federer Mystifizierungen geschwängerten Atmosphäre wird ihm jeden Tag ein wenig mehr das Rückgrat gebrochen und so kann er, wenn es darauf ankommt, nicht aufrecht seinen Mann stehen. Hier würde nur noch eine Übersiedlung nach Osteuropa unter die Fittiche Safins die innere und spielerische Befreiung bringen. Dimitrov und Thiem sind schon lange verloren, sie haben sich vom einhändigen Maestrokult verführen und die Flügel brechen lassen. Sie werden nicht die Letzten bleiben.
Es wird die Erblast Federers und der über ihn verbreiteten Mythen und Verklärungen sein. Schöngeistige Tennisästheten denen es an Standfestigkeit und Killerinstinkt fehlt werden die Zukunft prägen. Wenn es sich bewahrheitet, dass Djokovic seine alte Rolle als Schutzpatron des Sports nie wieder annehmen kann und sich auch keine anderen adäquaten Freiheitskämpfer finden, wird die aktuelle Verfallsdynamik sich fortsetzen und das was wir aktuell als Tiefpunkt empfinden auf Jahre der neue Standard sein. Auch die, die jetzt noch naiv freundetrunken lärmen und sich berauschen werden die faden Früchte des jahrelangen Federer Primats in der Tenniskultur zu schmecken bekommen.
Vielleicht male ich mein Bild hier in zu dunklen Farben, denn natürlich ist auch Leistungssport wie das ganze Leben sich ständig wandelnden Zyklen unterworfen. Aufstieg und Niedergang wechseln einander ab und vielleicht gibt es wie bereits am Ende des letzten Jahrzehnts nach einer dunklen Periode voller Irrationalität und Mystik wieder ein aufgeklärtes Tenniszeitalter mit wirklicher Qualität und Fortschrittlichkeit. Aber zumindest am heutigen Tag gilt wohl für jeden aufrechten und wahrheitsliebenden Anhänger des Sports der bekannte Vers -'Denk ich an Tennis in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht'.