LAOLA1 steht das Interview von CNN in voller Länge zur Verfügung.
Frage: Bei einer Online-Umfrage auf cnn.com denken 79 Prozent, dass Katar nicht die richtige Wahl war, das WM-Turnier auszurichten.
Sepp Blatter: Dann haben sie Schwierigkeiten zu verstehen, was hinter der strategischen Entscheidung mit Russland 2018 und Katar 2022 ostwärts zu gehen, steckt. Und natürlich sieht es vielleicht ein bisschen hinterfragenswert aus, wenn man sich ansieht, dass Katar ein sehr kleines Land ist und die grundsätzlichen Bedingungen waren, und immer noch sind, dass im Juni/Juli gespielt wird.
Frage: Eine Winter-WM – Sie haben darüber gesprochen. Wie stehen die Chancen, dass die WM zu dieser Jahreszeit stattfindet? Können Sie eine Einschätzung in Prozent abgeben?
Blatter: Zuerst muss vom Organisations-Komitee in Katar eine Anfrage an das Exekutiv-Komitee der FIFA kommen, Satzungsänderungen durchzuführen. Das ist möglich, weil in den Satzungen der Bewerbung steht, dass das Exekutiv-Komitee jederzeit Änderungen durchführen kann. Aber wenn sich mich nach Prozenten fragen: Die Chance, dass im Winter gespielt wird, sind definitiv über 50 Prozent. Das bedeutet, dass es mehr als nur eine Wahrscheinlichkeit ist, dass im Winter gespielt wird. Auch für das Spektakel, den Fußball und um Fußballer und Zuschauer zu schützen.
Frage: Denken Sie, dass es fair ist, nach den Wahlen zu sagen: „Können wir es im Winter machen?“ Einige Leute sagen: „Sie haben sich für eine WM im Sommer beworben und jetzt kriegen sie eine im Winter. Das ist nicht fair.“
Blatter: Sie können sagen, dass es nicht fair ist, aber die endgültige Entscheidung ist noch nicht gefallen. Es wäre den Spielern gegenüber unfair, im Sommer zu spielen, wenn es die Möglichkeit gibt, im Winter zu spielen.
Frage: Aber Sie wissen, dass das im europäischen Kalender, wenn nicht weltweit, ein Chaos ergeben würde. Auch in den Ligen. Arsene Wenger hat gesagt, dass es ein schlechter Schritt wäre. Wie können sie das gegenüber all den Ligen und den Menschen, die involviert sind – nicht nur aus sportlicher, sondern auch aus wirtschaftlicher Sicht, mit den TV-Verträgen und so weiter – rechtfertigen? Wie hart wird es, eine WM mitten in der Saison auszutragen?
Blatter: In der Mitte der Saison in Europa, und dort nicht in allen Ländern. Lassen Sie uns sagen: In der Mitte der Saison der großen Ligen.
Frage: Die haben allerdings eine Menge Geld.
Blatter: Aber einige der großen Ligen haben eine Winterpause. Wenn der Wille da ist, lässt sich der internationale Kalender für dieses Jahr ändern. Das ist eine Möglichkeit, weil wir noch elf Jahre Zeit haben.
Frage: Lassen Sie uns noch ein bisschen über Katar sprechen. Es gab Kritik betreffend der Frage der Freiheit in diesem Land – die Pressefreiheit, der Fakt, dass Homosexualität dort illegal ist. Denken Sie nicht, dass die Austragung des Turniers in einem Land mit diesen Einschränkungen viele Menschen abschrecken könnte, dorthin zu fahren? Speziell Homosexuelle, die vorsichtig sein werden.
Blatter: Wenn die Prinzipien der Menschenrechte nicht respektiert werden würden, könnte das ein Problem sein. Wir werden Katar drängen, sicherzustellen, dass die WM unter jenen Bedingungen stattfindet, unter denen andere WMs stattgefunden haben. Und, dass die Menschenrechte respektiert werden.
Frage: Sowohl Russland als auch Katar haben vor den Wahlen der WM-Austragungsorte bei den technischen Berichten nicht sonderlich gut abgeschnitten. Wie wichtig sind diese Berichte also überhaupt bzw. wird es diese in Zukunft weiterhin geben?
Blatter: Dazu kann ich eigentlich nur sagen, dass es diese Berichte bereits gibt, seitdem ich bei der FIFA bin und in dieser Zeit haben sie noch nie den richtigen Gewinner ermitteln können.
Frage: Wird es diese Berichte in Zukunft also nicht mehr geben?
Blatter: Nein, nein. Wir wollen sie weiterhin machen, weil wir der Welt einfach zeigen wollen, dass wir unseren Job gemacht haben. Schlussendlich entscheiden aber Menschen, die nicht nur mit ihrem Kopf, sondern auch mit ihrem Herzen entscheiden.
Frage: Waren die Entscheidungen für Russland und Katar also Entscheidungen, die mit dem Herz und nicht mit dem Kopf getroffen wurden?
Blatter: Ja. Wobei ich aber sagen muss, dass Russland eine sehr kompakte Bewerbung abgegeben hat. Die WM ist schon im Vorfeld ein Gewinn, weil es der Entwicklung des ganzen Landes zu Gute kommt. In den anderen Ländern wäre schon alles fertig gewesen.
Frage: 89 Prozent der Menschen haben dafür gestimmt, das Vergabe-System der nächsten Weltmeisterschaften zu reformieren. Wird das passieren?
Blatter: Dann müssen uns diese 90 Prozent aber auch ein besseres System vorschlagen. Wir haben es im großen Rahmen bei einer Tagung diskutiert und entschieden, dass es besser ist, wenn es das Exekutiv-Komitee in einer geheimen Wahl bestimmt. Ansonsten wäre es zu einer politischen Entscheidung geworden. Derzeit wird alles von einem öffentlichen Notar kontrolliert. Die Transparenz unterliegt Schweizer Gesetzen.
Frage: Viele Leute sind aber der Meinung, dass diese 22 oder 24 Menschen zuviel Macht haben. Es wird gefordert, dass sich die FIFA den Mitgliederverbänden öffnen soll.
Blatter: Aber gerade diese Verbände haben die aktuelle Regelung bei einer Konferenz vor vielen Jahren abgesegnet. Eben weil wir der Meinung waren, dass die Verantwortung zu groß für uns ist.
Frage: Wahrscheinlich hat sich die Meinung vieler Leute nach dem IOC-Skandal bei der Vergabe der Olympischen Spielen für Salt Lake City geändert. Mittlerweile hat der IOC ein völlig neues Wahl-System eingeführt.
Blatter: Das IOC hat aber erst nach der Abstimmung reagiert. Erst als man gesehen hat, dass da etwas schief gelaufen ist, ist das IOC eingeschritten. Wir haben unser System laufend vor den Wahlen verändert. Unser Ethik-Komitee kann viel schnellere Entscheidungen treffen als jeder Gerichtshof.
Frage: Sie sind mit der Arbeit des Ethik-Komitees also zufrieden. Ein Komitee-Mitglied, Günter Hirsch, verkündete allerdings mit folgenden Worten seinen Rücktritt: „Die Verantwortlichen in der FIFA haben kein Interesse daran, eine aktive Rolle zu spielen, wenn es um die Aufklärung, die Verfolgung und die Prävention von Verletzungen der FIFA-Regeln geht.“ Was sagen sie zu diesen Vorwürfen?
Blatter: Ich bin sehr enttäuscht über solche Aussagen. Günter Hirsch war beim Ethik-Komitee von Beginn an mit dabei. Er nahm an keinen anderen Veranstaltungen des Komitees teil. Wir haben ihn gebeten, schriftliche Kommentare über die ethischen Verhaltensregeln zu machen, was er nicht getan hat. Er hat auch an keinen Meetings teilgenommen, die in Zusammenhang mit der WM-Vergabe standen. Ich weiß also nicht, wie er so eine Aussage treffen kann.
Frage: Glauben Sie, dass diese Ereignisse einen negativen Einfluss auf das Image der FIFA haben könnten?
Blatter: Natürlich. Weil die internationalen Medien über Korruption in der FIFA berichten. Wir haben 300 Millionen aktive Mitglieder. 300 Millionen! Spieler, Trainer, Schiedsrichter, Mitglieder. Wenn von diesen Menschen zwei, drei oder vier möglicherweise in korrupte Machenschaften verstrickt sind, dann kann man nicht sagen, dass die ganze FIFA korrupt ist!
Frage: Haben Sie sich nun dazu entschlossen, ein Anti-Korruptions-Komitee zu gründen?
Blatter: Nein, sicher nicht. Wir haben bereits ein Anti-Korruptions-Komitee – das Ethik-Komitee! Ich will aber zusätzlich eine kleine Gruppe bilden, die sich aus Leuten außerhalb der FIFA zusammensetzt. Diese Personen können und sollen aus der Politik, der Kultur, der Wirtschaft und auch aus anderen Sportarten kommen. Sie sollen eine Art „Anstands-Wauwau“ sein, der unserem Verband mehr Glaubwürdigkeit verleihen soll.
Frage: Stichwort „Glaubwürdigkeit“. Franz Beckenbauer wird das Exekutiv-Komitee verlassen und hat gesagt, dass er nun weniger Vertrauen in die FIFA hat. Bayern-Präsident Uli Hoeneß ist der Meinung, dass die FIFA im Zuge der WM-Vergabe an Glaubwürdigkeit verloren hat und sie nun einmal ordentlich aufräumen muss. Was sagen Sie zu diesen Vorwürfen?
Blatter: Ich habe mit Franz Beckenbauer gesprochen und er ist nicht glücklich damit, dass die Ergebnisse des Wahl-Vorgangs veröffentlicht worden sind. Er ist deshalb nicht zurückgetreten. Diese Entscheidung hat er schon vorher getroffen. Uli Hoeneß darf man nicht ernst nehmen.
Frage: Viele Leute gehören dem Exekutiv-Komitee bereits sehr lange an. Kritiker sind der Meinung, dass sie sich dort zuviele Freunde gemacht haben und alles sehr politisch geworden ist.
Blatter: Das ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass das Exekutiv-Komitee, das ja quasi die Regierung der FIFA ist, nicht von derselben Instanz gewählt wird wie der FIFA-Präsident.
Frage: Können Sie das ändern?
Blatter: Ich bin der Einzige, der vom Kongress gewählt wurde. Alle anderen Mitglieder wurden von ihren Verbänden bestimmt. Deshalb ist es so schwierig, meine Minister zu managen. Das ist wirklich schwierig!
Frage: Wir haben auf cnn.com eine Online-Umfrage durchgeführt. 92 Prozent sind für eine Torlinien-Technologie. Ich weiß, dass sich das „International Board“ das derzeit ansieht. Sind Sie zuversichtlich, dass sie sagen: „Ja. Lasst es uns tun“?
Blatter: Das „International Board“ ist eine sehr konservative Organisation, aber es hat vor zwei oder drei Jahren, als wir die Torlinien-Technologie auf Eis gelegt haben, gesagt: Wenn es ein System gibt, das fehlerfrei ist und die Information sofort liefert, sind wir nicht dagegen. Wir haben in Zürich 17 verschiedene Systeme getestet und drei, vier oder fünf werden an das „Board“ weitergeleitet. Zuerst wird das Technische Komitee einen Blick darauf werfen und einen Vorschlag abgeben. Wenn eines dieser Systeme fehlerfrei, schnell und nicht zu kompliziert ist, dann, denke ich, hat die Torlinien-Technologie eine gute Chance, akzeptiert zu werden.
Frage: Aber was ist, wenn das „Board“ zurück kommt und sagt: „Nein, wir wollen es nicht“? Die Menschen wollen es, Herr Blatter!
Blatter: Ich weiß, ich weiß. Wenn man überall auf der Welt eine Umfrage mit den Fans machen würde, dann würde es ein mehrheitliches „Ja“ geben. Aber wenn man in die Fußball-Familie geht, mit den Spielern, den Schiedsrichtern und den Würdenträger spricht, dann sind sie dagegen, weil sie konservativ sind.
Frage: Aber Howard Webb, der Schiedsrichter beim WM-Finale und in der Champions League war, sagt, dass er es befürworten würde.
Blatter: Meine Position ist: Wenn es funktioniert, werden wir es tun. Sie wissen, dass es anderswo andere Positionen gibt – speziell in Europa. UEFA-Präsident Michel Platini ist gänzlich gegen technische Hilfsmittel, weil er fürchtet, dass, wenn wir die Torlinien-Technologie haben, wir das auf den Strafraum und Abseitspositionen oder was auch immer erweitern könnten. Aber zurzeit sprechen wir nur über die Torlinien-Technologie. Also lasst uns auf die erste März-Woche in Cardiff freuen.
Frage: Wenn das „Board“ kommt und sagt: „Nein“, können Sie sagen: „Meine Herren, wir brauchen es“?
Blatter: Wenn es funktioniert, wird das „Board“ „Ja“ sagen.
Frage: Auch wenn sie konservativ sind?
Blatter: Auch wenn sie konservativ sind.
Das Gespräch führte Pedro Pinto, Redakteur von "CNN World Sport"
Quelle: CNN World Sport