Schläge mit dem Funkgerät
Die für die EM qualifizierten deutschen U21-Junioren bekommen die türkische Enttäuschung zu spüren
München/Istanbul – In der Kabine der deutschen U21-Nationalmannschaft war am Dienstagabend nichts so, wie es hätte sein sollen. Kein Jubel über ein spätes Tor in der Nachspielzeit. Keine Ausgelassenheit angesichts der EM-Qualifikation in letzter Sekunde. Maik Franz hielt sich ein Handtuch ans blutende Ohr. Christian Tiffert kühlte seinen malträtierten Kopf mit Eis. Benjamin Auer rieb sich das Schienbein. Irgend jemand hatte ihn getreten. Nun waren dies zwar alles die Folgen eines bedeutenden und umkämpften Fußballspiels zwischen Deutschland und der Türkei, doch ihre Verletzungen haben die deutschen Spieler erst nach dem Abpfiff erlitten. Auf dem Weg in die Kabine. Ein türkischer Ordner hatte mit einem Funkgerät nach Maik Franz geschlagen. Auch Tiffert und Auer hat es erwischt. Sogar den Schiedsrichter. Der Tscheche Michael Benes wurde am Kopf verletzt und musste mit zwei Stichen genäht werden.
„Unbeschreibliche Szenen“, nannte der Bundestrainer Ulli Stielike das, was sich da im Fenerbahce-Stadion von Istanbul abgespielt hat, nachdem die deutsche U21-Nationalelf durch ein 1:1 (0:0) in letzter Sekunde die Qualifikation für die Europameisterschaft 2004 geschafft hatte. Der Mainzer Zweitligaspieler Benjamin Auer erzielte in der dritten Minute der Nachspielzeit den Ausgleich. Dieser reichte den Deutschen zum Weiterkommen, weil sie am Freitag das Hinspiel in Leverkusen 1:0 gewonnen hatten. Auers Tor hatte zwei Konsequenzen: Deutschland darf bei der EM-Endrunde mitspielen – die Türkei nicht. Das hat Aggressionen geweckt und üble Kräfte freigesetzt. Nun wird die Europäische Fußball-Union Uefa ein Verfahren gegen den türkischen Verband einleiten. Der Uefa-Delegierte Tom Restall aus Malta hat in Istanbul alles notiert – am 4. Dezember wird das Strafmaß verhandelt.
Ulli Stielike konnte kaum fassen, was passiert ist. Er selbst hatte nach dem Spiel ein Interview gegeben und war erst später in die Kabine gekommen. „Sicherheitskräfte haben im Kabinengang auf meine Spieler eingeschlagen“, berichtete er, „ein türkischer Spieler wollte nach dem Schlusspfiff auch auf mich losgehen.“ Ordner haben Stielike schützen können. Franz, Tiffert und Auer aber bekamen die türkische Enttäuschung zu spüren. Schlimm verletzt wurde allerdings niemand, und so haben sie später in der Hotelbar doch noch ein Bier getrunken, bevor sie früh ins Bett mussten, weil schon am nächsten Morgen der Flug nach Frankfurt ging. Es war nur ein Spiel, es war nur ein Tor – aber welche Bedeutung Benjamin Auers 13. Länderspieltreffer hatte, zeigte sich an den Reaktionen im Stadion und daran, was dieser Erfolg für die deutsche U21-Mannschaft wert ist. Sie darf nämlich erstmals seit 1998 wieder bei der EM-Endrunde der besten acht Mannschaften mitspielen und hat dort die Möglichkeit, sich für das olympische Fußballturnier in Athen zu qualifizieren. Obendrein stehen die Chancen sehr gut, dass der Deutsche Fußball-Bund diese U21-EM vom 27. Mai bis zum 8. Juni 2004 ausrichten darf, denn außer der Türkei sind auch die Bewerber Frankreich und Schottland am Dienstag in ihren Ausscheidungsspielen auf der Strecke geblieben. Weil nur ausrichten darf, wer selbst mitspielt, bleiben im Rennen um die Gastgeberrolle dieser EM nur noch die Kandidaten Deutschland und Tschechien übrig – der aktuelle U21-Europameister. ..