Verschiedene denkbare Szenarios:
1a.
Tja, hat Haye tatsächlich einen Plan, wie er Wladimir aus seiner Komfortzone bekommt? Oder ist all das martialische Getue, der ganze Trash-Talk letztlich wie bei vielen Gegnern von Wladimir vorher nur das übliche Soufflé? Ist es gar das Schreien im Walde und im Kampf geht es Haye nur noch ums Überleben, wie damals Ibraghimov? Trotzdem fährt Wladimir seine übliche Vermeidungsstrategie, sowie der ganze Kampf von dem gegenseitigen Respekt vor den Offensivwaffen des Gegners, allem Wirbel vor dem Kampf zum Trotz geprägt ist.
Sollte das der Fall sein, gibt es eine Wide UD für Wladimir, bei der der Jab den Kampf regiert.
1b.
Als denkbares alternatives Endergebnis eines solchen Szenarios bei dem sicher auch wieder Wladimirs Klammern, Drauflehnen, Runterdrücken, Wegschubsen, Ringelrein- und Walzertanzen eine Rolle spielen wird, wäre natürlich auch noch ein wütend bis frustierter Haye denkbar, der während des Kampfes im Ring austickt und dafür disqualifiziert wird. Ich erwarte das nicht, weil Haye ein fokussiertes und diszipliniertes Kerlchen ist, aber sicher kann man da nicht sein.
1c.
Haye tritt gar nicht an, nachdem sein Antrag auf Ringrichterwechsel oder Ausklammerung des WBA-Titel letztlich kein Gehör gefunden hat. Haye beschwert sich immer wieder über Wladimirs Outmatchingmethoden - so ganz auszuschließen ist das nicht.
2.
Andererseits mag Hayes unseriöses bis unsympathisches Auftreten Teil eines cleveren Gesamtkonzepts sein, dass Klitschkos übliches Outmatching unterbinden soll. Weitere Bestandteile eines solchen Konzepts aus Beweglichkeit, Schnelligkeit und Präzision sollen Wladimirs immer noch vorhandene, lediglich überdeckte Schwächen wieder zu Tage führen und überfallartige Angriffe durch Haye inkl. viel Pendeln und Abtauchen eröffnen die Möglichkeit zu gefährlichen Kontern. Dann schlägt es bei Wladimir irgendwann vorentscheidend ein und Wladimirs immer noch eher unterentwickelte Ringintelligenz und mangelnder Instinkt lassen ihn dann wie gegen Sanders hilflos werden. Ansätze dazu hat man bei Haye in seiner Karriere schon häufiger sehen können, die Fähigkeiten dazu bringt er mit. Die Disziplin offenkundig auch, den hinter der Fassade des pöbelhaften Derwisches scheint ein sehr fokussierter und gradliniger Boxer zu stecken, dessen Team es in Sachen Professionalität jederzeit mit Wladimir/Steward aufnehmen kann. (T)KO-Sieg für Haye in einer der frühen bis mittleren Runden.
Für viele Betrachter ist dies das Wunschszenario, da zum einen endlich mal eine Änderung im festgefahrenen HW-Szenario eintreten muß und zum anderen Wladimir für die vielen uninspirierenden WM-Kämpfe bestraft gehört - Es ist Zeit das er wieder mal und dann vielleicht letztmalig durch den Ring krabbelt.
3.
Bei dem genüsslichen Ausmalen und Ausdiskutieren der bekannten Schwächen von Wladimir fallen bei den abschließenden Bewertungen oftmals Hayes ebenfalls vorhandene Schwächen unter den Tisch. Haye ist austrainiert, beweglich, schnell, hat Dampf in beiden Fäusten, gute Reflexe und kann einen strategischen Plan durchziehen, wohl möglich sogar mehrere Pläne entwickeln. Aber, er boxt meist in Spurts, kann daher keinen konstanten Druck ausüben, ist zweifelsfrei kein Infightwühler, sein Jab ist unterdurchschnittlich, seine körperliche Unterlegenheit nicht wegzudiskutieren, seine Deckung dürftig, seine ganze Verteidigungsarbeit zuweilen sehr lässig, seine offene Boxweise kommt Wladimir eher entgegen und die fürs Kontern so wichtige Präzision ist oft auch nicht gegeben. Haye ist schon stilistisch und von den Fähigkeiten her eben kein zweiter Sanders. Die nur durchschnittlichen Nehmerqualitäten bei Wladimir sind bei Haye auch nicht besser entwickelt - Vergleiche mit seiner Amateurzeit oder vielen Kämpfen seiner Profizeit zeigen einen Boxer der sich kaum weiterentwickelt, geschweige denn die genannten Schwächen irgendwie abgestellt hat.
So könnte es passieren, dass Wladimir doch das bessere Gesamtpaket hat, da Wladimir gar nicht so viel langsamer als Haye ist und letztlich die Faktoren Timing, Präzision in Verbindung mit Wladimirs körperlicher Überlegenheit und seinen starken Waffen am Ende den Auschlag geben, selbst dann wenn ein wirklich gut boxender Haye alles gibt.
Ein Szenario also in dem ein gut boxender Haye irgendwann doch von einem noch besser agierenden Wladimir, z.B. durch eine rechten Cross nach Hayes so typisch hängender Linke abgeschossen wird, in einem Kampf der doch durch Wladimirs Jab bestimmt wird. (T)KO-Sieg für Wladimir in einer der mittleren bis hinteren Runden durch einen für Haye typischen Deckungsfehler.
Fazit:
Für mich ist der Kampf eine Wundertüte. Ich sehe bei Haye durchaus ein Skillset, dass Wladimir sehr gefährlich werden kann, sehe auf beiden Seiten aber auch deutliche Schwächen, die Wladimir vielleicht besser zu kaschieren versteht. Ich entscheide mich für das langweiligste der drei Szenarien: 1a. Wide UD für Wladimir.