Benjamin
Zahlenfreund
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Noch zwölf Tage, dann findet bereits die erste Qualifikation im olympischen Winter statt. Erstmals seit der Saison 2016/17 steigt der Weltcup-Auftakt nicht im polnischen Wisla - stattdessen sind die Springer im russischen Nizhny Tagil zu Gast, das eine Woche später auch Austragungsort der ersten Damenweltcups sein wird. Die Polen dürften erleichtert sein, Wisla wird dann nach Nizhny Tagil und Ruka der dritte Austragungsort in diesem Winter sein - Anfang Dezember dürfte es auch etwas leichter sein, die Schanze zu präparieren. In Sibirien hingegen - Nizhny Tagil liegt bereits auf der asiatischen Seite des Urals - sollte es auch Mitte November bereits kalt genug sein, so dass einem stimmungsvollen Saisonauftakt nichts im Wege steht.
Die ersten Wettkämpfe eines jeden Winters sind stets etwas Besonderes - weiß doch keiner so richtig, wo er wirklich steht, weil eben noch ein echter Vergleich zur Konkurrenz fehlt. Oft zeichnet sich zu Saisonbeginn bereits ab, wer im folgenden Winter dazu imstande ist, Großes zu leisten - aber dennoch gelingt es gerade zu Beginn so manchem Springer, die Tatsache auszunutzen, dass die Stars des Winters vielleicht noch nicht ganz ihre Topform erreicht haben. In der letzten Saison ließ ein gewisser Halvor Egner Granerud bei den ersten beiden Einzelspringen, bei denen er jeweils den vierten Platz belegte, bereits deutlich aufhorchen - diese Ergebnisse waren nach dem Vorwinter geradezu sensationell -, aber es deutete noch nichts darauf hin, dass er die Saison dann so deutlich dominieren würde.
Wie also wird die nächste Saison verlaufen? Natürlich gibt es wieder einige Favoriten, die ich im Folgenden aufzählen werde - aber es wäre auch nicht verwunderlich, wenn auch ein Springer, mit dem man jetzt noch nicht rechnet, vorn dabei sein könnte.
Ein kleiner Favoritencheck
Halvor Egner Granerud
Er war der große Dominator der letzten Weltcup-Saison, er hat mit Abstand die meisten Weltcup-Springen gewonnen. Mit 11 Siegen ist er mittlerweile der erfolgreichste Norweger in dieser Kategorie. Den zwölften hatte er eigentlich auch schon geholt, bevor er dann disqualifiziert wurde. So muss er sich diesen Rekord im Moment noch mit Roar Ljøkelsøy teilen - aber kaum jemand zweifelt daran, dass er in diesem Winter weitere Siege sammeln wird. Denn trotz dieser äußerst erfolgreichen letzten Saison, die er mit dem Gewinn des Gesamtweltcups krönen konnte, ist er sicher noch nicht satt. Dazu verliefen insbesondere die Großereignisse im letzten Winter zu deutlich zu seinen Ungunsten. Bei der Skiflug-WM schlug ihn Karl Geiger denkbar knapp, bei der Tournee konnte er nicht gegen Kamil Stoch bestehen; bei der Nordischen Ski-WM verpatzte er auf der Normalschanze den ersten Sprung und konnte so nur den vierten Platz erreichen, bevor ihn dann auch noch eine Corona-Erkrankung stoppte. Er wird bestrebt sein, diese Scharten in diesem Winter auszuwetzen.
Den Sommer-Grand-Prix der Skispringer hat er im Jahr 2021 gewonnen - die Punkte dafür hat er sich allerdings vorrangig bei den eher schwach besetzten Wettkämpfen in Kasachstan und Russland geholt, so dass man nicht genau einschätzen kann, wieviel das Wert ist. Aber es wäre doch überraschend, wenn Granerud nicht zumindest auch in diesem Weltcup-Winter vorn dabei sein könnte. Eine Statistik gibt es allerdings, die gegen einen erneuten Gesamtweltcupsieg von Granerud spricht. Der letzte Springer, dem es gelungen ist, seinen Titel hier zu verteidigen, ist tatsächlich Janne Ahonen in der Saison 2004/05!!
Ryoyu Kobayashi
Der Japaner war der große Dominator der Saison 2018/19. Neben dem Gesamtweltcup gewann er damals vor allem auch die Vierschanzentournee mit vier Tagessiegen. Ähnlich wie bei Halvor Egner Granerud blieb lediglich der große Erfolg bei der Nordischen Ski-WM aus. Auch er wird also bestrebt sein, diese Scharte bei den Olympischen Spielen auszuwetzen. In den letzten beiden Jahren ist Kobayashi keineswegs in der Versenkung verschwunden, sondern hat weitere Weltcupsiege gesammelt - nur muss es sich wohl immer dem Vergleich zu seiner überirdischen Saison 2018/19 stellen, und im Vergleich dazu fielen seine Leistungen danach eben doch etwas ab. Zuletzt allerdings lieferte er sich ein spannendes Duell mit Karl Geiger um die kleine Kristallkugel im Skiflug-Weltcup - auch im Sommer hinterließ er einen recht starken Eindruck. Es würde mich daher absolut nicht wundern, wenn der Japaner in diesem Winter wieder eine ganz gewaltige Rolle spielen würde.
Karl Geiger
Vom Kleinschanzen-Karl zum Skiflug-König - das ist die Geschichte von Karl Geiger im letzten Winter. Er durchlebte wie kaum ein anderer eine Saison der Höhen und Tiefen. Lange Zeit hatte man ihm nachgesagt, dass seine Stärken vor allem auf der Normalschanze liegen - nicht ganz zu Unrecht, hätte er doch in der Saison 2019/20 eine fiktive Normalschanzen-Gesamtwertung gewonnen - doch bei der Skiflug-WM 2020 zeigte er, dass er auch anders kann. In einem packenden Duell bezwang er den Dominator der Saison Halvor Egner Granerud und gewann die Goldmedaille. Ein Wechselbad der Gefühle erlebte er dann bis zur Tournee. Seine Tochter wurde geboren, und eine Corona-Diagnose zwang ihn dazu, die weiteren Wettkämpfe bis zur Tournee auszulassen. Dort gewann er dann gleich das Auftaktspringen im heimischen Oberstdorf, musste sich dann aber Kamil Stoch geschlagen geben. Bis zur Nordischen Ski-WM, die ja ebenfalls in seiner Heimatstadt stattfand, konnte er nicht immer glänzen, und man musste sich doch ein paar Sorgen um das Abschneiden der DSV-Adler bei ihrer Heim-WM machen. Doch da zeigte Karl Geiger dann seine große Qualität: Er ist eben immer wieder genau dann da, wenn es wirklich darauf ankommt. Einen weiteren Einzeltitel gewann er zwar nicht, aber er konnte bei allen vier Wettkämpfen eine Medaille gewinnen - gemeinsam mit den beiden bei der Skiflug-WM waren es sogar 6, was zuvor noch niemand (zugegebenermaßen auch mangels Gelegenheit) geschafft hatte. Zum Abschluss der Saison gewann er dann auch noch als erster Deutscher seit 20 Jahren die kleine Kristallkugel im Skispringen.
Im Sommer hat sich Karl Geiger bedeckt gehalten und landete bei den Wettkämpfen, an denen er teilgenommen hat, auch nicht immer ganz vorn. Aber gerade weil er eben dafür bekannt ist, dann zuzuschlagen, wenn es wirklich wichtig ist, ist das eben auch kein Grund zu übermäßig großer Sorge. Die deutsche Meisterschaft hat er dann wieder dominiert - Sorgen muss man sich also höchstens um den Rest des deutschen Teams machen.
Stefan Kraft
Für den Österreicher war die letzte Saison - mit Ausnahme eines Wettkampfs - wohl eine Saison zum Abhaken. Rückenprobleme und eine Corona-Infektion machten ihm in der ersten Saisonhälfte zu schaffen. Und der Titel im Gesamtweltcup, dessen Verteidigung sein Trainer immerhin als wichtigstes Saisonziel ausgerufen hatte, war damit auch nicht mehr zu holen. Doch Stefan Kraft wäre eben nicht Stefan Kraft, wenn er nicht auch aus einer solchen Saison das Mögliche herausholen würde. Bei der WM war er wieder voll da und holte sich die Goldmedaille von der Großschanze. Man darf davon ausgehen, dass er voll motiviert in die nächste Saison starten wird. Denn auch wenn er von allen aktiven Springern wohl der zweiterfolgreichste ist - eines fehlt in seiner Karriere, nämlich eine olympische Medaille. Die hat er bislang weder im Einzel noch im Team geholt. 2014 gelang ihm noch nicht der Sprung in die österreichische Mannschaft, 2018 landete Österreich nicht unter den ersten dreien - und auch Stefan Kraft gelang das im Einzel nicht. Ich bin mir sicher, dass es ein großes Ziel von ihm sein wird, diese kleine Scharte auszuwetzen.
Einen Sieg konnte er in diesem Sommer tatsächlich feiern. Aber das war zu Beginn der Sommer-Saison und ist daher schon ein paar Monate her. All zu aussagekräftig ist das daher nicht - aber das ist auch nicht der Grund, warum ich Stefan Kraft für ein heißes Eisen halte.
Kamil Stoch
Wenn ich Stefan Kraft als zweiterfolgreichsten aktiven Springer bezeichnet habe, dann vor allem deshalb, weil es eben auch ihn gibt: Kamil Stoch! Ein WM-Titel, zwei Gesamtweltcupsiege, drei Olympiasiege und drei Tourneesiege, davon einen mit vier Tagessiegen - mittlerweile gehört Stoch sogar zu den erfolgreichsten Springern aller Zeiten. Doch der Pole wird nicht jünger, und es ist mittlerweile nicht mehr so wahrscheinlich, dass er eine ganze Saison so dominieren könnte, wie dies Granerud oder Kobayashi zuzutrauen ist. Doch gerade bei Großereignisse hat Stoch immer wieder gezeigt, dass er da nochmals alle Kräfte mobilisieren kann. Gerade bei der Vierschanzentournee, wo es eben auch darauf ankommt, über eine Woche der psychischen Belastung standzuhalten, hat er das gezeigt. Gerade bei den Olympischen Spielen, wo er drei der letzten vier möglichen Einzelgoldmedaillen gewinnen konnte, hat er das gezeigt - und wenn man bedenkt, dass er im Februar immer noch jünger sein wird, als es sein Teamkollege Piotr Zyla bei seinem WM-Titel im letzten Winter war, dann darf man ihn keinesfalls abschreiben, auch wenn ich ihn nicht unbedingt für den Gesamtweltcupsieg auf der Rechnung habe.
Aber wie schon gesagt, ich hätte nichts dagegen, wenn auch der ein oder andere relativ neue Springer die Etablierten herausfordern könnte. Es ist das, was das Skispringen so spannend und abwechslungsreich macht. Wen habt ihr denn noch so auf der Rechnung?
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