Vielen Dank,
@Martin_D , für die schöne Darstellung. Dann möchte ich mich auch nochmal ein bisschen ausführlicher zur Windregel äußern.
Zwei Dinge noch vorweg: Ich bestreite nicht, dass es Einzelfälle gibt, in denen die Windregel schlechte Bedingungen nicht abmildert, sondern sogar noch zusätzliche Nachteile für den Springer mit sich bringt. Ich behaupte aber auch, dass das für die große Mehrheit der Sprünge nicht gilt, weswegen die Verwendung der Windregel im Schnitt immer noch für eine größere Fairness bei den Wettkämpfen sorgt.
Ich behaupte auch nicht, dass man die Windregel nicht mehr verbessern kann. Zumindest im Falle des Seitenwinds halte ich es aber für schwierig. Wie ich zu dieser Einschätzung komme, will ich gern noch erläutern.
Martin_D hat ja oben schon erläutert, wie die Windpunkte berechnet werden, wenn der Wind schräg von vorn kommt. So habe ich es aus in Erinnerung, wenngleich ich mir nicht mehr ganz sicher war. Man zerlegt also quasi den Geschwindigkeitsvektor des Windes in eine Seitenwindkomponente und eine Aufwind- (oder Rückenwind-)komponente. Die Seitenwindkomponente wird für die weitere Rechnung nicht mehr verwendet. Anschließend wird von allen Windmessern, die der Springer auch erreicht hat (danke nochmal an
@Jabbar993 für die Bestätigung) der Durchschnittswert berechnet; und der liefert dann die Windpunkte.
Das bedeutet, dass das System es selbstverständlich schon merkt, ob Wind einer bestimmten Stärke direkt von vorn oder schräg von vorn kommt. Mit Martins Formel oben kann man zum Beispiel berechnen:
1 m/s Wind, der in einem Winkel von 30° auf den Springer einströmt, entspricht 0,87 m/s Aufwind.
1 m/s Wind, der in einem Winkel von 45° auf den Springer einströmt, entspricht 0,71 m/s Aufwind.
1 m/s Wind, der in einem Winkel von 60° auf den Springer einströmt, entspricht 0,50 m/s Aufwind.
1 m/s Wind, der in einem Winkel von 90° auf den Springer einströmt, entspricht 0,00 m/s Aufwind.
Ich denke, das passt auch so, denn mit maßvollem Seitenwind können die Springer normalerweise umgehen. Nur zu stark darf er nicht werden - und das ist tatsächlich ein Problem, das von der Windformel nicht gelöst wird. Ich will das auch noch ein bisschen visualisieren:
Seitenwind
All die oben abgebildeten Windpfeile liefern denselben Punktabzug, weil die Aufwindkomponente gleich ist. Der grüne Windpfeil hilft dem Springer wirklich gut. Auch mit dem gelbgrünen und dem gelben dürfte er noch zurechtkommen. Aber der orangene und der rote Windpfeil beinhalten bereits so viel Seitenwind, dass der den Springer aus dem Gleichgewicht bringt. Der Schaden, den dieser Seitenwind anrichtet, ist vermutlich deutlich größer als der Nutzen, den der Springer durch die Aufwindkomponente hätte. Trotzdem bekommt der Springer noch Punktabzug, weil der Wind ja noch eine Aufwindkomponente beinhaltet. In diesem Fall haben die Kritiker Recht; die Windregel schadet dem Springer sogar.
Ich glaube allerdings, dass es sehr schwierig ist, den Seitenwind in der Formel unterzubringen. Denn der Zusammenhang zwischen der Stärke des Seitenwinds und der Weite ist nicht so einfach wie bei Auf- und Rückenwind. Solange der Seitenwind schwach ist, sagen wir etwa zwischen 0 m/s und 2 m/s (wahrscheinlich auch noch etwas mehr, das kann ich nicht genau sagen), dürfte es relativ egal sein, wie stark er genau ist. Die Springer kommen da noch recht gut durch. Erst ab eine gewissen Grenze wird es kritisch. Wo diese Grenze genau liegt, weiß ich nicht; wahrscheinlich hänht das auch davon ab, wie stabil die Technik ist - und wie viele Meter das dann kostet, dürfte ebenfalls schwer zu berechnen sein. Wenn der Springer seinen Sprung deswegen komplett abbrechen muss, ist das eigentlich nicht auszugleichen.
Deswegen halte ich es für kaum möglich, das in der Formel unterzubringen. Die einzige Lösung besteht darin, dass man den Springer bei zu starkem Seitenwind schlicht nicht herunterlässt. Das wird aber auch in den meisten Fällen so gehandhabt. Das Problem ist bloß: Der eine Springer, den man dann doch mal bei zu starkem Seitenwind herunterlässt (möglicherweise auch, weil der Seitenwind erst so stark geworden ist, als die Ampel schon grün war) und der dann nur mit Mühe einen Sturz vermeiden kann, bleibt natürlich besser im Gedächtnis haften als die vielen anderen, bei denen der Wind im Rahmen war.
Ein Grund, die Windregel abzuschaffen, ist das daher nicht.
Wechselnder Wind
Neben dem Seitenwind gibt es noch ein anderes Problem, das auch schon angesprochen wurde. Der Wind ist ja nicht immer überall gleich. Ein Springer der bei Windstille springt, bekommt 0 Punkte Gutschrift. Ein anderer Springer, der im oberen Teil der Schanze, wo das noch eher bremst, 2,5 m/s Aufwind hat und dann im unteren Teil, wenn er sich gerade darauf eingestellt hat und schön auf dem Wind segeln will, auf einmal 2 m/s Rückenwind, bekommt am Schluss sogar einen kleinen Abzug - obwohl er es durch den wechselnden Wind insgesamt wohl eher schwerer hatte.
Hier wäre es vielleicht tatsächlich möglich, die Formel zu verbessern, indem man bei der Berechnung des Durchschnittswerts nicht alle Windmesser gleich stark gewichtet. Hier gibt es bestimmt Messungen, wo einem der Aufwind am meisten hilft. Zumindest solange die Windunterschiede nicht so groß sind, könnte das helfen.
Wenn die Windunterschiede im Lauf des Fluges so groß sind, dass der Springer aus dem Gleichgewicht kommt, lässt sich mit der Windregel auch wieder nicht mehr viel machen. Eine Abschaffung hilft dem Springer in so einer Situation aber auch nicht weiter; dann ist der Sprung ohnehin kaputt. Solche Situationen müssen einfach vermieden werden; auch hier gilt aber: In den meisten Fällen geschieht das ja.
Restunsicherheit bei den Messwerten
Der Aufsprunghand der Schanze in Garmisch-Partenkirchen ist beim K-Punkt 25 m breit. Das bedeutet, dass manche Windmesser mindestens 12,50 m vom Springer entfernt sind. Bei turbulenteren Verhältnissen kann der Wind dort, wo der Springer entlangfliegt, also durchaus anders sein als dort, wo er gemessen wird. Es liegt in der Natur der Sache, dass dann selbst eine korrekte Formel nicht unbedingt die richtige Gutschrift liefert, weil sie mit falschen Daten gefüttert wird.
Auch hier gilt aber: Dass so etwas im Einzelfall mal passiert, ist immer noch kein Argument gegen die Windregel; das wäre es erst, wenn in der Mehrzahl der Fälle die Springer mit Windregel schlechter gestellt wären als ohne.