profil: Wie gehen Sie damit um, dass fremde Menschen viel von Ihnen erwarten?
Thiem: Zuerst einmal habe ich mir das erarbeitet. Ich habe mich in eine Situation gebracht, dass mir Menschen zutrauen, einen großen Titel zu gewinnen. Sport ohne Fans würde nicht existieren, deswegen haben sie auch das Recht, etwas zu erwarten. Ich selbst bin Fan vom FC Chelsea und werde auch grantig, wenn die einen Stiefel zusammenspielen.
profil: Was nehmen Sie sich für Paris vor?
Thiem: Den nächsten Schritt zu machen. Letztes und vorletztes Jahr war ich im Halbfinale. Logisches nächstes Ziel muss also das Finale sein. Aber du spielst ab der ersten Runde gegen Leute, die extrem gute Tennisspieler sind. Und auch wenn du in den Top Ten stehst: Wenn du nicht das bringst, was du kannst, wird es gegen jeden da draußen ganz schnell eng.
profil: Sie haben ein großes Betreuerteam. Am Platz stehen Sie aber alleine. Ist Tennis der ideale Sport für Einzelkämpfer?
Thiem: Natürlich ist Tennis ein Einzelsport. Aber ohne mein Team – Trainer
(Günter Bresnik, Anm.) , Eltern, Physiotherapeut und viele andere – wäre ich nie so gut geworden. Undenkbar. Insofern ist Tennis, bevor du auf den Platz gehst, ein Teamsport. Erst im Match bin ich dann auf mich alleine gestellt. Von meinen 80 Spielen im Jahr fühle ich mich in fünf unfassbar gut, so wie letztes Jahr bei meinem Sieg gegen Rafael Nadal in Rom. Bei fünf fühle ich mich richtig schlecht, da geht gar nichts. Bei allen anderen muss ich versuchen, dass ich meine Unzulänglichkeiten überwinde. Da kann ich mich nicht wie im Mannschaftssport auswechseln lassen. Das bringt eine gewisse Wahrheit in den Tennissport.
profil: Das alte Duell Mann gegen Mann?
Thiem: Nein, das nicht. Wäre Tennis ein so intensiver Zweikampfsport wie Boxen, bei dem man wirklich körperlichen Kontakt hat, einen Konflikt körperlich austrägt, dann wäre das nichts für mich. Ich sehe meinen Gegner auch nicht als Feind, den ich besiegen muss, sondern als denjenigen, der die Messlatte legt, über die ich drüber muss. Derjenige, der an diesem Tag besser ist, gewinnt. Es gibt keine Wertungsrichter, alles fällt auf dich zurück. Du musst besser sein als der drüben. Und auf der ATP-Tour ist der drüben extrem gut, auch wenn er vielleicht auf Platz 100 oder 150 steht.
profil: Gibt es eine gewisse Situation in einem Match, die Sie besonders mögen?
Thiem: Je enger es wird, desto mehr taugt es mir. Das Knistern bei 5:5, 30 beide, da ist die Spannung am größten. So eine Situation macht etwas mit mir, das ich alleine nicht zusammenbringe an Konzentration, an Fokus und an Intensität.
profil: Wirklich: Keine Angst bei 5:5, 30 beide?
Thiem: Ich habe immer das Gefühl, dass ich das gewinne. Immer. Aber der andere hat das Gefühl wahrscheinlich auch. (Lacht.)
profil: Gibt es im Gegensatz dazu eine Situation, die Sie besonders fürchten?
Thiem: Fürchten ist im Tennis verboten. Wer Angst hat, wird verlieren.
Aber ich mag die Anfangsphase eines Matches oder Satzes nicht so. Da fehlt mir diese Spannung, von der ich gerade gesprochen habe. Schneller in ein Match zu starten, ist definitiv noch etwas, das ich verbessern muss.
profil: Tennis ist ein ständiger Lernprozess. Was haben Sie über sich und Ihr Spiel im letzten Jahr gelernt?
Thiem: Tennis ist wirklich ein permanenter Prozess, da brauche ich gar nicht nur vom letzten Jahr reden. Jeder Schlag ist eigentlich neu, man muss sich immer neu einstellen und bereit sein. Wenn man das nicht tut, verschlägt man auch als Top-Ten-Spieler die einfachsten Bälle. Roger Federer ist ein sehr gutes Beispiel, wie man sich permanent weiter entwickelt: Der spielt heute völlig anders als noch vor ein paar Jahren. Obwohl gerade er allen Grund gehabt hätte zu sagen: Jetzt kann ich's eh schon ganz ordentlich, jetzt brauche ich nix Neues mehr lernen.
profil: Das heißt: Egal wie gut man ist, das Ziel ist trotzdem nie erreicht. Macht Sie das fertig?
Thiem: Als Tennisspieler muss man eben wissen: Das perfekte Match wird man nie abliefern, man wird immer Fehler machen. Wenn du damit nicht umgehen kannst, wird es nichts mit der Karriere.