Sorry, ich kann diese "Lotterie"-Aussagen einfach nicht verstehen. Es sind immer die gleichen Teams und Fahrer, die mit den Reifen gut haushalten können und es sind immer die gleichen Teams und Fahrer, die Probleme damit haben. Wo ist denn da bitte die Lotterie? Die Situation ist für alle Teams und Fahrer gleich.
Ich finde die aktuelle Reifen-Situation auch nicht so prickelnd, aber das Reglement ist halt so. Ich finds unfair von Leuten wie Lauda, die da Pirelli die Schuld in die Schuhe schieben wollen ... dabei macht Pirelli nur das, was von der FIA gefordert wurde.
Nehmen wir die Diskussion mal etwas auseinander:
Argument "jeder hat gleiche Chancen" aus Teamsicht: Von den Top-Teams her betrachtet ja. Man kann auch sicherlich einiges tun, um mit Aufhängungsgeometrie und Aeroeffizienz der Problematik vorzubeugen. Nicht umsonst sind mit Lotus und Ferrari die wohl effizientesten Designs derzeit im Vorteil. Andererseits ist es aber gerade für einige einfach nicht mehr nachvollziehbar. Die versammelten Designteams von Mercedes, Williams und McLaren versteht diesen Reifen einfach nicht. Sind die denn alle inkompetent? Noch letzte Saison wurden zumindest die letzten beiden Teams noch für ihre Designs gelobt (auch von mir). Ergo, pro und contra Reifen, also Unentschieden. Es gibt sicher Dinge, die man als Team tun kann. Nur tappt gerade wohl fast jeder wegen der Unberechenbarkeit/Nicht-Parametrisierbarkeit dieser Reifen (vgl. weiter unten) im Dunkeln.
Argument aus Fahrersicht: Auch hier mag es wieder Typen geben, die sich daran anpassen können oder die wegen ihrem Fahrstil Vorteile besitzen, z.B. Raikkönen und Button. Nur, es liegt ja nicht mal mehr in des Fahrers Hand. Lande ich im Mittelfeld und muss für ein gutes Resultat pushen, fahre ich mir automatisch den Reifen kaputt. Genau genommen gilt diese Regel auch vollkommen ohne Mittelfeld: Der (arme) Massa sollte heute Raikkönen angreifen und fährt sich trotz 6 Runden jüngerer Reifen und leerem Boliden die Reifen in den Ruin. Zuletzt hat eine ganze Reihe von Fahrern ebenfalls aussichtslos normale Zweikämpfe ausgefochten. Kein Wunder, dass es mittlerweile als notwendig gilt, gänzlich auf jeden Zweikampf zu verzichten. Am besten Glück haben, gar keine Kämpfe eingehen und das gesamte Rennen verwalten. Man kommt ja wegen DRS (und trotz nachwievor schlechter DRS-Zonenlegung) trotzdem vorbei. Eine ganze Reihe von Fahrern kann auch nicht einmal ohne Zweikämpfe die Reifen im Betriebsfenster halten, weil die Abstimmung einfach nicht stimmt (z.B. Vettel dieses Rennen - wohl auch der Grund, warum hier einige erst jetzt aufschreien). Ergo, mehr contra denn pro.
Argument aus Imagesicht: Sicherlich baut Pirelli diese Reifen auf Anweisung der FIA. Aber wissen die wirklich, was sie da tun? Gerade diese Tirade um den "neuen" harten Reifen und der peinliche Vorfall mit den Windkanalversionen verdeutlicht, dass die oftmals genauso im Trüben fischen wie die Teams selbst. Sicherlich, die Reifeningenieure sind fähige Männer (vielleicht auch Frauen?), aber es ist schon abenteuerlich, zu lesen, wie groß die Unterschiede der Prognosen von Pirelli zu den Resultaten sind. Eine reichhaltige Palette von Taktiken (fälschlicherweise oft Strategien genannt) werde mit diesen Reifen geboten? Wo bitte? Außer Lotus und ein paar verzweifelten Hinterbänklern hat doch keiner ernsthaft an einer 3-Stopp-Taktik festhalten können. Einige waren wohl auch schon versucht, einen fünften Stopp einlegen zu wollen oder zu müssen. Ob denn eine vorher ausgefuchste Taktik funktioniert oder nicht, ist im Vornherein auch keinem klar. Eigentlich fährt jeder mit Optionen. Ist der Abbau besser als gedacht? 3 Stopps. Ist er schlechter, dann halt 4. Ist er ganz schlimm, war's das wohl. Und das bei eigentlich völlig unbekannten Parametern. Warum der Option heute teilweise genauso lang hielt wie der Prime, und das auf einer der reifenmordensten Strecken, kann keiner stichhaltig erklären. So, liebe Pirelli-Manager: Ist es dieses Image, dass ihr euch für den Straßenverkehr erhofft? Ergo, eigentlich nur contra.
Argument der Überholbarkeit: Früher war alles anders. Früher konnte man sich zu 99% sicher sein, dass man nicht überholt wird. Dann kam DRS - dass ich trotz seiner artifiziellen Wirkung eigentlich unterstütze. Dann kamen diese Reifen. Heute kann man sich zu 99% sicher sein, dass man überholt wird. Wieso? Der einzige Grund, warum man von hinten bedrängt wird, ist schlicht, dass der hinter einem bessere Reifen hat. Aus besagten Gründen ist es dann deutlich ratsamer, eigentlich keine Gegenwehr zu leisten. Tut man es doch, ruiniert man sich nur das Rennen. Und dank der glorreichen Eigenschaft eines abbauenden Reifens, gerade dort Defizite gegenüber einem neuen zu haben, wo Überholmanöver vorbereitet werden, nämlich vor langen Geraden und in langgestreckten Kurven, ist die Gegenwehr eigentlich auch fahrerisch sinnlos. Neben dem DRS-Vorteil kann der Hinterherfahrende deutlich früher beschleunigen. Ergo, fast nur contra.
Ich konstatiere, sicherlich ist vieles gut gewollt und gemeint. Es ist aber eine eigentlich schreckliche Erfahrung für alle außer der FIA. Spannende Rennen werden defacto nur durch Reifenmord produziert, die zu spannenden, weil völlig unvorhersehbaren Rennen führen. Das ist auf den ersten Blick für den Zuschauer spannend. Durchblickt er, wie wir, dieses Spiel aber erst einmal, ist er zwar gut unterhalten, aber auch ziemlich erschüttert. Erfolg, also ein gutes Rennergebnis, ist nicht mehr die Folge zahlreicher Facetten wie Taktik, Bolidengeschwindigkeit und Fahrer, es ist nur noch die Folge eines einzigen Merkmals, dem Reifenverschleiß. Das muss ich auch anerkennen, obwohl mit Alonso mein persönlicher Favorit gewonnen hat.