Um von der "Wir streiten weiter über Schumacher indem wir Barrichello bashen oder hypen"-Diskussion wieder auf Hamilton zurückzukommen:
Ja, ich finde der Hype ist gerechtfertigt. Klar sind die reinen Ergebnisse auch so spektakulär, weil er im richtigen Auto sitzt. Aber unabhängig davon misst man Fahrer immer am vermuteten Potenzial des Autos und an ihrem Teamkollegen. Und Hamiltons Teamkollege ist nunmal der zweimalige Weltmeister Alonso. Selbst wenn Hamilton ein wenig schlechter wäre oder sich mal einen Dreher geleistet hätte, wäre er immer noch unglaublich vielversprechend. Aber bisher hat er absolut null Fehler gemacht. Auch wie er sich in Malaysia in der Pressekonferenz noch dafür entschuldigt hat, dass er Massa in einen Fehler gelockt hat, zeigt, dass er nicht nur sauschnell ist, sondern auch sehr überlegt fährt. Er ist wirklich mental und intelligenzmäßig enorm weit, sicher auch weiter als damals Button, der allerdings bei seinem Debut auch jünger war und dem der frühe Hype wohl eher geschadet hat. Keine Frage, wenn nicht irgendetwas passiert, werden wir von Hamilton noch sehr, sehr viel zu sehen bekommen.
Am ehesten könnte ich ihn mit Jackie Stewart vergleichen, der 1965 als Neuling zu BRM kam, als Teamkollege von Graham Hill, der damals sicher einer Topleute war und auch sehr schnell auf Podiumsplätze kam, wenn auch "nur" ab seinem zweiten Grand Prix. Auch Fittipaldi drängt sich als Vergleich auf. Prost, Senna und Schumacher saßen bei ihrem Debut nicht ganz in einem Siegerwagen, aber jeder, der Augen im Kopf hatte, sah sofort, dass da etwas ganz Besonderes kam.
Das war aber nicht bei allen so. Clark z.B. war in seinen ersten beiden Jahren gut, aber nicht herausragend und ist erst 1962 explodiert (bezeichnenderweise nachdem sich Stirling Moss unfallbedingt zurückziehen musste). Mansell war geradezu das Paradebeispiel eines Spätzünders. Er kam 1980 in die F1, aber bis Mitte 85 hätte wirklich kein Mensch in ihm einen kommenden Spitzenfahrer gesehen. Auch Lauda ist so ein Fall. Es gab damals sogar in Österreich viele Talente, die besser eingeschätzt wurden, Koingg, Quester, Marko. Sein Engagement bei Ferrari Ende 73 hat kaum jemand verstanden, und als er dann die Möglichkeit hatte, sich ein gutes Auto auf den Leib schneidern zu lassen, holte er auf einmal Pole um Pole und ließ auch Regazzoni alt aussehen, der ihn ein Jahr zuvor bei BRM meist dominiert hatte.
Da es bei Rennfahrern schwer ist, ihre individuelle Leistung zu beurteilen, neigt man ja dazu, sie immer gleich zu sehen, während man bei Fußball- oder Tennisspielern völlig selbstverständlich von Tagesform spricht oder ihnen zumindest Weiterentwicklung oder Rückfall attestiert.
Dazu kommen unzählige externe Faktoren: einzelne Autos können einem Fahrer entgegenkommen und den anderen benachteiligen. Regeländerungen können diese Wirkung haben. Die Arbeitsweise eines Teams, die gute oder schlechte Beziehung zu Teamchef, Chefentwickler, dem eigenen Renningenieur, das alles spielt eine Rolle. Das alles ist von außen schwer zu beurteilen und selbst Insider verschätzen sich ja immer wieder bei der Prognose, und die Dinge liegen ja ständig im Fluss. Allerdings: die Teams haben schon ganz andere Möglichkeiten, ihre eigenen Fahrer zu beurteilen: sie sehen die Telemetriedaten, sie sehen welches Input ein Fahrer gibt, wie gut er das Verhalten eines Autos beschreiben kann, wie instinktsicher er Abstimmungsentscheidungen trifft usw.
Die McLaren-Leute sind keine Idioten, wenn sie Hamilton über den grünen Klee loben. Und BTW, die Ferrari-Leute wussten auch ziemlich genau, warum sie jahrelang auf Schumacher gesetzt haben, die haben ihm nicht aus Jux und Dollerei jahrelang ein Rekordgehalt gezahlt.