Wer das Urteil des World Motorsport Council in voller Länge auf Englisch lesen möchte, kann es übrigens
hier bei grandprix.com tun.
Es ist schade, dass man die FIA-Urteile (auch die der Rennkommissare) selten in voller Länge zu lesen bekommt, denn sie sind meistens ziemlich gut. Die Sachverhalte schön kompakt und die Schlussfolgerungen meisten logisch.
Neben den Mails von Alonso und De La Rosa, die bereits in dern Motorsport-total recht ausführlich zitiert sind (nebenbei hochinteressant, da kann man gar nicht genug bekommen...) haben offenbar auch Telefonabhörungen der italienischen Polizei eine große Rolle gespielt. Außerdem scheint Coughlan auch eine Art Geständniserklärung geschickt zu haben,
"4.6 In total, at least 288 SMS messages and 35 telephone calls appear to have passed between Coughlan and Stepney between 11 March 2007 and 3 July 2007.
4.7 The number of contacts increased considerably during private tests carried out by Ferrari in Malaysia at the end of March 2007 and in the run up to and during the days of the Grands Prix in Australia on 18 March 2007, Malaysia on 8 April 2007, Bahrain on 15 April 2007 and Spain on 13 May 2007."
Insgesamt ist die Geschichte schon reichlich dreist. Es ist natürlich abwegig, dasd Coughlan über 4 Monate völlig im Alleingang gehandelt hat. Man wird es halt so gehandhabt haben, dass möglist wenig Nachweisbares am Team hängen bleibt.
Man muss natürlich insgesamt wissen, dass die F1 schon ein etwas spezielles Business ist. Es gibt ein permanentes Wechselkarrussell, nicht nur bei den Fahrern, sondern beim gesamten Personal, v.a. den ganzen Technikern, die öffentlich nicht so bekannt sind, aber auch Mechanikern und dem ganzen sonstigen Personal. Natürlich dürfte die ganze Abwerberei auch dazu dienen, an aktuelle Informationen von anderen Teams heranzukommen, wenn man meint, dass sie in einem bestimmten Bereich einen Vorsprung haben. 2-3 Jahre alte Informationen sind natürlich meist kalter Kaffee, aber Infos, die den Stand von vor einigen Monaten wiedergeben, sind schon sehr nützlich. Und ebenso wie Allen glaube ich, dass es schon öfter mal vorkommt, dass da ein wechselnder Techniker auch mal eine "Gedächtnisstütze" mitbringt - wie jetzt im Renaultfall-, was dann natürlich schon Spionage ist. Aber solche Fälle werden oft vorkommen, und wenn sie rauskommen, dann werden sie vertraulich geregelt.
Dass diese Geschichte an die große Glocke gehängt wurde, dürfte daran liegen, dass diese Sache von den Beteiligten wirklich extrem dreist + dämlich war und dazu noch mehrere Monate gelaufen ist.
Das Folgende ist jetzt eine Vermutung von mir, aber ich halte es für recht wahrscheinlich, dass Ferrari nach dem ersten Verdacht unter der Hand mit McLaren Kontakt aufgenommen hat. Vermutlich haben sie es erst dann groß rausgebracht, weil es McLaren entweder abgestritten hat, oder sie gemerkt haben, dass es weitergelaufen ist, bzw. dass die Sache wesentlich größer war
als angenommen.
Welchen Vorteil hat McLaren nun gehabt? Genau beurteilen können das nur die betroffenen Ingenieure. In vielen Fällen kann man technische Lösungen der Konkurrenten nicht 1:1 nachbauen, weil die Autos verschieden sind, in manchen vielleicht doch. Aber Entwicklungsanregungen kann man schon erhalten, siehe die Beispiele im Abschnitt 3 des FIA-Urteils. Nimmt man noch dazu, dass Stepney z.B. in Malaysia die Tankstrategie von Ferrari verraten hat, läppert sich schon dies und jenes zusammen. Dazu kommen natürlich Anregungen für das nächstjährige Auto.
Übrigens wird das Urteil über die Maßnahmen gegen McLaren für 2008 immer falsch wiedergegeben. Hier der Passus:
"9.4 In addition, in the interest of ensuring that McLaren is not unfairly advantaged as against any of its competitors in the 2008 Championship, the WMSC instructs the FIA technical department to conduct an investigation of McLaren's preparatory work on its 2008 car with a view to determining whether that car incorporates any Ferrari confidential information and report back before the WMSC meeting of December 2007. Once the WMSC has considered this report, a separate Decision will be taken regarding McLaren's participation in the 2008 Championship, including whether any penalty should be imposed. This present Decision does not in any way affect McLaren's entitlement to participate in the 2008 Championship if the entry conditions are fulfilled."
Wenn ich an der Stelle von Ron Dennis und Norbert Haug wäre, würde ich gegen das Urteil keine Rechtsmittel einlegen, brav die 100 Mio. € löhnen (die allerdings kein Pappenstiel sind) und ansonsten die Fresse halten.