Der Lyrik-Thread


timberwolves

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Für eure Lieblingslyrik.


Rastlose Liebe

Dem Schnee, dem Regen,
dem Wind entgegen,
im Dampf der Klüfte,
durch Nebeldüfte,
immer zu! Immer zu!
Ohne Rast und Ruh!

Lieber durch Leiden
möcht' ich mich schlagen,
also so viel Freuden
des Lebens ertragen.

Alle das Neigen
von Herzen zu Herzen,
ach, wie so eigen
schaffet das Schmerzen!

Wie - soll ich fliehen?
Wälderwärts ziehen?
Alles vergebens!
Krone des Lebens,
Glück ohne Ruh,
Liebe, bist du!

Goethe


Ballade von den Seeräubern

Von Branntwein toll und Finsternissen!
Von unerhörten Güssen naß!
Vom Frost eiskalter Nacht zerrissen!
Im Mastkorb, von Gesichten blaß!
Von Sonne nackt gebrannt und krank!
(Die hatten sie im Winter lieb)
Aus Hunger, Fieber und Gestank
Sang alles, was noch übrig blieb:
Oh Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind die Segel bläh!
Laßt Wind und Himmel fahren! Nur
Laßt uns um Sankt Marie die See!

Kein Weizenfeld mit milden Winden
Selbst keine Schenke mit Musik
Kein Tanz mit Weibern und Absinthen
Kein Kartenspiel hielt sie zurück.
Sie hatten vor dem Knall das Zanken
Vor Mitternacht die Weiber satt:
Sie lieben nur verfaulte Planken
Ihr Schiff, das keine Heimat hat.
Oh Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind die Segel bläh!
Laßt Wind und Himmel fahren! Nur
Laßt uns um Sankt Marie die See!

Mit seinen Ratten, seinen Löchern
Mit seiner Pest, mit Haut und Haar
Sie fluchten wüst darauf beim Bechern
Und liebten es, so wie es war.
Sie knoten sich mit ihren Haaren
Im Sturm in seinem Mastwerk fest:
Sie würden nur zum Himmel fahren
Wenn man dort Schiffe fahren läßt.
Oh Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind die Segel bläh!
Laßt Wind und Himmel fahren! Nur
Laßt uns um Sankt Marie die See!

Sie häufen Seide, schöne Steine
Und Gold in ihr verfaultes Holz
Sie sind auf die geraubten Weine
In ihren wüsten Mägen stolz.
Um dürren Leib riecht toter Dschunken
Seide glühbunt nach Prozession
Doch sie zerstechen sich betrunken
Im Zank um einen Lampion.
Oh Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind die Segel bläh!
Laßt Wind und Himmel fahren! Nur
Laßt uns um Sankt Marie die See!

Sie morden kalt und ohne Hassen
Was ihnen in die Zähne springt
Sie würgen Gurgeln so gelassen
Wie man ein Tau ins Mastwerk schlingt.
Sie trinken Sprit bei Leichenwachen
Nachts torkeln trunken sie in See
Und die, die übrig bleiben, lachen
Und winken mit der kleinen Zeh:
Oh Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind die Segel bläh!
Laßt Wind und Himmel fahren! Nur
Laßt uns um Sankt Marie die See!

Vor violetten Horizonten
Still unter bleichem Mond im Eis
Bei schwarzer Nacht in Frühjahrsmonden
Wo keiner von dem andern weiß
Sie lauern wolfgleich in den Sparren
Und treiben funkeläugig Mord
Und singen um nicht zu erstarren
Wie Kinder, trommelnd im Abort:
Oh Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind die Segel bläh!
Laßt Wind und Himmel fahren! Nur
Laßt uns um Sankt Marie die See!

Sie tragen ihren Bauch zum Fressen
Auf fremde Schiffe wie nach Haus
Und strecken selig im Vergessen
Ihn auf die fremden Frauen aus.
Sie leben schön wie noble Tiere
Im weichen Wind, im trunknen Blau!
Und oft besteigen sieben Stiere
Eine geraubte fremde Frau
Oh Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind die Segel bläh!
Laßt Wind und Himmel fahren! Nur
Laßt uns um Sankt Marie die See!

Wenn man viel Tanz in müden Beinen
Und Sprit in satten Bäuchen hat
Mag Mond und zugleich Sonne scheinen:
Man hat Gesang und Messer satt.
Die hellen Sternennächte schaukeln
Sie mit Musik in süße Ruh
Und mit geblähten Segeln gaukeln
Sie unbekannten Meeren zu.
Oh Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind die Segel bläh!
Laßt Wind und Himmel fahren! Nur
Laßt uns um Sankt Marie die See!

Doch eines Abends im Aprile
Der keine Sterne für sie hat
Hat sie das Meer in aller Stille
Auf einmal plötzlich selber satt.
Der große Himmel, den sie lieben
Hüllt still in Rauch die Sternensicht
Und die geliebten Winde schieben
Die Wolken in das milde Licht.
Oh Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind die Segel bläh!
Laßt Wind und Himmel fahren! Nur
Laßt uns um Sankt Marie die See!

Der leichte Wind des Mittags fächelt
Sie anfangs spielend in die Nacht
Und der Azur des Abends lächelt
Noch einmal über schwarzem Schacht.
Sie fühlen noch, wie voll Erbarmen
Das Meer mit ihnen heute wacht
Dann nimmt der Wind sie in die Arme
Und tötet sie vor Mitternacht.
Oh Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind die Segel bläh!
Laßt Wind und Himmel fahren! Nur
Laßt uns um Sankt Marie die See!

Noch einmal schmeißt die letzte Welle
Zum Himmel das verfluchte Schiff
Und da, in ihrer letzten Helle
Erkennen sie das große Riff.
Und ganz zuletzt in höchsten Masten
War es, weil Sturm so gar laut schrie
Als ob sie, die zur Hölle rasten
Noch einmal sangen, laut wie nie:
Oh Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind die Segel bläh!
Laßt Wind und Himmel fahren! Nur
Laßt uns um Sankt Marie die See!


Brecht
(schöne Vertonung auf http://www.skorbut.de/)

Der Panther

Im Jardin des Plantes, Paris

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille -
und hört im Herzen auf zu sein.


Rilke
 

Who

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Ich liebe dich, du sanftestes Gesetz
Ich liebe dich, du sanftestes Gesetz,
an dem wir reiften, da wir mit ihm rangen;
du großes Heimweh, das wir nicht bezwangen,
du Wald, aus dem wir nie hinausgegangen,
du Lied, das wir mit jedem Schweigen sangen,
du dunkles Netz,

darin sich flüchtend die Gefühle fangen.

Du hast dich so unendlich groß begonnen
an jenem Tage, da du uns begannst, -
und wir sind so gereift in deinen Sonnen,
so breit geworden und so tief gepflanzt,
dass du in Menschen, Engeln und Madonnen
dich ruhend jetzt vollenden kannst.

Lass deine Hand am Hang der Himmel ruhn
und dulde stumm, was wir dir dunkel tun.


Rilke

Siehe, ich wusste es sind solche
Siehe, ich wusste es sind
solche, die nie den gemeinsamen Gang
lernten zwischen den Menschen;
sondern der Aufgang in plötzlich
entatmete Himmel
war ihr Erstes. Der Flug
durch der Liebe Jahrtausende
ihr Nächstes, Unendliches.

Eh sie noch lächelten
weinten sie schon vor Freude;
eh sie noch weinten
war die Freude schon ewig.

Frage mich nicht
wie lange sie fühlten; wie lange
sah man sie noch? Denn unsichtbare sind
unsägliche Himmel
über der inneren Landschaft.

Eines ist Schicksal. Da werden die Menschen
sichtbarer. Stehn wie Türme. Verfalln.
Aber die Liebenden gehn
über der eignen Zerstörung
ewig hervor; denn aus dem Ewigen
ist kein Ausweg. Wer widerruft
Jubel?


Rilke


What is it then between us?
What is the count of the scores or hundreds of years between us?

Whatever it is, it avails not--distance avails not, and place avails not,
I too lived, Brooklyn of ample hills was mine,
I too walk'd the streets of Manhattan island, and bathed in the
waters around it,
I too felt the curious abrupt questionings stir within me,
In the day among crowds of people sometimes they came upon me,
In my walks home late at night or as I lay in my bed they came upon me,
I too had been struck from the float forever held in solution,
I too had receiv'd identity by my body,
That I was I knew was of my body, and what I should be I knew I
should be of my body.


Whitman (Auszug, komplett : Crossing Brookly Ferry )
 

twinpeaks

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Vitae Summa Brevis Spem Nos Vetat Incohare Longam

(The brief sum of life forbids us the hope of enduring long - Horace)

They are not long, the weeping and the laughter,
Love and desire and hate:
I think they have no portion in us after
We pass the gate.

They are not long, the days of wine and roses:
Out of a misty dream
Our path emerges for a while, then closes
Within a dream.

Ernest Dowson
 

Buchanan

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Selanik, Ottoman Empire
Über allen Gipfeln
Ist Ruh,
In allen Wipfeln
Spürest Du
Kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur, balde
Ruhest du auch.


Goethe


Hast uns Stulln jeschnitten
un Kaffe jekocht
un de Töppe rübageschohm -
un jewischt und jenäht
un jemacht und jedreht...
alles mit deine Hände.

Hast de Milch zujedeckt,
uns Bobongs zujesteckt
un Zeitungen ausjetragen -
hast die Hemden jezählt
und Kartoffeln jeschält...
alles mit deine Hände.

Hast uns manches Mal
bei jroßen Schkandal
auch 'n Katzenkopp jejeben.
Hast uns hochjebracht.
Wir wahn Sticker acht,
sechse sind noch am Leben...
Alles mit deine Hände.

Heiß warn se un kalt.
Nu sind se alt.
Nu bist du bald am Ende.
Da stehn wa nu hier,
und denn komm wir bei dir
und streicheln deine Hände.


Tucholsky


Als ich im Wald mir erging
Rosengeschling
Sich mir an die Kleider hing.
O schlängest auch du
Zu meiner Seele Ruh
Um mich die Arme fester,
Du Rosenschwester


Christian Wagner


Ist dies nicht ein frevles Schicksalswalten,
Menschtum in zwei Teile zu zerspalten?

In zwei blutige Hälften zu zerreißen,
Eine Mann, die andre Weib zu heißen?

Beide voll von heißem Sehnsuchtsdrange,
Sich zu finden auf des Lebens Gange,

Ich dem Ich zur Opfergab zu bringen?
Ach wie wenigen, wenigen mags gelingen,

Ohne Losung, Fährten oder Spuren
Sich zu finden auf des Lebens Fluren!

Selige Kindheit, die nicht kennt die Wirren,
Nicht der Liebe grausam töricht Irren!

Selige Blume, die nichts weiß vom Fluche
Lebenslanger und vergebner Suche!


C. Wagner
 

speedclem

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mit seinen vier dromedaren,
don pedro de alfarubairan
zog um die welt und staunte an.
wie er so hätt' auch ich verfahren,
mit ebenso viel dromedaren.

(aus dem gedächtnis... guillaume apollinaire. klasse!)
 

Gast1512

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Es ist zwar Rap, aber ich finde, dass Maeckes' Part auf "Kunst über Vernunft (feat. Celina) extrem lyrisch ist, fast schon Poesie:

Maeckes schrieb:
Ich hab bis jetzt jeden, der mich liebte in die Knie gezwungen/
und nie dafür bezahlt, jetzt hab ich riesige Schulden/
Gefühle verschrumpelt, hab statt zu gießen getrunken/
und alles fließt nur in die Kunst/
ich hab die Liebe verbuddelt, mit einem riesengroßen Kreuz/
gekennzeichnet, und trotzdem nie mehr wiedergefunden/
wieviele dieser Lieder werden immer wieder gesungen?/
bis ich wieder wie ein kleiner Junge rumtolle, lieber verstumme/
und was soll ich sagen? Ich bin wer ich bin, mach was ich mach/
und wär' liebe ne Symphonie, würd bei mir 'n Klingelton erkling'n/
bin im Inneren blind, draußen seh ich zu viel, seh das Leben als Spiel/
weiß, dass ich nicht mehr in Erinnerungen bin, als/
der der nie geliebt hat/
der der lieber'n Lied macht/
der der Celina featured und/
der der sie nie geliebt hat/
ich bin niemand, was ihr bleibt? Sie ist stärker als ich/
was keine Linderung bringt, egal wie ehrlich es ist
 

HisDudeness

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'Wohin reitet der Herr?'
'Ich weiß es nicht', sagte ich.
'Nur weg von hier. Immerfort weg von hier. Nur so kann ich mein Ziel erreichen'.
'Du kennst also Dein Ziel?' fragte er.
'Ja', antwortete ich.
'Ich sagte es doch. Weg von hier - das ist mein Ziel'.

(Franz Kafka)



"Wenn du bei Nacht den Himmel anschaust, wird es dir sein, als lachten alle Sterne, weil ich auf einen von ihnen wohne, weil ich auf einen von ihnen lache. Du allein wirst Sterne haben, die lachen können!"

(Der kleine Prinz)



Wenn du mich einmal nicht mehr liebst,
Laß mich das ehrlich wissen.
Dass du mir keine Lüge gibst
Noch Trug in deinen Küssen!

Dass mir dein Herz die Treue hält,
Musst du mir niemals schwören.
Wenn eine andre dir gefällt,
Sollst du nicht mir gehören.

Wenn du mich einmal nicht mehr magst,
Und geht mein Herz in Scherben-
Das du nicht fragst, noch um mich klagst!

Ich kann so leise sterben.

(Mascha Kaleko)
 

muju90

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Der Panther


Rilke

Siehe auch:
Oliver Kahn liest und interpretiert 'Der Panther'

@ topic:

Kleines Solo

Einsam bist du sehr alleine.
Aus der Wanduhr tropft die Zeit.
Stehst am Fenster. Starrst auf Steine.
Träumst von Liebe. Glaubst an keine.
Kennst das Leben. Weißt Bescheid.
Einsam bist du sehr alleine -
und am schlimmsten ist die Einsamkeit zu zweit.

Wünsche gehen auf die Freite.
Glück ist ein verhexter Ort.
Kommt dir nahe. Weicht zur Seite.
Sucht vor Suchenden das Weite.

Ist nie hier. Ist immer dort.
Stehst am Fenster. Starrst auf Steine.
Sehnsucht krallt sich in dein Kleid.
Einsam bist du sehr alleine -
und am schlimmsten ist die Einsamkeit zu zweit.

Schenkst dich hin. Mit Haut und Haaren.
Magst nicht bleiben, wer du bist.
Liebe treibt die Welt zu Paaren.
Wirst getrieben. Mußt erfahren,
daß es nicht die Liebe ist ...
Bist sogar im Kuß alleine.
Aus der Wanduhr tropft die Zeit.
Gehst ans Fenster. Starrst auf Steine.
Brauchtest Liebe. Findest keine.
Träumst vom Glück. Und lebst im Leid.
Einsam bist du sehr alleine -
und am schlimmsten ist die Einsamkeit zu zweit.

(Erich Kästner)

Dazu auch: Verfilmung des Gedichts im Film 'Poem'.
 

Devil

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Einsamkeit ist in mir
Einsamkeit ist mein
Einsamkeit ist immer hier
Einsamkeit ist mit mir allein

(weiss nicht von wem es ist)
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:

Devil

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"Über allen Gipfeln
Ist Ruh,
In allen Wipfeln
Spürest Du
Kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur, balde
Ruhest du auch."

Das ist wirklich gut. Manche halte es für das beste Gedicht überhaupt.
 

Devil

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in meinem bekanntenkreis gibt es 3 leute, die es für das beste halten. :rocky:
 

Devil

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nein, ich was ich so gehört hab wirds es auch allgemein ziemlichg hoch gestutft, ich kenne mich aber in diesem MEtier auch nicht sehr aus.
 

Cânhamo

Von uns geschieden im Jahr 2015
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Der rechte Barbier

"Und soll ich nach Philisterart
Mir Kinn und Wange putzen,
So will ich meinen langen Bart
Den letzten Tag noch nutzen;
Ja, ärgerlich, wie ich nun bin,
Vor meinem Groll, vor meinem Kinn
Soll mancher noch erzittern.

Holla! Herr Wirt, mein Pferd! macht fort!
Ihm wird der Hafer frommen.
Habt ihr Barbierer hier im Ort?
Laßt gleich den rechten kommen.
Waldaus, waldein, verfluchtes Land!
Ich ritt die Kreuz und Quer und fand
Doch nirgends noch den rechten.

Tritt her, Bartputzer, aufgeschaut!
Du sollst den Bart mir kratzen,
Doch kitzlig sehr ist meine Haut,
Ich biete hundert Batzen,
Nur, machst du nicht die Sache gut,
Und fließt ein einz'ges Tröpfchen Blut,
Fährt dir mein Dolch in's Herze."

Das spitze, kalte Eisen sah
Man auf dem Tische blitzen,
Und dem verwünschten Ding gar nah
Auf seinem Stuhle sitzen
Den grimm'gen schwarzbehaarten Mann
Im schwarzen, kurzen Wams, woran
Noch schwärz're Troddeln hingen.

Dem Meister wird's zu grausig fast,
Er will die Messer wetzen,
Er sieht den Dolch, er sieht den Gast,
Es packt ihn das Entsetzen;
Er zittert wie das Espenlaub,
Er macht sich plötzlich aus dem Staub
Und sendet den Gesellen.

"Ein hundert Batzen mein Gebot,
Falls du die Kunst besitzest;
Doch merk' es dir, dich stech' ich tot,
So du die Haut mir ritzest."
Und der Gesell: "Den Teufel auch!
Das ist des Landes nicht der Brauch."
Er läuft und schickt den Jungen.

"Bist du der Rechte, kleiner Molch
Frisch auf, fang' an zu schaben!
Hier ist das Geld, hier ist der Dolch,
Das Beides ist zu haben!
Und schneidest, ritzest du mich bloß,
So geb' ich dir den Gnadenstoß;
Du wärest nicht der Erste."

Der Junge denkt der Batzen, druckst
Nicht lang' und ruft verwegen:
"Nur still gesessen! nicht gemuckst!
Gott geb' euch seinen Segen!"
Er seift ihn ein ganz unverdutzt,
Er wetzt, er stutzt, er kratzt, er putzt:
"Gottlob! nun seid ihr fertig!"

"Nimm kleiner Knirps, dein Geld nur hin;
Du bist ein wahrer Teufel!
Kein And'rer mochte den Gewinn,
Du hegtest keinen Zweifel,
Es kam das zittern dich nicht an,
Und wenn ein Tröpflein Blutes rann,
So stach ich dich doch nieder!"

"Ei, guter Herr, so stand es nicht!
Ich hielt euch an der Kehle,
Verzucktet ihr nur das Gesicht
Und ging der Schnitt mir fehle,
So ließ ich euch dazu nicht Zeit,
Entschlossen war ich und bereit,
Die Kehl' euch abzuschneiden."

"So, so! ein ganz verwünschter Spaß!"
Dem Herrn ward's unbehaglich,
Er wurd' auf einmal leichenblaß
Und zitterte nachträglich:
"So, so! das hatt' ich nicht bedacht,
Doch hat es Gott noch gut gemacht;
Ich will's mir aber merken."

von Adelbert von Chamisso
 

jack blackburn

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Ra’anana (Israel)
Mal etwas von Joachim Ringelnatz :

Es ist besser so


Es ist besser so.
Reich mir die Hand. Wir wollen froh
Und lachend voneinander gehen.
Wir würden uns vielleicht nach Jahren
Nicht mehr so gut wie heut verstehn.
So laß uns bis auf Wiedersehn
Ein reines, treues Bild bewahren.
Du wirst in meiner Seele lesen,
Wie mich ergreift dies harte Wort.
Doch unsre Freundschaft dauert fort.
Und ist kein leere Traum gewesen,
Aus dem wir einst getäuscht erwachen.
Nun weine nicht; wir wollen froh
Noch einmal miteinander lachen. -
Es ist besser so.



Ich habe dich so lieb


Ich habe dich so lieb!
Ich würde dir ohne Bedenken
Eine Kachel aus meinem Ofen
Schenken.

Ich habe dir nichts getan.
Nun ist mir traurig zu Mut.
An den Hängen der Eisenbahn
Leuchtet der Ginster so gut.

Vorbei - verjährt -
Doch nimmer vergessen.
Ich reise.
Alles, was lange währt
Ist leise.

Die Zeit entstellt
Alle Lebewesen.
Ein Hund bellt.
Er kann nicht lesen.
Er kann nicht schreiben.
Wir können nicht bleiben.
Ich lache.
Die Löcher sind die Hauptsache
An einem Sieb.

Ich habe dich so lieb.



Ferngruß von Bett zu Bett
Joachim Ringelnatz (1883-1934)


Wie ich bei dir gelegen
habe im Bett, weißt du es noch?
Weißt du noch, wie verwegen
die Luft uns stand? Und wie es roch?

Und all die seidenen Kissen
gehörten deinem Mann.
Doch uns schlug kein Gewissen.
Gott weiß, wie redlich untreu
man sein kann.

Weißt du noch, wie wir’s trieben,
was nie geschildert werden darf?
Heiß, frei, besoffen, fromm und scharf.
Weißt du, dass wir uns liebten?
Und noch lieben?

Man liebt nicht oft in solcher Weise.
Wie fühlvoll hat dein spitzer Hund bewacht.
Ja unser Glück war ganz und rasch und leise.
Nun bist du fern.
Gute Nacht.


Der Mann war einfach klasse.............:)
 

twinpeaks

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When You Are Old


When you are old and gray and full of sleep,
And nodding by the fire, take down this book,
And slowly read, and dream of the soft look
Your eyes had once, and of their shadows deep;

How many loved your moments of glad grace,
And loved your beauty with love false or true;
But one man loved the pilgrim soul in you,
And loved the sorrows of your changing face.

And bending down beside the glowing bars
Murmur, a little sadly, how love fled
And paced upon the mountains overhead
And hid his face amid a crowd of stars.

W. B. Yeats (1865-1939)
 
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