Anstoß-Serie vom 2./3./4. August (Nicht der Doper ist pervers, sondern die Welt, in der er lebt)
Die Hammerwerferin, die am Weltrekord kratzt, der Basketball-Superstar, der 120 Spiele pro Jahr auf höchstem Niveau bestreitet, die Fußball-Nationalmannschaft, die bei der WM wie aufgedreht wirkt – sie lieferten, frei von bösem Verdacht, erfreuliche deutsche Sport-Schlagzeilen der letzten Wochen. Frei von bösem Verdacht? Gibt es das in diesen Zeiten überhaupt noch? Gab es das überhaupt schon einmal? Noch in der letzten Woche widmete der »Spiegel« dem 100-m-Weltrekordler Justin Gatlin eine wohlwollende Story: Schnell, wohlerzogen, Antidoping-Kämpfer, ein echter »Musterknabe«. Nun ist er der böse Bube. Jan Ullrich schweigt beredt, Floyd Landis redet nichtssagend. Lance Armstrong bleibt siebenfacher Toursieger. Marion Jones läuft wieder. Jim Montgomery nicht. Jens Voigt schimpft über die Doper: »Alle auf den Scheiterhaufen!« Sein Kollege Jesus Manzano: »Alle, die in Paris ankamen, waren gedopt.« Voigt kam an.
Wer lügt, wer sagt die Wahrheit? Zwischen Schein und Sein lauern Lug und Trug. Der Schein ist das Image. Einige hatten oder haben in den Medien ein gutes, andere ein schlechtes, doch die innere Mechanik unter diesen Zwiebelschalen der Selbstinszenierungen bleibt gleich und gilt für alle: Niemand kann erfolgreich Leistungssport betreiben, wenn er auf leistungssteigernde Mittel verzichtet, die die ebenso talentierte und trainingsfleißige Konkurrenz anwendet. Logischer Schluss: Entweder Doping freigeben (was rechtlich, moralisch und nicht zuletzt sportlich keine Lösung sein darf), oder anderweitig für chancengleiche Verhältnisse sorgen. Anderweitig – das ist die derzeitige Praxis, durch Abschreckung und Überführung mittels Kontrollen die Quote der Doper im Sport zu verringern. Der Haken dabei: Wenn, wie im Profiradsport und Leichtathletik-Sprint zu vermuten, die Doper-Quote im letzten Vierteljahrhundert von fast hundert auf etwa fünfzig Prozent gesenkt wurde, greift jenes »Kakao-Paradoxon« (Anstoß vom 14. Juli), das den sportlichen Leistungsvergleich sportlich uninteressant macht: Wer sich noch für die Radrundfahrt durch ein benachbartes Land interessiert, trinkt den Kakao, durch den er sich ziehen lässt, hieß die These, die uns Landis dann freundlicherweise verifizierte.
Was nun? Was tun? Einflussreiche Medien von FAZ bis Süddeutsche Zeitung fordern das Antidopinggesetz, und auf diesen Zug springen jetzt populistische Politiker mit gesinnungsethischer Inbrunst auf, sogar der Verantwortungsethiker Wolfgang Schäuble schließt sich an, und nur der deutsche Sport-Boss Thomas Bach leistet noch sachkundigen Vernunft-Widerstand. In einem dreiteiligen Essay (im echten Wortsinn von »Versuch«) wollen wir nachweisen, dass ein Antidopinggesetz absurd wäre – und dass nicht der Doper pervers ist, sondern die Welt, in der er lebt.
Sporthistorisches Foto-Dokument der Olympischen Spiele 1908 in London: Sherlock-Holmes-Autor Arthur Conan Doyle hilft dem wankenden, mit Strychnin aufgeputschten italienischen Marathonsieger Dorando Pietri über die Ziellinie. Pietri wurde disqualifiziert. Nicht wegen Dopings. Eine Prise Strychnin war damals durchaus gesellschaftsfähig, und Dopingregeln gab es sowieso keine. Dem Italiener wurde die Goldmedaille wegen Inanspruchnahme fremder Hilfe aberkannt. Den Regeln entsprechend – und Regeln, so unverständlich sie manchmal auch sein mögen, haben im Sport immer einen tieferen Sinn: Da für alle Sportler gültig, sollen sie den weltweit chancengleichen Wettkampf garantieren. Die Einhaltung der Regeln, egal ob sie sich auf Wurfgewichte, Bahnlängen oder Medikamente beziehen, ist unverzichtbar für Fairness und Chancengleichheit, die beiden Pfunde, mit denen der Sport gegenüber den anderen, kaum bis gar nicht reglementierten Wettkämpfen des Lebens wuchern kann.
Die Dopingbestimmungen, und nur im Sport gibt es sie, haben die gleiche wichtige Funktion wie alle anderen sportlichen Regeln. Niemand käme auf die Idee, die Überwachung der technischen Durchführungsbestimmungen vom Sport auf den Staat zu verlagern. Nur der Regel-Teilbereich Doping soll nun von staatlichen Organen überwacht (Polizei) und gegebenenfalls geahndet (Gerichte) werden. Bei aller scheinbaren Eingängigkeit der durchaus respektablen Argumente: Damit würde sich der Rechtsstaat auf absurde Weise selbst auf die Rolle nehmen; denn die Argumente sind so überzeugend wie das fehlinterpretierte Sherlock-Dokument: Jahrzehntelang glaubte alle Welt, Doyle auf dem Foto zu sehen – bis sich herausstellte, dass er seinen Platz auf der Tribüne nie verlassen hatte . . .
Dass wir in Sachen Doping ähnlich falsch liegen, wenn wir nach dem Staat rufen, liegt nicht an dem, was wir sehen, sondern wie wir es sehen. Zur Verwirrung der Diskussion trägt bei, dass einzelne Paragraphen der speziellen sportlichen Doping-Regeln mit allgemeinen Straftatbeständen überlappen. Dazu gehören auch gravierende Delikte, die vom Staat entsprechend kompromisslos zu verfolgen und hart zu bestrafen sind - aber das tut er ja sowieso oder sollte es wenigstens tun, dazu benötigt man keinen Straftatbestand Doping.
Erschwerend kommt hinzu, dass in der Doping-Diskussion die Definition zu kurz kommt, worüber überhaupt diskutiert wird. Jeder bringt seine eigenen ethisch-moralischen Vorstellungen ins Gespräch, doch auf den Punkt gebracht bleibt nur die simple Feststellung: Doping ist das, was auf der Dopingliste steht. »Dopingsünder« gibt es nur im Sport, weil nur der Sport Dopingregeln hat. Unter Schriftstellern, Musikern, Politikern, Journalisten und auch »normal« Berufstätigen liegt der Prozentsatz der – im Sportsinn – Gedopten deutlich höher als im Spitzensport. Man dopt sich, um in Privat- und Berufsleben Erfolg haben zu können. Das Doping im täglichen Konkurrenzkampf reicht vom »social drinking« über Einschlaf- und Aufwachmittel bis hin zu harten Drogen, ohne die ein Philosoph wie Sartre keinen existenzialistischen Satz von Belang formuliert hat, ohne die es keine Pop-Klassik der Stones und Beatles gäbe. Dennoch wird Sartre nicht posthum disqualifiziert, bleiben Satisfaction und Yesterday Spitzentitel auf der ewigen Pop-Weltrangliste. Man darf gedopt denken und singen, aber nicht laufen und springen – und das ist auch gut so, darauf kann der Sport stolz sein. Trotzdem deuten die nicht-sportlichen Doper mit dem moralischen Zeigefinger auf den Sport. »Doping! Pfui Teufel!«, rufen sie – und gleichzeitig nach dem Staat. Der Sport rief schon einmal nach dem Staat: In der heißen Phase des Kalten Krieges sollten die deutschen Sportler stellvertretend für ihre beiden Staaten den Kampf der Systeme gewinnen. Die Athleten der alten Bundesrepublik hinkten auf dem olympischen Schlachtfeld hoffnungslos hinterher, ihnen musste auf die Sprünge geholfen werden. Der Bundesausschuss zur Förderung des Leistungssports (BA-L) übernahm das Kommando, eine Behörde des Innenministeriums, die weit reichende Vollmachten erhielt, vor allem jene, den Geldhahn für die Spitzenverbände nach Belieben auf- und zuzudrehen. Unter Federführung des BA-L, also unter Verantwortung der Bundesregierung, wurden bundesdeutsche Sportler öffentlich aufgefordert, sich für die Olympischen Spiele 1976 in Montreal zu dopen, bei Zuwiderhandlung drohte Unterstützungs-Entzug.
Wer beim Lesen dieser Zeilen zusammenzuckt, der sei beruhigt: Das ist nur Polemik. Natürlich wurde nicht expressis verbis zum Doping aufgefordert. Aber was ist die logische Folgerung aus einer offiziell und öffentlich verkündeten internen Olympia-Teilnahmenorm, die zum Beispiel im Kugelstoßen der Frauen 1976 von humanen 18-Meter-Weiten, die das IOC verlangte, vom BA-L auf ein Leistungspotenzial von über 21 Metern erhöht wurde? Jeder wusste damals, was das bedeutete. Wer solche Weiten verlangte, forderte und förderte Doping. Die einzige logische Alternative ist womöglich noch erschreckender: Ahnungslosigkeit und totale Inkompetenz der sportlich und politisch Verantwortlichen. Aber auch hier darf beruhigt werden. Sie wussten, was sie taten.
Dieses dunkle Kapitel des altbundesdeutschen Sports und seines Staates ist nie aufgearbeitet worden, und jetzt soll ein neues aufgeschlagen werden. Immerhin: Diesmal soll der Staat das Doping nicht belohnen, sondern bestrafen. Nur: Was und wen soll er bestrafen? Hier beginnt die Verwirrung der Begriffe. Bei Jan Ullrich geht es vorwiegend um den Ladenhüter Eigenblut, der schon 1972 in München Langlauf-Medaillen gewonnen hat. Das Landis-Testosteron spielt ebenfalls schon lange eine Doping-Rolle. Beide, Eigenblut-Infusionen und Testosteron-Einnahme, gehören allerdings auch zu den beliebtesten Mitteln, mit denen sich neben vielen unbekannten auch sehr bekannte deutsche Zeitgenossen im Lebenskampf der späten Jahre Wettbewerbsvorteile herbeimanipulieren, völlig legal, von bunten Blättern wohlwollend begleitet und von der Werbung euphorisch gepriesen.
Die Reiter hatten 2004 ihren »größten Dopingskandal aller Zeiten«, woran erstens sie selbst und zweitens diejenigen Schuld waren, die reine Regelverstöße zu moralisch verwerflichen Schwerstverbrechen aufbauschen. Außerdem sei zur Ehrenrettung der deutschen Reiter erwähnt, dass es bei ihnen immerhin viel weniger Doping- als Scheidungsfälle gibt. – Entschuldigung, aber ohne eine Portion Galgenhumor ist die aus dem Ruder gelaufene Doping-Diskussion kaum zu ertragen. Apropos Ruder: Zu Kapitän Hornblowers Zeiten schmuggelten manche Seemannsfrauen für ihre Männer beim Abschied den strengstens verbotenen Gin an Bord. Ganz modern: So wie heute Sportlerinnen ihre Doping-Proben manipulieren. Da . . . Scheiden . . . . sich die Geister. Unappetitlich. Aber was tut man nicht alles aus Ehrgeiz, Suff oder Liebe . . .
Keine einzige der vielen Dopingkontrollen bei Marco Pantani war jemals positiv. Als er 1999 einen Tag vor dem sicheren Giro-Triumph wegen eines leicht erhöhten Hämatokritwerts (52 statt 50) zu seinem Schutz, nicht wegen Dopings, vom Giro ausgeschlossen und seitdem von italienischen Staatsanwaltschaften wie ein Mafia-Mörder behandelt wurde, begann der psychische Zerfall des »Piraten« – als süße kleine deutsche Langläuferin hätte er den Verdacht einfach weggeweint. In Frankreich gab eine Kommunistin als Ministerin 1998 den Startschuss zur Hexenjagd auf den kapitalistischen Profisport, in Italien lenken Polizei und Justiz mit ihren total überzogenen Razzien ab von ihren »Heldentaten« im Kampf gegen Mafia, Korruption und kriminellen politischen Filz, und in Deutschland trägt eine der hier geschwungenen Moralkeulen die Aufschrift »Doping«: Wer sich nicht im sportpolitisch korrekten Betroffenheitsjargon äußert, den trifft sie mit voller Wucht. Sportpolitisch aber als durchaus korrekt gilt: Ausgeklügeltes Höhentraining, mit exaktem Timing. Heute St. Moritz, morgen Wettkampf in der Ebene. Wenn’s erst übermorgen wäre, würde die Leistung sinken. Andere schlafen in Unterdruckkammern, nehmen Kreatin und/oder stopfen sich mit Nahrungsergänzungsmitteln voll, werden täglich sportmedizinisch optimiert. Alles Vorteile, die sich nur reiche Sportler aus reichen Ländern reich an kenntnisreichen Sportärzten leisten können. Ein armer Sportler aus einem armen Land, arm an kenntnisreichen Sportärzten, er würde vom Erste-Welt-Dopingvorteil reden. Bevorzugte deutsche Anspruchshaltung: Wir wollen die Besten und die Saubersten sein. Das ist aber nach der Grammatik des Sports ein Irrealis.
Wir feiern die Aufdeckung des Balco-Skandals in den USA, freuen uns naiv, dass dadurch der Sport mit Hilfe staatlicher Maßnahmen ein wenig sauberer geworden ist. Dass Steroide »designt« werden, von denen nur diejenigen nachweisbar sind, die nicht gespritzt, sondern in der Spritze an Dopingjäger verschickt werden, das ist in der Tat eine »saubere« Sache. Da vergessen wir lieber, dass »sauber« nur die Art war, wie unliebsame Konkurrenz verpfiffen wurde: Es war Gatlins Trainer Graham, der eine Spritze mit dem Designersteroid THG an die US-Anti-Doping-Agentur schickte – mit Hinweis auf die Quelle Balco. Die Balco-Sprinter versanken im Strudel, Grahams Schützling Gatlin gewann sprintend Gold auf Gold. Schlug nun die Konkurrenz zurück?
Die voraussichtlich wirkungsvollste Maßnahme im Kampf gegen das Doping gelang dem Sport ohne staatliche Hilfe: Dass die Urinproben der Olympioniken künftig acht Jahre lang eingefroren werden, ist einer der größten Erfolge im Kampf gegen Doping und für sportliche Gerechtigkeit, denn es kehrt die Hase-Igel-Situation von Dopingtestern und Dopern um. Wenn eines Tages alle heute noch nicht nachweisbaren Präparate nachträglich erkannt werden können, wird das folgende sportliche Erdbeben allerdings einen Wert auf der Richter-Skala weit oberhalb aller bisherigen Beben erreichen. Dann grummelt nicht der Ätna, sondern es explodiert Krakatau.
Ein Blick auf die Dopingliste: Zwischen »Endone« (Wirkstoff: Oxymorphon, Oxycodon) und »Enduron« (Methyclothiazid) werden »Endrine« und sogar »Endrine mild« (beide mit Ephedrin) als für Sportler verbotene Substanzen aufgeführt. Weiter hinten finden wir zwischen »Westrim-LA« (Phenylpropanolamin) und »Wilpo« (Phentermin) das gefährliche Dopingmittel »WickMediNait Erkältungssaft für die Nacht« (ebenfalls mit Ephedrin). Knast wg. WickMediNait?
Dürfen staatliche Instanzen, darf der Gesetzgeber Erfüllungsgehilfe für willkürlich beschlossenes sportliches Regularium sein? Der Sport kann und soll auf seine Dopingliste setzen, was er will. Auch WickMediNait und Endrine. Oder Malzbonbons. Er ist niemandem Rechenschaft schuldig. Wer erwischt wird, muss gesperrt werden, egal ob mit strafrechtlich Relevantem wie Kokain (Droge) und Epo (Medikamentenmissbrauch), oder mit Dingen, die den Staat nichts angehen (rezeptfrei erhältliche Medikamente). Aber vor dem Staat, vor dem Gericht sind alle gleich. Der Gesetzgeber darf nicht unterscheiden zwischen Nichtsportlern und Sportlern oder Fußball- und Rock-Profis. Wenn sich der Gesetzgeber zum Büttel des Sports macht, hilft er dem Sport nicht, aber er schadet sich selbst. Der Rechtsstaat als Befehlsempfänger von Interessenverbänden sowie Strafverfolgungsorgan für ständig modifizierte interne Durchführungsbestimmungen privater Wettbewerbsveranstalter ist . . . kein Rechtsstaat mehr.
Wichtige Meinungsmacher argumentieren, der Sport könne die Einhaltung seiner Dopingregeln nicht alleine überwachen, da müsse der Staat helfen. Doch Dopingparagraphen sind nichts anderes (wenn sie nicht mit dem Strafrecht überlappen) als Teil von Spielregeln für geschlossene Benutzergruppen (sprich: Mitglieder von Sportverbänden).
Dopingpolizei-Szenario: Am Frankfurter Hauptbahnhof kommt ein Zug an, in dem Eintracht-Profis und -Fans gemeinsam von einem Auswärtsspiel zurückkehren (unrealistische Vorstellung zwar, aber wir nehmen’s halt einfach mal an). Plötzlich: Doping-Razzia! Profis und Fans werden von der Polizei eingekesselt und gefilzt. Jeder, der Hustensaft (fast immer ephedrinhaltig) in der Tasche hat, wird aussortiert und muss sich ausweisen. Ist’s ein Fan, sagt die Polizei: Gute Besserung. Ist’s ein Profi – ab zum Schnellrichter . . . Ein noch absurderes Beispiel als die Hustensaft-Razzia macht vollends deutlich, wie irrational der Ruf nach der staatlichen Dopingpolizei ist. Nehmen wir einmal an, der Verband deutscher Schäferhundezüchter verbietet seinen Mitgliedern, Dackel zu streicheln. Doch es gibt viele Züchter und noch mehr Dackel, der Verband kann das Verbot nicht alleine kontrollieren, also soll der Staat helfen. Antidackelstreichelstreifen werden aufgestellt. Jeder Streichler ist verdächtig, wird kontrolliert. Ist er im Schäferhunde-Verband registriert – ab zum Schnellrichter. Falls nicht – streichelt auch der Polizist. Der Staat hat genug damit zu tun, Gesetzesbrecher zu verfolgen und zu bestrafen. Die Regelbrecher in Sport- oder Schäferhundezüchter-Verbänden bleiben deren interne Sache.
Wenn nicht der Staat, wie dann der Sport? Im alten Olympia könnte er fündig werden: Die besten Sportler mussten schon einen Monat vor den Olympischen Spielen in Elis erscheinen, wo sie, kontrolliert von Kampfrichtern, trainierten und Ausscheidungswettkämpfe bestritten – das könnte auch heute Vorbild für chancengleiche Dopingkontrollen sein. Die modernen Spitzensportler absolvieren viele Pflichtübungen, die unbequem, zeitaufwendig und der Leistung nicht zuträglich sind: Sponsorentermine, Autogrammstunden oder Werbeverträge werden gerne wahrgenommen, sie bereichern den Sportler, was man ihm gönnen sollte. Warum sollte man vom Sportler nicht ähnliche, aber unbezahlte Pflichtübungen verlangen dürfen, die den Sport bereichern? Bereichern, indem sie ihn ein wenig heiler, sauberer machen? Beispiel Olympia, immer noch das weltweit größte sportliche Ereignis. Wochen, ja Monate vor den Spielen verbringen die Athleten freiwillig in abgeschiedenen Trainingslagern, voll auf sich und ihren Sport konzentriert. Warum nicht alle zusammen, an einem Ort? Im olympischen Dorf? Szenario: Das IOC modifiziert die Teilnahmebedingungen an Olympischen Spielen: Mitmachen darf nur, wer neben Erfüllung der üblichen Kriterien sechs Wochen vor Wettkampfbeginn im olympischen Dorf eintrifft und das olympische Areal bis nach seinem Wettkampf nicht mehr verlässt. Das Gelände wird (wie bisher, nur noch strikter) abgesperrt, Zutritt haben nur Befugte, die gründlich kontrolliert werden. Die Olympia-Teilnehmer essen und trinken ausschließlich im olympischen Dorf. Falls medikamentöse Behandlung nötig ist, übernehmen IOC-Ärzte die Versorgung. Unter diesen Umständen gehen die Athleten mit größtmöglicher Chancengleichheit an den Start Chancenungleichheit herrscht noch sechs Wochen vor dem olympischen Wettkampf, danach werden die zuvor Gedopten von Tag zu Tag unsicherer, die auch vorher schon Sauberen täglich selbstbewusster und stärker. Das Wissen, nicht (mehr) dopen zu können, wirkt bei den Dopern als negativer, bei den sauberen Athleten als positiver Placebo-Effekt, der sich bis zum Wettkampftermin ständig steigert. Nach sechs Wochen dürfte zudem auch jegliche physiologische Positiv-Wirkung des Dopings verflogen sein.
Diesen Vorschlag wird kaum jemand ernst nehmen. Fast alle werden Einwände haben, vornehmlich alle, die vom Doping profitieren, vorneweg die Doper, aber auch die professionell Doping-Empörten, denen ein Schauplatz zur Selbstdarstellung genommen würde. Zu befürchten bleibt also, dass weiterhin große Worte die Doping-Diskussionsszene beherrschen werden und nicht unkonventionelle kleine Taten.
Aber vielleicht denkt der eine oder die andere, nach der ersten Belustigung oder Empörung über diesen scheinbar sportweltfremden Vorschlag: Warum eigentlich nicht? Sechs Wochen olympische Quarantäne – das ist weder eine organisatorische oder finanzielle, noch eine menschliche Zumutung im Vergleich zu all den anderen Zumutungen, die sich der Sport und die Sportler freiwillig zumuten. Sechs Wochen bei freier Kost und Logis, bester ärztlicher Versorgung, hervorragenden Trainingsbedingungen. Sechs Wochen, die man bisher so oder so ähnlich in Trainingslagern in aller Welt verbracht hat. Warum nicht? Denn es wird Zeit, dass die olympische Bewegung dem Sport wieder vorangeht, statt dem Drogen-Zeitgeist hinterherzuhinken.
Der Sport und die Sportler haben trotz der Doping-Problematik allen Grund, auf sich stolz zu sein. Ihre Welt ist nicht heil, aber allemal heiler als die Welt um sie herum. Nicht der Doper ist pervers, sondern die Welt, in der er lebt. (gw)