Schutzhaft und Polizeiwillkür
Berliner Polizei rechtfertigt Massenfestnahmen mit sich selbst
Der Überfall von 300 Spezialeinsatzkräften der Berliner Polizei auf die Abschlußfeier eines Fanturniers des Berliner Fußballklubs BFC Dynamo könnte sich zum ersten Nachweis endgültig abgeschaffter Bürgerrechte zur WM 2006 entwickeln. Bei dem Einsatz waren 158 Männer in der Diskothek »Jeton« in der Nacht zum Sonntag festgenommen und bis zu 20 Stunden festgehalten worden. Der richterliche Beschluß zur Durchsuchung wurde dem Besitzer erst nach Beendigung der Aktion per Fax zugestellt. BFC-Pressesprecher Yiannis Hd. Kaufmann erklärte am Dienstag gegenüber jW: »Uns ist aus dem Umfeld des Diskothekenbesitzers übermittelt worden, daß der Anwalt des Geschäftsführers Ronny Berkan mit dem zuständigen Richter, der den Beschluß unterschrieben haben soll, gesprochen hat. Dieser Richter habe ihm gegenüber geäußert, daß er von der Polizei mit nicht unbedingt zutreffenden Angaben zur Unterschrift veranlaßt worden sei, dar-über hinaus habe er nach dem Vorliegen erster Aussagen von Verhafteten entschieden, die Aktion abzubrechen und weitere Inhaftierte nicht mehr dem Haftrichter vorzuführen.« In der Justizpressestelle des Berliner Senats konnte man sich das nicht vorstellen. Eine Sprecherin der Berliner Polizei aber teilte mit, daß die Aktion von Polizeiführer Prof. Knape (Professor ehrenhalber) abgebrochen wurde, als sich nach dem Fußballspiel 1. FC Union–BFC am Sonntag die Gründe für die Aktion erledigt hatten.
Der BFC hatte die Berliner Polizei im Vorfeld vom Turnier und der Feier informiert und mitgeteilt, daß von den 45 Fan-Mannschaften fünf der Hooliganszene zugeordnet werden könnten. Festgenommen wurden ohne Ausnahme alle. Die Polizei rechtfertigte gestern den Einsatz mit der Feststellung von 28 bekannten »Gewalttätern Sport« unter den 158 Festgenommenen. Der beantragte Durchsuchungsbeschluß basierte allein auf »Aufklärungsergebnissen« des Landeskriminalamtes. Das bedeutet, daß die Berliner Polizei jede Person überfallen, zusammenschlagen, nötigen und in Gefangenensammelstellen sperren darf, der sie vorher die Hooligankategorien B oder C anhängt. Die Opfer berieten am Dienstag abend mit ihren Anwälten weitere Klagen.
Quelle: Junge Welt (24.08.05)
Mit dem Schlagstock auf die Köpfe
Ich bin 40 Jahre alt, von Beruf Rechtsanwalt, komme aus Hamburg und war in der Nacht zum Sonntag in der 3. Etage der Diskothek Jeton. Ich bin kein Hooligan und noch nie straffällig geworden. Wir waren in bester Stimmung und saßen mit unserer Gruppe an einem Tisch in der Nähe einer Notausgangstür. Gegen 1.30 Uhr knallte es plötzlich in einer Entfernung von circa zwei Metern und Licht blitzte auf. Gleichzeitig öffnete sich die Notausgangstür und vermummte und behelmte Polizisten stürmten den Raum. Ohne jede Ankündigung wurden die in direkter Nähe sitzenden Personen mit dem Schlagstock auf die Köpfe gehauen. Zudem wurde seitens der Einsatzkräfte getreten und geschlagen und zwar massiv gegen den Kopf. Erst dann folgte der Befehl "Alles auf den Boden". Während der Erstürmung schmissen die Beamten die Tische samt der Gläser um. Gegenwehr gab es nicht. Sämtliche Personen lagen innerhalb von vielleicht 10 Sekunden auf dem Boden. Als ich auf dem Boden mit meinem Körper auf den Glasscherben lag, bemerkte ich, dass ich in einer Blutlache lag und mein Hemd voller Blut war. Ich blutete stark. Ein SEK-Beamter brachte mich zum Rettungswagen. Ich erlitt eine 14 Zentimeter lange Platzwunde auf dem Kopf, die im Krankenhaus mit 17 Stichen genäht werden musste, Prellungen und Blutergüsse. Es folgte eine wahre Odyssee durch Berliner Polizeistationen und Gewahrsamsnahme. Über den Grund der Verhaftung wurde ich nicht aufgeklärt. Erst gegen 19.30 Uhr wurde ich entlassen. Als Mensch vermisse ich hier jegliche Rücksichtnahme des Sondereinsatzkommandos auf die anwesenden Gäste und als Jurist die Verhältnismäßigkeit der Mittel. Die Einleitung juristischer Schritte ist unumgänglich. Kai-E. Peters, per E-Mail
Quelle: Berliner Zeitung (24.08.05)