So, nun sollte es also mal eine Art persönliches Update zur GOAT-Debatte geben.
Wie üblich muss als erstes gesagt werden, dass es keinen objektiven GOAT geben kann. Die Kriterien, die man ansetzt, sind zu unterschiedlich. Geht man nach den meisten Titeln, müsste es Bill Russell sein. Will man individuelle Dominanz könnte man Wilt oder Shaq nennen. Wer sagt, dass man dann ein ultimativer Gewinner ist, wenn man in den Finals nicht verliert, für den ist MJ der GOAT. Wer Longevity bevorzugt, würde auf Kareem oder LeBron verweisen und wer einen ultimativen Teamplayer will, könnte für Magic argumentieren. Weitere Beispiele können nach individuellen Vorlieben gern gedanklich hinzugefügt werden.
Natürlich vereinen viele GOAT-Kandidaten verschiedene Kriterien auf sich und sind überhaupt nicht so plakativ wie oben kategorisiert.
Wie bei jeder GOAT-Diskussion stellt sich die Frage, wie vergleichbar die unterschiedlichen Epochen überhaupt sind. Wie
@ocelot schon angedeutet hat, unterscheidet sich schon die Epoche eines MJ spielerisch wesentlich zu heute. Aber nicht nur das: Auch das Drumherum hat sich verändert, die Spieler sind heutzutage viel mächtiger und wechseln wesentlich schneller das Team, um den Erfolg zu erzwingen. Würde man die Spieler von damals und heute austauschen, hätte man mMn ähnliche Verhaltensweisen und auch Resultate - ein James würde auch in einer physisch stärkeren Liga dominieren und MJ würde heutzutage ebenfalls ohne Ende dominieren und hätte z.B. mMn fraglos auch den Dreier als Waffe im Gepäck. Gleichzeitig glaube ich aber auch, dass sich ein MJ nicht bieten lassen würde, wenn das Front Office ihm kein Contendermaterial zur Verfügung stellen würde und er dann das Team wechseln würde.
Nun werde ich ein paar ausgewählte Punkte aus meiner Perspektive darstellen, die keinesfalls vollständig sein muss oder will (schon gar nicht bei den Zahlen). Das Posting ist keinesfalls perfekt ausgewogen (hatte ich auch nicht beabsichtigt
), aber ich hoffe, dass man erkennt, dass ich nicht nur Pro-James argumentiert habe. Als Gegenspieler in der Debatte kann für mich nur Jordan gelten, da er und LeBron mMn deutlich Nr. 1 und Nr. 2 sein müssen. Natürlich hängt das auch damit zusammen, dass man die anderen GOAT-Kandidaten nicht gleich fair beurteilen kann und größtenteils nur die Zahlen kennt.
Schauen wir uns also ein paar Punkte an:
1. Die statistische Dominanz bei den Zahlen (zumeist totalen Zahlen). Alle Zahlen hier sind nur eine Auswahl. Am Ende seiner Karriere wird James die meisten Punkte und in der Top 5 bei Assists sein. Läuft alles normal, wird er das einzige Mitglied im 30.000/10.000/10.000-Klub sein (Punkte/Reb./Ass.). Er führt bereits jetzt bei Playoffpunkten und seit letzter Nacht bei meiste Playoffspiele (260). 7x wurden in den Playoffs 500 Punkte, 150 Rebounds und 150 Assists geschafft, 6x war es James (1x Larry Bird). Er hat die meisten Finals-TD, ist nur 2 hinter Magic bei Gesamt-Playoffs-TD und ist der einzige Spieler, der ein TD im Schnitt in den Finals auflegte und beide Teams in allen 5 Kategorien anführte. Bei WinShares wird er am Ende wohl auch die Nr. 1 vor Kareem sein.
Bei anderen Advanced-Stats liefern sich James und MJ in vielen Bereichen ein Kopf-an-Kopf-Rennen, bei denen MJ oft die Nase vorn hat (+/-, PER, Win Shares per 48 min) und in manchen James (VORP, MVP-Shares, Win-Shares). Die Stats von
@mystic weisen ebenfalls ein knappes Rennen aus.
Dazu kommen 16x All-NBA-Nominierungen, wobei 13 First Team sind (beides Rekord) und er letztes Jahr wohl ohne die Verletzung eine weitere hätte. 4 Meisterschaften, 4 Finals-MVPs, 4x RS-MVPs und immerhin auch 2 zweite Plätze bei Defensive Player of the Year runden das Resumé ab. Ich weiß nicht wie viele Spieler die Liga sowohl mal in Punkten und Assists angeführt haben, aber viele andere können es nicht sein. James ist der jüngste Spieler, der viele Marken erreicht hat und ist/wird auch in vielen der Älteste sein (alles natürlich nur bis der nächste Spieler mit entsprechendem Format kommt und vielleicht ist das schon Doncic).
Bei der Kombination aus Meisterschaften/Finals-MVP/MVP und Defensive Player of the Year hat MJ in der Gesamtheit noch immer recht deutlich die Nase vorn - die Zahlen sind bekannt. Nur MJ und James haben übrigens mindestens 4 Finals-MVP -Trophäen im Regal stehen und beide müssten wesentlich öfter den RS-MVP gewonnen haben, aber wir alle wissen, dass auch der MVP-Award unterschiedlichen "Gesetzmäßigkeiten" folgt.
2. Die Vergleichbarkeit der Karrieren und Teams
So unterschiedlich die beiden Spielertypen sind, so unterschiedlich sind die Karrieren. MJ hat den Vorteil, dass sein Average bei vielen Stats gut aussieht, da seine Karriere de facto von 21-34 Jahre ging und er damit der Father Time entging. Allerdings kann kein Zweifel bestehen, dass er auch mit 35 oder 36 Jahren noch großen Impact gehabt hätte, wenn man sich seine Wizards-Jahre anschaut. Gesagt werden muss noch, dass MJ praktisch 2 Jahre seiner Prime mit 30 und 31 (die Saison als er zurückkehrte, möchte ich nicht gegen ihn verwenden) nicht nutzte oder nutzen konnte. Ob sein Stil wirklich zu viel abverlangte und er die Pausen daher benötigte oder ob es doch war um der Liga-Sperre zu entgehen oder ob es doch einen anderen Grund gab, kann ich nicht sagen.
Ich weiß nur, dass MJ bei Longevity einen erheblichen Nachteil gegenüber James hat. Denn im Gegensatz zu anderen HS-Spielern wie Garnett oder Kobe war LeBron sofort nba-ready und spielt noch bis ins gehobene Alter jetzt unfassbar gut - beides ist neben dem Skillset und BB-IQ seinem körperlichen Vorteil geschuldet und auch der Tatsache, dass er praktisch nie verletzt war (noch nie ein Playoffgame verpasst und nur letztes Jahr verletzt gewesen). Anmerken kann man aber auch, dass wenn MJ mit 18 in die Liga gekommen wäre, er mMn vermutlich nicht direkt dominiert hätte wie mit 21, zumindest wenn man den Berichten folgt.
Die Karriere von MJ ist geradliniger, als er über dem Berg war, hat er in all seinen Jahren bei den Bulls auch den Titel geholt, das stärkte sein Image als ultimativer Gewinner. James hat auch einige Jahre benötigt um den ersten Titel zu holen und musste vorher durch ein ganz tiefes Tal (2011). Auch wenn LeBron quasi mietfrei in den Finals wohnte, häufte er im Gegensatz zu MJ Finals-Niederlagen an - bei einigen waren er und sein Team mMn klar unterlegen oder von Verletzungen gebeutelt (2007, 2015, 2017, 2018). Ich persönlich glaube nicht, dass Jordan einen dieser Titel in der Situation von LeBron gewonnen hätte. Die Niederlage gegen die Spurs 2014 dürfte aber die kontroverseste sein. 2011 hat er als Favorit deutlich versagt und das ist für viele noch immer der Neckbreaker für James in der GOAT-Diskussion. Ob es zu einfach ist, nur diese Finals dafür als Grundlage zu nehmen oder ob man sich das als GOAT-Kandidat einfach nicht leisten darf, muss jeder selbst entscheiden.
Eine der größten Stärken von James ist auch gleichzeitig ein Nachteil - durch seine Vielseitigkeit hat er dann und wann Teams in die Finals geführt, die dort nichts zu suchen hatten (Cavs 2007 und 2018) - folgerichtig gab es dabei auch Sweeps. Jordan hatte auch seine Niederlagen wo er nichts ausrichten konnte und gegen Champions ran musste, auch Sweeps waren darunter, allerdings schon vor den Finals und nicht erst auf der größten Bühne, was in meinen Augen kein Unterschied macht, da man James nicht dafür abstrafen kann, seine Teams länger am Leben gehalten zu haben, auch wenn ich denke, dass er die gleichen Probleme mit den Celtics und den Pistons gehabt hätte, wenn er in der Haut von MJ gesteckt hätte.
MJ hat alle Erfolge in einem Team geholt und sich damit quasi unsterblich in Chicago gemacht. Mit dem Heranwachsen von Pip und der Tatsache, dass es keine "echten" 3 Superstar-Teams gab, gab es für ihnen keinen Grund das Team zu wechseln, da man dauerhaft Contender war. Wie schon vorhin geschrieben, glaube ich, dass es auch für MJ heute anders wäre, wenn er keinen Co-Star gehabt hätte bzw. wenn er andere Voraussetzungen gehabt hätte. Wie wir wissen, gab es auch bei den Bulls viel Chaos hinter den Kulissen und Jordan musste auch dies überwinden. So ähnlich war es auch bei James als er zu den Cavs kam. Nachdem diese es nicht schafften, ihm einen Co-Star zur Verfügung zu stellen und damit trotz 60-Siege-Saisons in den Playoffs die Firepower fehlte, erzwang James die Titel mit Miami, damit setzte er die Entwicklung weiterer Superteams in Gang, da andere Teams eine Antwort suchten und GS diese fand. Nach dem 2. Stint mit dem Cavs wechselte er wieder ins Chaos, ich denke, dass man LA anno 2019 durchaus so bezeichnen könnte und krönte den Wechsel gestern mit dem Titel. Übrigens hat James 5 verschiedene Headcoaches in die Finals geführt, auch das ist Rekord.
Für James bleibt also, dass er als erster Spieler mit 3 verschiedenen Teams Meister und Finals-MVP wurde - dies wird ein Argument bleiben, da es zeigt, dass LeBron vielseitig genug ist, um sich verschiedenen Umständen und Teams anzupassen. Diese Leistung ist herausragend, kann aber kein Argument gegen Jordan sein. So wie James nix dafür kann, dass die Karriere von MJ kürzer als seine ist, so kann Jordan nix dafür, dass James häufiger das Team wechselte.
In Bezug auf Legacy wird bei Jordan haften bleiben, dass er die NBA global bekannt gemacht hat und praktisch jeder seinen Namen kennt. James hatte diese Chance nicht in dem Maße, dennoch zählt das Argument. Weiterhin hat Jordan das 6:0 auf seiner Seite und damit den Ruf des ultimativen Gewinners, auch er hatte starke Gegner, die nur Dank ihm in der Rückschau ohne Titel sind. Für LeBron spricht die Konstanz und 2 prestigeträchtigere Meisterschaften, die MJ so nicht haben konnte - 2016 nach über 50 Jahren einen Titel in seine Heimat zu bringen und das nach 1:3-Rückstand (was noch nie geschafft wurde) gegen das beste RS-Team aller Zeiten und die komplizierte 2020 Saison mit Corona, dem Tod von Kobe und dem Gleichziehen nach Titeln mit den Celtics.
All diese Gedanken sind nur eine Auswahl, ich weiß selbst, dass es noch viel mehr Aspekte und Perspektiven dazu geben kann, aber ich denke, dass es nun mehr Experten und Fans geben wird, die LeBron als GOAT sehen. Die Zeit wird auch für LeBron spielen, denn viele, die nun mit ihn aufwachsen, werden ihn so sehen, wie viele andere in "unserem" Alter MJ sehen, damit wird er mMn zwangsläufig der GOAT werden und diesen Titel dann aus ähnlichen Gründen an die nächste Generation abgeben.
Für viele Fans hier im Forum wird sich vermutlich nichts ändern. Kritiker werden auf 2011 oder darauf verweisen, dass LeBron einfach zu viele Finalsniederlagen hat (egal wie die letztlich zustande kamen) oder zu starke Teamkollegen, auch wenn man alleine auch im BB nix gewinnen kann. Für andere ist James der beste Spieler aller Zeiten. In jedem Fall hat James durch den Titel mit LA dafür gesorgt, dass die Diskussion am Leben bleibt.