Ich mag den Boxsport weiterhin. Den SPORT wohlgemerkt - und nicht seine ekelhaften Geschwüre und Ausläufer, die sich letztendlich in highway robberies, Hofberichterstattung und anderen Facetten des Betrugs manifestieren.
Ein geiler Kampf bleibt für mich also - wenn ich ihn völlig kontextbefreit betrachte - erstmal ein geiler Kampf. Unabhängig davon, ob der Sieger der richtige ist.
Allerdings fällt es mir immer schwerer, diesen Kontext, diesen Rattenschwanz aus Geldmacherei, Korruption, Klüngel und Betrug zu ignorieren. Das ganze "System Boxen" scheint mir ausschließlich darauf ausgerichtet zu sein, den Mächtigen im Boxzirkus zu erlauben, "ihren" Mann an die Spitze zu führen und gleichzeitig dem Zuschauer einzureden, dass dies mit rechten Dingen zugegangen ist.
Was macht für mich das "System Boxen" aus
1. Intransparenz:
Niemand, der sich nicht gerade durch ellenlange Boxrecstatistiken quält, kann wirklich einschätzen, wie stark ein ihm unbekannter Boxer ist. "Profiboxer" bedeutet nunmal nicht, dass der Mann zu einem elitären Pool an Ausnahmekönnern gehört. Und eine Unterteilung in verschiedene Leistungsligen, wie in anderen Sportarten üblich, gibt es nun mal nicht. Inwiefern Intransparenz weiterhin begünstigt wird durch verschiedene Boxverbände, mit jeweils eigenen Champions (die selten gegen den Titelträger der "anderen" Verbände antreten) und die inflationäre Vergabe von wertlosen Titeln, will ich hier nicht weiter ausführen.
Mein Punkt ist: ein Gelegenheitszuschauer, der einen Boxer nicht kennt und nicht bei boxrec dessen Gegnerschaft (und dann deren Gegnerschaft, und dann deren ...) nachprüfen kann/will, ist auf die Information der Medien angewiesen, was uns zu Punkt 2 führt.
2. die unheilige Allianz zwischen Sender und Boxstall:
Worüber freut sich der Boxstall mehr, als über einen mittelmäßigen Gegner für den eigenen Champ? Über einen mittelmäßigen Gegner, den der Zuschauer für eine Granate hält. Der übertagende Sender ist natürlich sehr daran interessiert, dass der Zuschauer das, was er auf dem Bildschirm sieht, für ein tolles Produkt hält und dass die Boxer des Stalls, dem man Millionenbeträge in den Rachen pumpt, als echte Superstars dastehen. Folglich informiert man den Zuschauer nur darüber, dass der grimmig dreinschauende Bodybuilder mit den duften Tattoos eine Kampfbilanz von 23-0 hat, aber nicht darüber, dass er noch nicht außerhalb seiner Geburtsstadt geboxt hat und die Gegner alle aus dem ortsansässigen Turnverein gekommen sind.
Darüber hinaus haben die Sender natürlich alle Mittel in der Hand, den Zuschauer zu desinformieren, oder besser gesagt - zu lügen. Der Kommentator kann Treffer verschweigen oder hervorheben, kann den Zuschauer mit nebulösen Phrasen davon überzeugen, dass der Kampf immer noch ausgeglichen ist, kann den Zuschauer 12 Runden lang dahingehend bearbeiten, ein Fehlurteil zu schlucken. Desweiteren heucheln die Sender Expertise, indem sie die scheinbar unabhängige Meinung von Koryphäen (Maske) oder Fachleuten (Wagner und Co) bemühen, die natürlich genauso Teil des Klüngels sind. Bezeichnend, dass diejenigen, die sich diesem Prinzip nicht mit Haut und Haaren unterwerfen (Schulz) gegangen werden.
3. Judges:
Die Punktrichter sind nicht unabhängig. Nicht falsch verstehen, die Punktrichter sind nicht im klassischen Sinne bestochen. Hier gibt es keine Geldübergabe in Trenchcoats in einer Tiefgarage. Die Richter wissen aber ganz genau, wie sie zu werten haben, wenn sie denn wieder eingeladen werden wollen. Die Richter werden dem Heimboxer also die Runde zuschustern, "wenn es geht". Dass es geht, dafür sorgen die völlig verwaschenen und willkürlichen Bewertungskriterien, sowie die zahlreichen Boni, die man ins Feld führen kann:
Der eigene Boxer hat die Runde verloren? Ich führe den Weltmeisterbonus ins Feld.
Der eigene Boxer hat die Runde klar verloren? Ich bemühe Weltmeisterbonus und Heimbonus.
Der eigene Boxer hat die Runde glasklar verloren? Ich bemühe Heim- und Weltmeisterbonus und gebe mich als Anhänger einer Boxschule zu erkennen, die wenige klare Treffer bedeutend mehr gewichtet als die Anzahl der Treffer und die Workrate.
Fazit: als Punktrichter kann ich im Prinzip jede Wertung rechtfertigen, wenn ich meine Möglichkeiten zur Ausrede voll ausschöpfe.
Ich könnte hier noch mindestens 5 weitere relevante Punkte aufführen. Aber ich schätze das habt ihr eh alles schonmal gelesen. Den BoxSPORT an sich lieb ich nach wie vor, aber das System löst bei mir wirklich Brechreiz aus. Ich denke, aus dem Grund, sich nicht von diesem System verarschen lassen zu wollen (und das System damit indirekt zu unterstützen), versuchen hier viele dagegen anzuschreiben. Das führt dazu, dass man manchmal vorschnell "Skandal" schreit, obwohl es gar keinen gibt. Das ist genauso falsch, wie Leute mit Pseudoargumenten wie "es gab doch schon schlimmere Robberies" mundtot machen zu wollen. Ich kann schliesslich auch keinen Supermarkt überfallen und mich dann damit rausreden, dass gestern jemand ne Bank überfallen hat...
