Das Problem von Vitali war immer seine Verletzungsanfälligkeit. Außerdem war er ein recht unorthodoxer Boxer, sein Stil immer eher ungelenk, aber eben auch für viele Gegner schwer zu boxen. Für mich wäre schon die Frage, wann Vitali seine Prime-Time hatte, schwer zu beantworten. Der junge Vitali hat zwar auch nicht den Punch seines Bruders gehabt, aber durchaus ordentlich Dampf in den Fäusten - leider auf Kosten des eigenen Körpers. Zudem war die Beinarbeit eher unterdurchschnittlich für einen Top-Contender. Auch in der Niederlage gegen Chris Byrd zeigte sich wieder mal die eher maue Beinarbeit und die unorthodoxen Bewegungsabläufe und Schlagtechniken haben die Verletzung in diesem Kampf geradezu befördert. Der Versuch eines Brechstangen-KO gegen einen clever, aber immer noch insgesamt unterlegenen Chris Byrd haben dann auch zu Recht zu der Niederlage geführt. Nach der anschließenden Verletzungspause kam Vitali nur noch schlechter zurück. In den Kämpfen gegen Timo Hoffmann, Orlin Norris, Ross Puritty, Vaughn Bean und Larry Donald stimmte bewegungstechnisch sehr wenig. Da hatte er eher Glück, dass da eine limitierte bzw. wenig ambitionierte Gegnerschaft ihm gegenüber stand. Der boxerisch und bewegungstechnisch gar nicht schlechte Larry Donald hat ihn dann trotz des großes Phlegmas richtig blöd aussehen lassen. Es war geradezu eine Karrikatur, wie Vitali breitbeinig durch den Ring stakste. Sah eher aus wie der Terminator mit Funktionsstörung. Es war in der Presse zu lesen, dass Vitali und Sdunek in der Zeit erheblich an den Bewegungsabläufen gearbeitet haben - zunächst erkennbar erfolglos. Gegen Lennox Lewis hat er sich dann verbessert präsentiert, in seiner Prime war er aber zu dem Zeitpunkt auch nicht. Lewis tat sich zu Beginn des Kampfes sehr schwer und erst die Befolgung von Stewards Rat, den Kampf mehr körperlich zu führen, brachte Lewis in den Kampf. Wer ihn am Ende gewonnen hätte, wäre Vitali durch die Cuts nicht am Weiterboxen gehindert worden, ist hypothetisch und letztlich irrelevant. Die Cuts entstanden durch reguläre Treffer von Lewis und somit war der Sieg absolut verdient. Quatsch ist es aber auch, alleine durch die Tatsache, dass sich der Kampf gedreht hatte, auf das Ende ohne Verletzung zu schließen. Wie oft gab es Boxkämpfe, die sich im Verlauf mehrfach drehten?
Seinem ersten Peak näherte sich Vitali dann im Kampf gegen Corrie Sanders. Sanders, ein wesentlich talentierter Boxer, dem es allerdings an Trainingsfleiß fehlte, kam zwar in keiner guten körperlichen Verfassung in den Ring, brachte aber trotzdem seine seit seinem spektakulären Sieg über Wladimir Klitschko sattsam bekannten Vorzüge in den Ring. Eine dem eigenen Stil sehr dienliche Beinarbeit mit blitzartiger Überbrückung kurzer Distanzen und die Potshot-Qualitäten, die ihm den Spitznamen "Sniper" eingebracht haben. Diese Duell wurden vor allen Dingen in der ersten Kampfeshälfte sehr intensiv geführt und die wirklich guten Reflexe und die Nehmerqualitäten waren auch von Nöten, um nicht von Sanders abgeschossen zu werden. Trotzdem waren es gerade die immer noch bestehenden Schlagtechniken und Bewegungsabläufe, die nach dem Sieg gegen Sanders (und Williams) für Vitalis Gesundheit das vorläufige Boxende einläuteten.
In der dann folgenden Zeit mit Operation und erneuter Verletzung haben Vitali und Sdunek an einer weitreichenden Umstellung seiner Bewegungsabläufe und Schlagtechnik gearbeitet. Das Ergebnis konnte man dann im Comeback-Kampf gegen Samuel Peter bewundern. Peter galt zu dem Zeitpunkt als Tier, Vitali nur als Außenseiter, der ein hoffnungsarmes Comeback versuchte. Dieser Kampf ist meines Erachtens sein Prime-Kampf. Er ist nie besser gewesen als in diesem Kampf. Klar er schlug immer noch unorthodox, nunmehr eher aus dem Arm und folglich mit wenig Snap - dafür aber mit hohem Output und aus allen Winkeln - Vitali als konditionsstarker Volumenpuncher, der durch die schiere Masse der Schläge und Treffer die Gegner zermürbte und zugleich seine Beinarbeit deutlich verbessert zeigte - gegen diese Version gebe ich Anthony Joshua in seiner jetzigen Qualität keine Chance. Allerdings muss man auch sehen, dass Vitali zu dem Zeitpunkt schon relativ alt war und dem entsprechend kurz, ist seine Prime-Zeit gewesen - schon gegen Tomasz Adamek sah man den Leistungsabfall deutlich, auch wenn er den Kampf nach belieben beherrschte. Die Reflexe wurden schlechter, das Timing stimmte nicht mehr und die Präzision nahm deutlich ab. Gegen diese Version hätte Joshua gute Chancen gehabt, die Chancen wäre auch gegen den frühen Vitali deutlich besser als gegen die Prime-Version gewesen. Game-Changer und somit Chance für jeden körperlich auf Augenhöhe befindlichen Gegner wäre aber immer Vitalis Verletzungsanfälligkeit gewesen. Diese hat auch dazu geführt, dass man bei ihm nur über eine Hall-of-Famer redet und nicht über eine ATG.