Kommt immer auf die Definition drauf an. Das, was du hier beschreibst, ist für mich eher „Professionalität“. Mentalität geht für mich eher in Richtung „Führungspersönlichkeit“. Also das, was du beschreibst + die Fähigkeit, den Glauben an den Erfolg auch an Mitspieler zu übertragen. Also diejenigen, die Zweifel kriegen und dadurch eben nicht mehr in der Lage sind das maximale Engagement zu bringen. Und das kann auf verschiedene Arten passieren. „Zeichen setzen“ gehört für mich da auch dazu. Wo ich aber mitgehe: „Zeichen setzen“ ist am Stammtisch halt ein Synonym dafür, einen Gegenspieler irgendwie in die Sportinvalidität zu grätschen. Das ist es nun wirklich nicht. Klar kann auch ein gelungenes Tackling pushen, aber es geht nun mal nicht primär drum irgendwie in der Weltgeschichte zu grätschen, nur damit gegrätscht ist.
Am Beispiel Kroos: Mentalität ist halt auch, wenn man im Spiel gegen Schweden in der 95. Minute einen Freistoss versenkt. Vor allem wenn man die Umstände bedenkt. Erstes Spiel verloren, gegen Schweden zurück, dann ewig 1:1, Boateng fliegt vom Platz und von all dem ist er unbeeindruckt geblieben und konnte in der Nachspielzeit den Siegtreffer erzielen und Deutschland zurück ins Turnier bringen. Dass es nachher trotzdem nicht geklappt hat – geschenkt. Zaubern können Mentalitätsspieler nicht. Aber das Erfolgspotenzial maximieren.
Ich denke, dass daher auch dieses „Erzwingen“ kommt, was bisschen ein Denkfehler ist (muss später mal nachsehen wie die Fallacy heisst, um die es sich da handelt). Kroos, Ramos und Co. erzwingen gar nichts. In 9 von 10 Fällen fällt auch durch Ramos kein Ausgleich nach Eckball im Finale gegen Atlético. In 9 von 10 Fällen landet der Freistoss von Kross in der Mauer, beim Torwart, neben/über dem Tor oder am Gehäuse, aber nicht im schwedischen Tor drin. Aber weil Mentalitätsspieler häufiger als Nichtmentalitätsspieler ihre Qualitäten auch in so schwierigen Situationen abrufen können, kriegt man den Eindruck, dass sie da etwas erzwingen. Weil es bei anderen Spielern halt in 9,9 von 10 Fällen nicht klappt und nicht nur in 9.
Sehe ich 1:1 genau so. Natürlich kann das berühmte Zeichen auch mal genau das richtige Mittel sein. Natürlich auch mal das lautstarke zur Ordnung rufen. Diese "Sonderaktionen" sind situativ schon mal wichtig, wenn sie im
richtigen Moment (und nicht inflationär) passieren und die Mannschaft eine Art "Wachmacher" brauch. Kann man natürlich mal machen.
Grundsätzlich aber ist ein Mentalitätsspieler jemand, der mit Stress umgehen kann. Der unter Druck klaren Kopf behält, genau dann seine beste Leistung bringen kann und damit Vorbild für seine Mitspieler ist. Kommunikation gehört natürlich dazu, Kommunikation bedeutet unter Druck aber klare, knappe Kommandos, um Hilfestellung zu leisten. Nicht "Ey...EYYYYYY! WAS MACHST DU?!?!" oder so.
Bei Kroos muss man aber leider sagen, dass die wichtigen Spiele, in denen er eben kein Mentalitätsspieler war, die positiven Beispiele zahlenmäßig schon klar überlagern.
2010 und 2012 war er noch jung und kam von der Bank, die Turniere zählen nicht, weil man da keine Führungsrolle verlangen konnte.
2014 hatte er genau zwei gute Spiele. Er war sehr gut im wichtigen Eröffnungsspiel gegen Portugal und natürlich Weltklasse gegen Brasilien. Das waren aber eben die Spiele, wo es auch im ganzen Team von Beginn an super lief. Gegen Algerien und im Finale war er der klar schwächste MF-Spieler, gegen Frankreich, Ghana und die USA ganz ok, eher unauffällig. Es war kein schwaches Turnier von ihm, das will ich nicht sagen. Aber Kroos gehört nicht zu den Vätern des WM-Titels (wie auch Özil nicht).
2016 hat er eine richtig gute EM gespielt (wie Özil auch, den ich erwähne, weil er oft ähnlcihe Kritik abbekommen hat). Jedes Spile abgeliefert, an ihm lag es nicht, das "nur" das HF rauskam (was ja ein ordentliches Resultat ist). Toni war 2016 viel stärker als 2014.
2018 hatte er den einen Freistoß, der war super. Gegen Südkorea im Anschluss war er aber leider der schlechteste Spieler auf dem Platz.
2020 war er auch nicht gut, gegen England sogar schlecht.
Will sagen: Kroos hat natürlich viele gute LS gemacht. Er war bis jetzt aber keineswegs derjenige, der in den entscheidenden, engen Spielen seine Top-Leistung gebracht hat. Da muss man leider sagen: eher im Gegenteil.
Trotzdem bin ich für das Comeback. Kroos ist ein intelligenter Junge, der ganz genau weiß, dass seine Karriere in der NM irgendwie unvollendet ist. Die Liebe der Fans wird ihm egal sein, aber der eigene Anspruch ist mMn schon, dass er zu gerne Sinnbild für einen Erfolg sein würde. Das Ego spreche ich ihm bei der großartigen Karriere schon zu und das hat er bei der NM in der Form einfach noch nicht.
Ich glaube, dass Kross sehr genau überlegt hat, ob mit diesen Mitspielern und diesem Trainer was drin ist. Muss kein Titel sein, aber ein gutes Turnier in Deutschland. Mit ihm als Leader, diesmal unwidersprochen. Da ist er zu einem "ja" gekommen und ich glaube tatsächlich, dass Toni - wenn das Team in sich funktioniert - dieses mal wirklich Führungs- und auch Mentalitätsspieler sein kann.
Ich bin kein super Fan seines Spiels, aber wenn die EM nicht läuft, wird es dieses mal nicht an ihm liegen, auch nicht in den engen Spielen. Da bin ich recht sicher.
Das kann ich von den bisher verordneten Führungsspielern Ilkay und Joshua nicht behaupten.