Herr Bresnik, Dominic Thiem trainiert in Sichtweite, zwei Plätze entfernt. Ist das nicht eine ungewöhnliche Situation für Sie?
Günter Bresnik: Ungewöhnlich ist es sicher, aber nicht unangenehm. Ich war es nicht, der auf Distanz gegangen ist, aber grundsätzlich ist das schon in Ordnung. Für Dominic ist es gut, dass er ein bisschen etwas anderes zu hören bekommt. Oder das Gleiche, das er von mir auch zu hören bekommt, bloß von einer anderen Stimme. Aus seiner Sicht war es ein notwendiger Schritt, damit er sich komplett freilaufen kann. Wenn du dich wie Dominic immer noch ein bisschen an der Kandare fühlst, dann ist das nicht gut.
Warum fühlt er sich an der Kandare?
Es liegt an meiner Persönlichkeit, wahrscheinlich ist es allein schon meine Anwesenheit, die bei fast allen Leuten einen gewissen Zustand hervorruft. Ein Zustand, den ich gar nicht möchte. Es ist ein bisschen mehr als Respekt, den Menschen vor mir haben. Niemand soll mir gegenüber etwas nicht sagen, weil er einen Spundus hat.
Das klingt mitunter nach zu viel Druck.
Ich weiß nicht, was Dominic denkt, aber wenn er das Empfinden hat, einen Druck von außen zu verspüren, dann bin ich der Erste, der ihm diesen ersparen möchte. Der Druck, den ich ausübe, der ist ja ungewollt. Wenn wie hier in der Südstadt sein Vater mit ihm trainiert, ist das auch schon etwas anderes, weil der überhaupt keinen Druck auf ihn ausübt, da ist das Verhältnis zwischen Vater und Sohn ein ganz anderes. Würde ich jetzt genauso weitermachen, würde es immer wieder in die gleiche Richtung gehen. Wenn es anders auch funktioniert, ist mir das recht.
Nicht nur zu Dominic Thiem, auch zu Wolfgang Thiem pflegen Sie schon lange Zeit ein Nahverhältnis. Er arbeitet als Trainer in Ihrer Akademie.
Wolfgang ist genauso ein Zögling wie Dominic. Die Ausbildung, die Dominic als Spieler erfahren hat, hat Wolfgang von mir als Trainer erfahren. Für mich ist Wolfgang wie ein Klon, ein zweiter Günter. Was er sagt, wann er etwas sagt, wie er es sagt: Er macht das genau so, wie ich es will.
Sie sind ein Alphatier, auf und neben dem Platz. Haben sich über die Jahre schlichtweg die Rollenbilder in dieser Trainer-Spieler-Beziehung geändert? Ist Dominic Thiem nun auch ein Alphatier, das verstärkt eigene Vorstellungen hat und diese kundtut?
Dominic Thiem ist heute der Dominic Thiem aufgrund unserer Zusammenarbeit. Aber er ist nicht ein so leicht formbares Individuum, wie alle glauben. Er ist ein Granitblock, sehr hartes Material, den Zugang zu ihm findest du nur über die intellektuelle Schiene. In einem Einzelsport ist das Spieler-Trainer-Verhältnis bei einem Spieler zwischen acht und 18 Jahren sehr trainerlastig. Irgendwann, mit 22, 23 Jahren, sind die Aufgaben gleichmäßig verteilt. Jetzt ist Dominic 25, ein Rennpferd, das du nur noch in die Startblöcke führst, dann läuft es los. Da ist dann kein Trainer mehr dabei, wenn es läuft, ab dem Zeitpunkt geht es nur noch ums Ernten. Die Basis haben wir gemeinsam in den letzten zehn, 15 Jahren gelegt, aber Ernten tut der Sportler.
Sie trainieren Dominic Thiem seit 16 Jahren, sind auch eine Art Vaterfigur für ihn. Das klingt nach keinem einfachen Prozess.
Ich bin überhaupt keine Vaterfigur für ihn, ich bin nur eine wesentlich ältere Bezugsperson. Die Tatsache, dass es aber so dargestellt wird, verschärft das Problem wohl zusätzlich. Dominic ist 32 Jahre jünger als ich, man kann den momentanen Vorgang mit einem Abnabelungsprozess eines Kindes von einem Elternteil vergleichen. Wenn ich als wesentlich Älterer in dieser Beziehung diesen Prozess nicht begreifen würde, hätte ich einen Pecker. Problematisch ist es immer für den Jüngeren, weil der darunter leiden kann. Für ihn ist es ein wesentlicher Schritt in die Selbstständigkeit, nicht für mich.
Dominic Thiem (25) und Günter Bresnik (57) trennen 32 Jahre. Ist diese Altersdifferenz zunehmend eine Belastung?
Als ich Horst Skoff zu trainieren begonnen habe, war er 18, ich 25. Da waren sieben Jahre Unterschied zwischen uns, natürlich war das etwas anderes. Mit 30 hat es mich auch noch interessiert, wie es in der englischen oder deutschen Fußballliga steht oder wer das Formel-1-Rennen gewonnen hat. Das sind Dinge, die mich heute gar nicht mehr interessieren. Abgesehen vom Beruflichen habe ich mit Dominic wenige gemeinsame Gesprächsthemen, es gibt einfach unterschiedliche Interessen. Zu 90 Prozent habe ich mit Dominic beruflichen Kontakt, das war schon immer so, unabhängig vom Alter. Als er zwölf, 13 war, bin ich ja auch nicht mit ihm Eis essen gegangen oder ins Kino, nein, ich habe mit ihm trainiert. Wie blöd würde ich mir heute vorkommen, wenn ich mit ein paar 25-Jährigen Go-Kart fahre oder Paintball spiele? Ich möchte am Wochenende auch nicht mit Fußball spielen. Und wenn ich Abendessen gehe, dann lieber zu zweit als zu siebt.
Szenekenner hatten diese, nennen wir es Weggabelung nicht für möglich gehalten. Das Gespann Bresnik/Thiem schien stets unzertrennbar miteinander verbunden. Sind Sie nicht selbst etwas überrascht?
Für mich ist es keine Weggabelung. Wenn man seinen Job gut erfüllt, braucht man gewisse Dinge nicht mehr. Meine größte Spezialität ist es, einen Tennisspieler technisch auszubilden, aber genau in diesem Bereich herrscht bei Dominic momentan der geringste Bedarf.
Also haben Sie sich durch Ihre Arbeit in der Vergangenheit in der Gegenwart verzichtbar gemacht?
Ja. Es ist der ultimative Erfolg eines Coaches, wenn er sich in einem Einzelsport unnötig und verzichtbar gemacht hat. Dominic hat zehn Jahre lang jeden Tag drei, vier, fünf Stunden Dinge eingetrichtert bekommen, er hat wie ein Berserker sein Programm abgespult. In diesem Zeitraum darfst du dir als Trainer wenige bis gar keine Fehler erlauben. Ich habe Dominic wie ein Auto konstruiert, zusammengebaut, getestet und immer wieder verbessert, jetzt steht da ein 700-PS-Luxusrennwagen. In den vergangenen 15 Jahren hat niemand anderer auf sein Tennis Einfluss genommen, die Konstruktionsarbeit war ausschließlich meine Aufgabe.
Warum braucht er dann überhaupt noch einen Coach wie aktuell den Chilenen Nicolás Massú, der ihn vorerst bis inklusive der French Open in Paris bei den Sandplatzturnieren begleiten wird?
Kein Mensch möchte allein sein. Und auf der Tennistour allein zu sein ist ohnehin eine mühsame Geschichte. Wenn Dominic der Meinung ist, dass ihm der lockere Zugang von Massú hilft, dann ist das gut. Ich habe ihn ja nicht grundlos als Touring Coach ausgesucht, habe lange überlegt, wer infrage kommen könnte.
Was kann oder soll Massú bewirken?
Bei einem Spieler wie Dominic geht es in diesem Karrierestadium nicht mehr darum, die Vorhand um ein Prozent besser zu machen. Es geht um einen gewissen Wohlfühlfaktor, im Wettkampf genauso wie in der unmittelbaren Vorbereitung und nach dem Match. Massu ist 39, er ist nach wie vor ein sehr guter Tennisspieler. Das erleichtert zum Beispiel das Aufwärmen, Dominic kann auch mit ihm Bälle schlagen. Ich habe selbst das Gefühl gehabt, dass Dominic jemanden braucht, der ihn von der Tribüne aus pusht. Ich kann und will das nicht, ich bin kein Cheerleader. Bei den Turnieren selbst kannst du ohnehin relativ wenig trainieren, wenn du lange im Bewerb ist. Das ist nicht das, was ich als vernünftiges Training bezeichne.
Also ist Massú auch für Sie die aktuell richtige Lösung?
Momentan ist das eine gute Lösung, ja. Massú ist keiner, der Dominics Tennis verändern möchte, gar nicht. Das will auch Dominic nicht. Massú ist einer, der gute Laune verbreitet. Man muss bloß aufpassen, dass in den nächsten sechs Monaten Dominics Schläge nicht darunter leiden. Diese Leute sind, was die technische Ausbildung anbelangt, komplett blank. Das sind im herkömmlichen Sinn keine Trainer.
In der Vergangenheit haben Thiems Schläge von Zeit zu Zeit immer wieder etwas Korrektur und Feinschliff benötigt, also sind Sie mit ihm auf den Platz gegangen und haben stundenlang trainiert.
Vor zwei Jahren ist Dominic nach dem Finale gegen Nadal in Barcelona (4:6, 1:6, Anm.) zu mir gekommen und hat gesagt: „Günter, wenn mir der Nadal einen hohen Spin auf die Rückhand spielt, dann hab' ich ein Problem.“ Dann haben wir daran gearbeitet. Das sind Dinge, die ein Massú sicherlich nicht bereinigen kann. Aber: Dominic ist jemand, der ein Match selbst sehr gut und schnell analysieren kann, der genau weiß, was gut oder schlecht war. Du brauchst nach dem Match zumindest jemanden, der tennisaffin ist und bei dem du das Gefühl hast dass derjenige weiß, worüber er spricht. Das Wissen hat Massú.
Dominic Thiem lobte die positive und lockere Art Massus, auch die Emotionalität des Chilenen kommt bei Ihrem Schützling gut an. Dabei hatte man das Gefühl, dass auch Sie in den vergangenen eineinhalb, zwei Jahren bei Spielen verstärkt aus sich herausgegangen sind.
Es ist ein Unterschied, ob ich mich als Cheerleader oder Betreuer sehe. Auch ein Betreuer wird in den entscheidenden und wichtigen Momenten emotional mitgehen, das habe ich auch getan. Ich bin nur niemand, der nach dem zweiten Spielgewinn aufhüpft, als wäre das Match gerade zu Ende gegangen. Ich bin eher ein Freund situationsabhängiger Reaktionen. Aber ich kann mich ja nicht den Bedürfnissen anderer verschließen, nur weil ich es nicht so praktiziere.
Wie ist derzeit Ihr Verhältnis zu Dominic Thiem, tauschen Sie sich jeden Tag aus?
Nein, wir haben uns aber auch die vergangenen zehn Jahre nicht täglich ausgetauscht. Ich habe es immer schon forciert, andere Coaches mit ihm auf Turniere zu schicken: Joakim Nyström, Gary Muller, Galo Blanco - jetzt ist es Massú. Seit zwei, drei Jahren ist es meine Wunschvorstellung, dass er komplett unabhängig ist. Dominic ist so streng und hart ausgebildet worden, dass er, um seine Werkzeuge richtig einzusetzen, frei sein muss.
Dennoch, werden Sie sich in den nächsten Wochen mit Massu austauschen, Trainingsinhalte vorgeben - oder hat er freie Hand?
Ich sage Massu gar nichts, das sagt ihm schon der Dominic.
Was machen Sie in den nächsten Wochen, während Dominic Thiem auf Turnieren ist?
Ich weiß nicht, was morgen ist und schon gar nicht, was in einer Woche, einen Monat oder einem halben Jahr ist. Da ist ja nichts in Stein gemeißelt. Ich war schon in der Vergangenheit nicht auf 25 Turnieren im Jahr mit, es waren eher so zehn bis 15. Aber auf das Sportliche werde ich bei Dominic immer ein Auge haben. Ich sehe fast jedes Match von ihm, auch in Österreich.
Angenommen Dominic Thiem gewinnt in etwas mehr als zwei Monaten die French Open in Paris und schreibt Sportgeschichte: Wäre es nicht ein seltsames Gefühl, nicht in seiner Spielerbox zu sitzen?
Im Endeffekt wäre es eine Äußerlichkeit. Wo ich einen Grand-Slam-Sieg von Dominic miterlebe, ist mir relativ wurscht. Das werden zwar viele Leute nicht verstehen, aber für mich ist es nur wesentlich, dass es dieses Ereignis gibt. Ob es die Leute wissen oder nicht, dass ich Dominic Thiem ausgebildet habe, ist mir im Endeffekt egal, in Szenekreisen ist es ja sowieso unbestritten. Um mangelnde Anerkennung mache ich mir Null Sorgen.
Was haben Sie sich in der Vergangenheit gedacht, als in Fankreisen darüber diskutiert wurde, ob Dominic Thiem einen neuen Trainer braucht?
Diese Stimmen wird es immer geben. Wenn Marcel Hirscher drei Rennen in Folge nicht auf das Podest fährt, wird es auch Leute geben, die fragen, warum er überhaupt noch Ski fährt. Ich sage immer: Kinder, Besoffene und Depperte haben Narrenfreiheit. Wenn Leute etwas begründet kritisieren und auch Ahnung vom Fach haben, dann habe ich kein Problem damit. Aber jene, die sich in Sozialen Medien meist anonym herumtreiben, wenig bis keine Ahnung vom Tennis haben und dann so etwas schreiben, die sind mir relativ wurscht. Ich mache meinen Job schon lange genug, mit gutem bis sehr gutem Erfolg.
Gab es etwas, das Sie an an Ihrem Schützling zuletzt gestört hat, etwa das Einrichten seines eigenen YouTube-Kanals? Sie halten bekanntlich nichts von Sozialen Medien.
Nein, nicht einmal das hat mich gestört. Dominic hat mich damals sogar gefragt, was ich davon halte. Ich habe ihm gesagt: „Dominic, wenn du das machen willst, dann mach es." Ich werde so etwas nicht verbieten, ich verstehe es nur persönlich nicht. Wenn ich merke, dass etwas einen negativen Einfluss hat, dann sage ich es.
Hatte es denn einen negativen Einfluss?
Freilich. Alles, was dir Konzentration raubt, ist schlecht. Ich mag keine Ablenkung. Ablenkung ist kein erfolgsförderndes Element und Soziale Medien sind doch nur Ablenkung. Er hat jetzt drei Monate nichts gemacht, kein Video gepostet. Das hat sich auf jeden Fall nicht negativ ausgewirkt. In dieser Zeit hat er sich spielerisch wieder erfangen.
Vor wenigen Tagen wurde die Aktivität mit einem neuen Video wieder aufgenommen.
Das habe ich gehört, ich wurde angerufen. Okay, das ist kein Schaden, aber ich habe Dominic gesagt: „Mach das doch nicht fix an bestimmten Wochentagen. Wenn du etwas Interessantes hast, das du der Welt mitteilen möchtest, dann mach das. Wenn nicht, dann nicht." Sonst wird es zu einer unnötigen Verpflichtung, davon hat er schon sehr viele. Das Leben des Dominic Thiem ist nicht so einfach, wie viele glauben.
Worauf spielen Sie an?
Ich brauche mir nur seinen Terminplan in dieser Woche ansehen. Am Montag hat er mit Kunden der Bank Austria gespielt, dann war eine Pressekonferenz zum Turnier in Kitzbühel. Am Dienstag hat er acht Stunden mit Ausrüster Babolat gedreht, da ist der ganze Tag weg. Dann war die ATP da, die einen Film dreht, ServusTV war da, Kia hat Fotos gemacht, das geht jeden Tag so. Auf der einen Seite ist das schön, weil es eine Form der Anerkennung ist, gleichzeitig ist es aber nichts anderes als Energieraub. Niemand ist grenzenlos belastbar. Dominic ist voll fit, verfügt aber trotzdem nur über eine gewisse Menge an Energie, mit der er gut haushalten muss. Da muss man aufpassen.
Haben Sie mit Dominic Thiem bestehende Verträge oder hatte die Zusammenarbeit bislang Handschlag-Qualität?
Dominic und ich haben einen Vertrag, für gewisse Dinge muss man sich absichern. Trainer und Manager, beide Ebenen sind geklärt.
Ich nehme an, diese Verträge laufen nicht mit Jahresende aus.
Da läuft nichts mit Jahresende aus, nein. Wenn du so lange mit jemandem zusammenarbeitest, dann machst du keine Halbjahres- oder Jahresverträge.
Quelle: Presse am Sonntag
Tennis-Ass Dominic Thiem und Coach Günter Bresnik gehen, zumindest vorübergehend, auf Distanz. Der 57-Jährige spricht ausführlich über die Hintergründe des „Abnabelungsprozesses", das Problem...
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