ARCHIV: INTERVIEW
»Dariusz ist mein Sohn, Bruder und Freund«
Er ist der Dompteur des Tigers. Unter seiner Regie wurde Dariusz Michalczewski zu einem der erfolgreichsten Boxer aller Zeiten. Nur wenige Menschen kennen den Weltmeister, der seinen Titel morgen in der Color Line Arena gegen Derrick Harmon verteidigt (ab 22 Uhr, live im ZDF), so gut wie er: Die MOPO traf Tiger-Trainer Fritz Sdunek (55) im Universum-Gym in Wandsbek.
MOPO: Gratulation, Sie feiern morgen Ihren Siebzigsten?
Sdunek: (lacht) Ja, es ist mein 70. WM-Kampf, und meine 16. WM als Trainer von Dariusz. Er weiht morgen die Arena mit Boxen ein. Das ist eine große Ehre für ihn.
MOPO: Vor drei Wochen wurde Wladimir Klitschko entthront. Haben Sie nicht Angst, dass den Tiger das gleiche Schicksal ereilt?
Sdunek: Die Gefahr ist im Boxen immer da. Die Leichtsinnigkeit von Wladimir ist eine Warnung. Aber Dariusz ist so erfahren, so nervenstark - ich habe da keine Befürchtung bei ihm.
MOPO: Sie hatten und haben viele Weltmeister unter Ihren Fittichen. Zu Dariusz haben Sie aber eine ganz besondere Beziehung ...
Sdunek: Wir kennen uns seit 13 Jahren, haben uns von Anfang an super verstanden. Dariusz ist schon so etwas wie ein Sohn für mich. Wir sind auch ein wenig wie Brüder, einfach dicke Freunde. Wir kennen uns so gut, wir brauchen oft keine Worte. Wir schauen uns in die Augen und wissen, was der andere denkt.
MOPO: Wie war denn Ihre erste Begegnung?
Sdunek: Es fing 1990 an, nach der Wende. Ich kam als Trainer nach Leverkusen. Dort trainierte Dariusz, der gerade Deutscher geworden war, für die Europameisterschaft. Es hat sofort gefunkt. Er war mein Versuchskaninchen. Ich habe an ihm mit Trainingsmethoden experimentiert. Er sagte dann: ,Fritz, das war zu hart', oder: ,Ich bin unterfordert.' So konnte ich mein Training entwickeln. Das hat uns beide weit nach vorne gebracht.
MOPO: Wie war Dariusz als damals 22-Jähriger?
Sdunek: Extrem ehrgeizig. Aber auch ungeduldig. Er war hektisch, wollte immer alles ganz schnell schaffen. Das ist teilweise heute noch so.
MOPO: Sie beide sind starke Charaktere. Da gibt es doch auch mal Reibereien, oder?
Sdunek: Klar wird man auch mal lauter. Ich musste ihn schon anbrüllen, wenn er wieder mal ausgeflippt ist. Aber richtig verkracht haben wir uns nie. Dafür ist die Freundschaft zu stark.
MOPO: Was war Ihr schönstes Erlebnis mit dem Tiger?
Sdunek: Als er 1994 in Hamburg gegen Leeonzer Barber Weltmeister wurde, das war Wahnsinn. Damals war ich Assistenz-Trainer neben Chuck Talhami. Chef-Trainer von Dariusz wurde ich wieder Ende `96. Mein absolutes Highlight mit Dariusz war natürlich, als er ein Jahr später gegen Virgil Hill die drei WM-Titel holte. Auch die beiden Rocky-Kämpfe waren vom Wirbel drumherum grandios.
MOPO: Was schätzen Sie an Dariusz besonders?
Sdunek: Seinen Mut und seinen Willen. Auch im Training will er überall der Erste und Beste sein. Unsere jungen Boxer schauen zu ihm auf. Am Menschen Dariusz schätze ich die Ehrlichkeit. Manchmal ist er unbequem, aber er ist gerade heraus. Ich liebe das. Wir sind beide so. Deshalb verstehen wir uns auch so gut.
MOPO: Und was stört Sie an ihm?
Sdunek: Eigentlich nichts. Nur wenn kurz vor den Kämpfen seine ganzen Freunde aus Polen kommen, das nervt manchmal. Aber es ist halt wichtig für ihn.
MOPO: Die meiste Zeit des Jahres lebt er mit seiner Freundin Patrizia wieder in Polen. Ist der Kontakt noch so eng wie früher?
Sdunek: Wenn was ist, telefonieren wir. Wir reden über alles.
MOPO: Wie vor zweieinhalb Jahren, als er sich von seiner Frau Dorota getrennt hat?
Sdunek: Damals haben wir viel miteinander gesprochen. Als er seine beiden Söhne nicht mehr sehen durfte - nicht mal telefonieren - das war hart für ihn. Er hat ja später ehrlich gesagt, dass er sich zu wenig um seine Familie gekümmert hat.
MOPO: Haben Sie noch Kontakt zu seiner Frau?
Sdunek: Wir telefonieren ab und zu. Ich rufe seine Söhne an, wenn sie Geburtstag haben und sie rufen mich an meinem Geburtstag an. Als die Ehe damals auseinander ging, habe ich seinen jüngeren Sohn Nicolas oft mit zum Box-Training genommen.
MOPO: War seine Rückkehr nach Polen auch eine Reaktion darauf, dass er trotz seiner Erfolge nie die Sympathien und die Anerkennung wie beispielsweise Henry Maske genossen hat?
Sdunek: Auf jeden Fall hat ihn das mehr gewurmt, als er nach außen gezeigt hat. Dariusz hatte es aber auch schwer: Er hat lange Zeit nur im Pay-TV bei Premiere geboxt. Das konnten nur wenige empfangen. Und es wurde nicht so viel PR für ihn gemacht wie für Maske oder jetzt zum Beispiel für die Klitschkos.
MOPO: War es ein Fehler, dass er nie in den USA geboxt hat?
Sdunek: So spektakulär wie Dariusz boxt, wäre er bestimmt ein echter Kracher in Amerika gewesen. Aber es hat sich einfach nicht ergeben.
MOPO: Wie lange boxt der Tiger noch?
Sdunek: Bei Dariusz steckt man nicht drin. Sein Ehrgeiz ist ungebrochen, aber er ist nicht mehr der Jüngste. Alles hängt von der Gesundheit ab.
MOPO: Welche Kämpfe des Tigers würden Sie denn reizen?
Sdunek: Natürlich ein Kampf gegen Roy Jones. Von mir aus auch im Schwergewicht. Der Ottke-Zug ist abgefahren. Der will nicht. Der redet nur noch Unsinn. Ich bin schon sehr enttäuscht von ihm.
MOPO: Können Sie sich Ihre Arbeit überhaupt ohne den Tiger vorstellen?
Sdunek: Man muss sich wohl oder übel an den Gedanken gewöhnen. Er würde mir sehr fehlen. Ich bin ein echter Fan von Dariusz. Mit wie viel Herz er boxt, wie er sich schindet - das ist begeisternd. Ich habe ihm viel zu verdanken. Auch einige graue Haare.
MOPO: Apropos: Was machen Fritz Sdunek und Dariusz Michalczewski in 20 Jahren?
Sdunek: Dariusz wird in Polen in der Wirtschaft mitmischen oder junge Box-Talente beraten. Wenn ich dann nicht schon tot bin, stehe ich noch immer in der Boxhalle. Auf jeden Fall werden wir noch Freunde sein.
http://archiv.mopo.de/archiv/2003/20030328/nachrichten/sport/sportmix/hmp2003032717493732.html