Interessantes Interview. Gerade der Teil, wo es um die fehlende Anerkennung geht. Das frage ich mich auch ein wenig. Ich meine der boxt im Schwergewicht, der Königsklasse, hat jetzt hintereinander als Underdog in zum Teil spektakulären Kämpfen drei gute bis sehr gute Gegner durch KO besiegt, bekommt international Anerkennung und in Deutschland kann er vermutlich unerkannt durch die meisten Städte spazieren. Ist das Profiboxen wirklich so tot in Deutschland, der Boxsport nicht mehr politisch korrekt genug für die großen Sender oder was ist das Problem?
Natürlich hatte Agit auch etwas Pech. Die große Zeit des Boxsports in Deutschland war bereits nach Maske/Schulz/Ottke/Tiger/Rocky vorbei, die großen deutschen Boxställe gab es nicht mehr, demnach auch keine großen TV Verträge und am Ende war es eigentlich nur noch Wladimir, der vor allem von seinem bereits hohen Bekanntheitsgrad profitierte, den er durch UBP und das ZDF erlangt hatte. Zudem waren Wladimirs letzte Kämpfe eher Events, die sich vom Boxsport fast abgekoppelt hatten. Agit ist am Anfang der Karriere auch etwas unter dem Radar gewesen. Ich bin ja nun wirklich deutlich überdurchschnittlich interessiert am Boxsport, gerade an der Königsklasse, aber so richtig auf dem Schirm hatte ich ihn eigentlich erst nach dem Chisora Kampf. Dann boxte er jedoch gefühlt nur einmal pro Jahr gegen eher unbekannte Gegnerschaft und dann war Corona.
Aber spätestens nach dem Sieg gegen Zhang müsste da doch deutlich mehr gehen. Es ist doch eigentlich ein Witz, dass der nächste Kampf nur auf DAZN läuft. Das mag int. Gepflogenheiten folgen, aber dem deutschen Markt entspricht das doch überhaupt nicht. Den Kampf werden daher in Deutschland eigentlich nur bereits Boxsportinteressierte sehen.
Ich frage mich wirklich, warum beispielsweise RTL nicht auf diesen Zug mit aufspringt? Das hat doch mit den Klitschkos und zuvor Schulz/Maske jahrelang wunderbar geklappt. Jetzt hat man sogar noch Sky Deutschland mit an Bord und einen deutschen Topschwergewichtler, der völlig zu Recht aktuell überall in den TOP 3 ist (davon waren Schulz, Krasniqi, Mildenberger und Co. weit entfernt) und realistische WM-Chancen hat. Was denn noch?
Agit hat den größten Hype aller deutschen Boxer. Natürlich kann man immer hinterfragen, ob der Hype nicht noch größer erscheinen müsste usw., aber was sollen dann andere Boxer sagen?
Agit ist ja nicht einmal Weltmeister, ein Abass Baraou hingegen schon. Er ist der Nachfolger von Terence Crawford bei der WBA! Abass war zudem bereits im Amateurbereich Weltklasse – der Junge hat eigentlich viel mehr als Agit bislang erreicht und boxt demnächst im großen Titelvereinigungskampf in Puerto Rico. Wenn ich dort moniere, dass so ein bescheidener, toller Weltklasseboxer nicht die Aufmerksamkeit bekommt, gehe ich voll mit – aber bei Agit? Der Typ verkauft die ganze Halle in wenigen Tagen komplett aus und verdient wohl 2,5 Millionen gegen Knyba. Er hat es natürlich verdient, nicht falsch verstehen, aber ich kann doch nicht ausgerechnet bei Agit vom fehlenden Hype sprechen, wenn selbst echte Weltmeister hierzulande unbekannt sind.
Genauso ein Vincenzo Gualtieri: Der wurde vor wenigen Jahren in Wuppertal Weltmeister und boxte danach in den USA im Titelvereinigungskampf. Vermutlich hat die Hälfte aller Forenuser den Namen noch niemals zuvor gehört. Das sind Probleme – ein Agit steht darüber, was auch gut ist.
Bei den Frauen brauchen wir gar nicht erst anfangen, das wird noch viel deprimierender. Tina Rupprecht wurde in diesem Jahr in Potsdam sogar Undisputed und hat sämtliche Titel in ihrer Gewichtsklasse vereint. Sie würde davon träumen, jemals vor 13.000 Zuschauern im PPV zu kämpfen – das gibt es natürlich nicht, nicht einmal ansatzweise. Sie wird nun bald vermutlich wieder als Lehrerin zurückkehren.
Und eine Sache möchte ich noch über das lineare Fernsehen sagen: Kein Mensch im Zielgruppenalter interessiert sich mehr dafür. Frag doch mal eine Person unter 27, ob sie noch lineares Fernsehen verfolgt. Mindestens 80 % werden das verneinen. Das ist kein Faktor mehr. Ihr seid alle Rentner – das lineare Fernsehen interessiert wirklich niemanden mehr. Die Jugend weiß nicht, wer Gottschalk oder Harald Schmidt ist.
Es gab im April 2024 den großen WM-Kampf zwischen Culcay und Murtazaliev im RBB, also im öffentlichen Rundfunk. Murtazaliev ist ein Banger, gehört zu den krassesten Boxern überhaupt in der aktuell heißesten Gewichtsklasse, dem Superweltergewicht. Euer gelobtes lineares Fernsehen brachte 0,9 % Einschaltquote. Das ist nichts.
Nun kann man sagen: „Im ZDF würde das mehr ziehen“… ja. Aber das lineare Fernsehen ist nicht mehr zeitgemäß und dem Untergang geweiht. Wenn die ganzen Boomer versterben, die noch Quote erzeugen, ist das Format tot.
Man braucht nur nach Oktagon und MMA zu blicken. Im April kämpften Holzer und Ilbay (übrigens ehemaliger Profiboxer) in Dortmund –
1,33 Millionen Abonnenten haben das auf RTL+ live gestreamt. Das kostet Geld, das war nicht kostenlos. Und als Oktagon neulich erstmalig Kämpfe im Free-TV auf RTL zeigte, etwa mit Topstars wie Christian Eckerlin, kam eine Quote von 0,6 Millionen zustande. Dabei muss man berücksichtigen, dass parallel auch noch auf RTL+ gestreamt wurde.
Jedenfalls hat diese Free-TV-Übertragung keinen großen Hype erzeugt. Es ergibt wenig Sinn, solche Formate ins lineare Fernsehen zu drücken, wenn die Zukunft sowieso im Streaming stattfindet. Genau so muss man das im Boxen sehen. Klar, Rentner würden sich im ZDF noch mehr für Agit interessieren, und temporär wäre es hilfreich – aber die Zukunft liegt im Streaming. Es ist normal, sich PPV-Livestreams zu kaufen. Deshalb sollte man sich dort gut aufstellen und dort stattfinden.
Wenn RTL Interesse zeigt, dann auch nur über RTL+. Man sieht es doch bei Oktagon: Es bringt nichts, die Sachen ins lineare Fernsehen zu drücken. Jeder hat Streamingdienste – wer also krasse Kämpfe sehen möchte, muss sich entsprechende Dienste aneignen. Wir leben nicht mehr in den Neunzigern.
