Die Corona-Pandemie hat rein gar nichts mit einem Krieg zu tun, ist aber ebenso eine Ausnahmesituation. Sie fordert von den Menschen viel Solidarität, Rücksicht und Verständnis, damit dem Gemeinwohl gedient ist. Wie blicken Sie darauf, gelingt das?
Selimbegovic: Unsere Gesellschaft hat es im Großen und Ganzen sehr solide gemeistert. Ich hoffe nur, dass sie nicht mehr so lange dauert. Das persönliche wie gegenseitige Rücksichtnehmen ist endlich und kann in Gleichgültigkeit umschlagen. So war es auch im Krieg: Anfangs hat sich jeder vor allem noch versteckt. Nach eineinhalb Jahren betraten manche Leute aber Gebiete, obwohl sie ein Schild mit der Aufschrift "Vorsicht, Scharfschützen" warnte. Dort wurden Menschen erschossen, doch man ging am nächsten Tag wieder dort entlang.
Die Pandemie hat allerdings auch einige gesellschaftliche Gräben offengelegt. Manchmal sind die individuellen Interessen doch größer.
Selimbegovic: In meiner Heimat sind einige sehr reich geworden, weil sie vom Elend profitierten und ihren Reichtum auf Leichen bauten. Das wird ihnen noch auf die Füße fallen. Da bin ich sicher, die Gerechtigkeit wird jeden einholen. Die Pandemie zeigte, dass viele ihre eigene Erklärung für die Dinge haben - und sei sie noch so seltsam. Mein Rat ist, noch mehr und ehrlicher miteinander zu kommunizieren. Denn mangelnde Kommunikation führt zu Spaltung, zumal der Mensch eher zu Abgrenzung von anderen Menschen neigt. Obwohl wir so viele Gemeinsamkeiten haben, sucht man nach kleinsten Unterschieden, die dann irgendwann nicht mehr klein, sondern riesig sind.