Formel 1 - GOAT


Benjamin

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Das Modell ist höchstwahrscheinlich durchaus nicht so schlecht - in dem verlinkten Artikel steht ja, dass auch diese Art des Modellierens einen Einfluss auf die Fahrerwahl bei den Teams hat. Wäre es völlig an den Haaren herbeigezogen, wäre es ja unsinnig, wenn die Entscheidung, wen man verpflichtet, auf so einem Modell basieren würde.

Aber um wirklich über das Modell diskutieren zu können, müsste man schon etwas detaillierter wissen, wie es zu diesen Zahlen kommt. Unter anderem folgende Fragen fände ich interessant:
  • Wie werden "Ausreißer" gewertet? In @karmakazes Beispiel gewinnt ein Fahrer das Qualifying-Duell gegen seinen Teamkollegen mit 19:1, aber seine durchschnittliche Qualizeit war dennoch knapp schlechter, weil er in einem einzelnen Qualifying gleich eine ganze Sekunde hinter dem Teamkollegen landete. Ohne mehr über die Hintergründe zu wissen, würde ich dennoch klar den 19:1-Sieger als den besserem Qualifyer bezeichnen. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass diese eine Sekunde an diesem einen Wochenende nicht durch eine fahrerische Schwäche auf diesem einen Kurs zustandegekommen ist, sondern durch sonstige Umstände (Verkehr auf dem Kurs, Reifenwahl, einsetzender Regen) ist doch relativ hoch. Ein gutes Modell dürfte daher aus meiner Sicht einzelne Ausreißer nicht zu hoch gewichten.
  • Wie kann man möglichst gut objektiv die Leistung zweier Fahrer mit unterschiedlichen Autos vergleichen?
  • Welche Zeiten werden im dreistufigen Qualifying für den Vergleich herangezogen, wenn die Fahrer unterschiedlich weit kommen? Denken wir zum Beispiel an Monaco 2019. Charles Leclerc schied damals bereits in Q1 aus, weil Ferrari davon ausging, dass seine Zeit zum Weiterkommen reichen würde und ihn nicht nochmals mit frischen Reifen auf die Strecke schickte - was eine fatale Fehleinschätzung war. Sebastian Vettel hingegen durfte in Q1 nochmals mit frischen Reifen ran und erzielte hier sogar die Bestzeit. In so einem Fall ist ein fairer Vergleich zwischen den Fahrern eigentlich gar nicht möglich.
  • Wie geht das Modell damit um, dass sich die Grundschnelligkeit eines Fahrers im Lauf der Karriere eben doch ändert? Ein gutes Beispiel ist vermutlich Michael Schumacher, der das Qualifying-Duell gegen Nico Rosberg mit 18:40 klar verloren hat, in dem Modell aber dennoch als besserer Qualifyer gehandelt wird (dass ich übrigens hier wieder auf das Duell eingehe und nicht auf die Zeiten, ist einerseits Faulheit, aber andererseits ist es doch unwahrscheinlich, dass Schumacher in den Qualifyings, in denen er Rosberg geschlagen hat, gleich so viel besser war, dass das Pendel bei den Zeiten insgesamt wieder zu seinen Gunsten ausschlagen würde). Und man kann es noch nicht einmal nur aufs Alter schieben, denn interessanterweise verlor Schumacher 2010 mit 5:14 und 2011 mit 3:16 wirklich brutal deutlich, konnte 2012 aber mit 10:10 auf einmal wieder mithalten.
Und wahrscheinlich wären noch weitere Infos interessant, das waren jetzt nur die ersten, die mir eingefallen sind.
 

desl

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Naja, du urteilst aus Sicht einer Dichotomie (Sieg-Niederlage), das Modell (oder neurale Netz oder was auch immer) aus Sicht der Zeitdifferenzen.

Dessen war ich mir durchaus bewusst, aber soweit ich mich an die zitierten Quali-Duelle in den letzten knapp 15 Jahren erinnere, gab es dort keine außerordentliche Abweichung zwischen Zeitdifferenzen und einer gewissen Differenz, wer ein Quali-Duell häufiger gewonnen hat.

Verstappen, Sainz und Ricciardo waren - soweit ich mich erinnere - von den Zeiten her immer relativ nahe beieinander ... auch wenn Verstappen ein Quali-Duell gegen Ricciardo (quantitativ) recht deutlich gewonnen hat.
Hingegen dazu starteten Sainz und Hülkenberg mehrere Plätze hinter ihren Renault-Teamkollegen, weil auch ein gewisser Zeitabstand zu diesen da war.

Ebenso bestand - in meiner Erinnerung - ein signifikanter Zeitabstand zwischen Trulli und Kovaleinen im Caterham sowie zwischen Kovalainen und Hamilton im Mercedes. Deutlich größer als zwischen Hamilton/Alonso und Trulli/Alonso.


Ich muss gestehen, dass mir die Top10-Auflistung es dann doch nicht wert war, die ganzen Zeiten jeglicher Qualifyings zu recherchieren...
 

karmakaze

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Wie werden "Ausreißer" gewertet? In @karmakazes Beispiel gewinnt ein Fahrer das Qualifying-Duell gegen seinen Teamkollegen mit 19:1, aber seine durchschnittliche Qualizeit war dennoch knapp schlechter, weil er in einem einzelnen Qualifying gleich eine ganze Sekunde hinter dem Teamkollegen landete. Ohne mehr über die Hintergründe zu wissen, würde ich dennoch klar den 19:1-Sieger als den besserem Qualifyer bezeichnen. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass diese eine Sekunde an diesem einen Wochenende nicht durch eine fahrerische Schwäche auf diesem einen Kurs zustandegekommen ist, sondern durch sonstige Umstände (Verkehr auf dem Kurs, Reifenwahl, einsetzender Regen) ist doch relativ hoch. Ein gutes Modell dürfte daher aus meiner Sicht einzelne Ausreißer nicht zu hoch gewichten.
Das Beispiel war von mir mit den Zahlen bewusst als Extrembeispiel gewählt. Ein Fahrer B, der permanent 0,05 Sekunden langsamer ist als ein Fahrer A, ist in meinen Augen nicht wesentlich langsamer. RB wäre froh, wenn ALB auch nur ansatzweise so nah an VER dran wäre, z.B. Eine 19:1-Duell-Statistik würde also den Zusammenhang verfälschen. Wäre Fahrer B im Schnitt 0,6 Sekunden langsamer, würde die 19:1-Statistik dies korrekt wiedergeben. Dann wäre aber auch die Zeitdifferenzmetrik völlig korrekt. Mit anderen Worten, ich würde deutlich mehr auf die Zeitdifferenz setzen (weil nicht vereinfacht), als auf die Duell-Statistik. Dass man jetzt aus verständlicher Bequemlichkeit heraus dann mit der Duell-Statistik die Sinnhaftigkeit der Zeitdifferenz bzw. des dahinter liegenden Modells verleugnet, erscheint in diesem Licht unlogisch.

Ich denke auch, dass wir über die Methodik (AWS, Modellierung, Variablen) mehr erfahren müssen, um das einschätzen zu können. Häufig wird ja auch AWS für den ein oder anderen Insight kritisiert, z.B. hier:
Allerdings wird häufiger die eigentliche Darstellung (bzw. die bloße Existenz) kritisiert als die Methodik selbst. Wenn man dann bedenkt, welche Prognosefehler selbst bei einfachsten Aufgaben möglich sind, erscheint mir die Top-10 (hätte gern die Top-100) aber doch durchaus im annehmbaren Bereich für die gestellt Aufgabe (schnellste Qualifyer).
 
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LeZ

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Meine Herren. Schumacher hat das "Duell" mit Rosberg verloren, als er als Entwicklungsfahrer mit 41 Jahren zu Mercedes nach langer Wettkampfpause und einer GEHIRNOPERATION zurückgekehrt ist. Mit einer statt zwei Arterien im GEHIRN. Natürlich war er da nieeee langsamer als vorher.
 

spatz

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Benjamin

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Immerhin sind hier sogar die Top 20 zu finden. Und die bieten weitere Überraschungen: Rubens Barrichello liegt auf Platz 11 und damit vor Valtteri Bottas (13.), Jenson Button (17.) und Alain Prost (20.). Also wer hatte hier die stärkeren Teamkollegen? :D
 

karmakaze

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Irgendwie kommt mir die Studie bekannt vor.
Die Top 20 sind kurz nach meinem Post schon bekannt geworden. Das ist also eigentlich nicht neu, habe aber auch nicht da drauf geschaut.
Immerhin sind hier sogar die Top 20 zu finden. Und die bieten weitere Überraschungen: Rubens Barrichello liegt auf Platz 11 und damit vor Valtteri Bottas (13.), Jenson Button (17.) und Alain Prost (20.). Also wer hatte hier die stärkeren Teamkollegen? :D
Fakt a) Fast alle Fahrer ab VET liegen derart eng beieinander, dass der Fehler eher in der ordinalen Rangfolge zu suchen ist denn in der zugrundeliegenden Auswertung, die keine Rangfolge kennt. Barrichello, Bottas und Button sind so dicht bei einander, dass die Hierarchie eigentlich geteilte Plätze vergeben könnte. Das ist ein bekanntes Problem von Qualitätsreduktion in Daten. Wenn ich beispielsweise irgendeine Kompetenz nehme, egal welche, und einen Kompetenzscore dann in Quantile übersetze, sieht die Rangfolge 90. Quantil vs. 91. Quantil vielleicht danach aus, ob ein Mitglied des 90. Quantils schlechter wäre als einer des 91. Quantils, der Unterschied wird aber in aller Regel marginal sein.
Fakt b) Dass Barrichello in dieser Gruppe auftaucht, verwundert doch eher kaum, war er doch ein exzellenter Qualifyer, Ersterer hat Hülkenberg, der selbst ein sehr guter Qualifyer ist und in der Liste auftaucht, 2010, also schon im Rentenalter, geschlagen und auch 2009 war er tendenziell der Schnellere im Q gegen Button. Dass er in seiner Ferrari-Zeit gegen den noch besseren Qualifyer MSC den Kürzeren zog und auch im Rennspeed deutlich schlechter war, negiert nicht wirklich das Ergebnis. Es wäre immer zu erwarten, dass wenn Platz 11 mit Platz 2 duelliert, Platz 11 häufiger verliert als gewinnt, egal in welcher Sportart.

Edit: Was Brawn und Smedley selbst dazu sagen...
 
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