Ich hasse Felix Sturm ganz sicher nicht, aber ich bin sauer auf ihn. Warum?
1. Felix Sturm ist keine Pflaume! Ja richtig gehört, genau das werf ich ihm vor. Wäre Sturm irgendein mäßig begabter Boxer, den man irgendwie durch Klüngeleien zu nem Papiertitel hätte führen müssen, könnte ich seine Gegnerwahl verstehen. Aber Sturm ist für mich tatsächlich ein klasse Boxer, der locker in die Top 5 des MW gehört. Klar liefert er sich auch mal Ringschlachten auf Leben und Tod mit mittelmäßigen Gegnern wie Gevor, aber vom Potential her kann ein FS, wenn er einen Sahnetag erwischt, meiner Meinung nach, fast jeden im Mittelgewicht schlagen. Natürlich bestünde bei Kämpfen gegen AA, Pavlik(?), Lemieux, Golovkin ... eine recht hohe Gefahr zu verlieren. Dass er aber aufgrund dieser Gefahr lieber die vierte Garde des Halbmittelgewichts verprügelt, obwohl er imo wirklich die Mittel hat, auch den "richtigen Gegnern" Paroli bieten zu können, versteh ich nicht. Wütend macht mich dann, wenn Sturm andere Boxer, die seine Sicherheitsschiene nicht fahren, in grenzenloser Arroganz als "uninteressant" bezeichnet, weil denen ihre Legacy wichtiger war, als die 0 im Rekord.
2. Sturms Verhalten ist aber aus kaufmännischer Sicht nachzuvollziehen. Vielleicht liebt er den Sport eben nicht - da könnte man ihm im Prinzip nichtmal nen Vorwurf machen - und kämpft deswegen die Leute, von denen er sich maximalen Ertrag bei minimalem Risiko verspricht. Seine arroganten Sprüche könnte man dementsprechend als Marketing betrachten, mit dem Sturm nur geschickt seine Kämpfe bewirbt. Eventuell darf man in seine Aussage "Ich boxe die Besten" einfach nicht mehr reininterpretieren, als in einen Werbespot, der mir erzählt, ich könne fliegen, wenn ich überteuerte, klebrige Brause trinke.
Auf wen bin ich also eigentlich viel wütender, als auf Sturms lausige Gegnerwahl und seine pretentiösen Sprüche? Auf das System, das ihm diese Tür öffnet! Sturm kann gegen Leute wie Hearns, Sato, Pittman ... boxen, weil der Fernsehzuschauer weder Vergleichsmöglichkeiten (Übertragungen von internationalen Topkämpfen), noch aussagekräftige Ranglisten hat (Durcheinander und Intransparenz der Verbandsranglisten; boxrec als einzige "solide" Quelle), um nachzuprüfen wie gut diese Boxer wirklich sind. Und die übertragenden Sender werden natürlich den Teufel tun, klarzustellen, das die Leute an den Flimmerkisten eben gerade keinen Kampf auf Weltklasseniveau erleben. Man stelle sich vor, man feiert Bayern München als beste Mannschaft der Welt, weil sie gerade den Vatikan geschlagen haben - enthält den Menschen aber vor, dass es da draußen noch Mannschaften wie Barca oder ManU gibt.
Warum kämpft Sturm also B-Level Fighter? Na weil er's kann...
Dass ich erkenne, wie dieses System funktioniert, heisst aber nicht, dass ich mich nicht mehr darüber aufregen darf
Super Beitrag.
Ich denke die von dir genannten Punkte sind wichtiger als die Diskussion, wie schlecht die von Sturm gewählten Gegner sind.
Leider zieht sich so etwas durch den ganzen Boxsport, und Verbände, Promoter und Boxer sind wirklich auf dem besten Weg einen fantastischen Sport in die Versenkung zu treiben.
Die Frage ist wie pojo richtig geschrieben hat nicht, warum Sturm gegen B-Level Fighter boxt, sondern warum er das überhaupt kann.
Und das wirft wiederum ganz andere Fragen auf, wie zum Beispiel:
Warum gibt es 4 große und gefühlte unendlich unbedeutende Weltverbände, die alle für sich in Anspruch nehmen, einen Weltmeister zu haben?
Wie ist es möglich, dass jeder Verband eine absolut gegensätzliche Rangliste zu den anderen Verbänden hat?
Wie kann es sein, dass Boxer wie Kali Meehan auf Platz 2 einer Rangliste stehen und gegen Chagaev um das Recht Haye herauszufordern kämpft?
Warum gibt es so einen Schwachsinn wie Interims-Champions und Superchamps?
Wieso sind Boxer wie Pacquiao, Mayweather, Marquez, Donaire oder Martinez in der breiten Masse deutscher Boxinteressierten weniger bekannt und weniger geschätzt als ein Huck, Stieglitz, Brähmer oder Sylvester?
Warum nimmt die Kampfabsage von Krasniqi in der aktuellen Ausgabe des Box-Sport genau so viel Platz in Anspruch wie der Kampf zwischen Donaire und Montiel?
Im Januar wurde eine P4P Top 50 von The Ring und Box-Sport vorgestellt. Wie ist es möglich, dass im Ranking von The Ring nur 9 Europäer in der Top 50 sind (darunter nur 1 Deutscher), während die Box-Sport 23 Europäer (und davon 7 Deutsche) in den Top 50 P4P-Boxern der Welt sieht?
Wenn selbst Fachzeitschriften nichtmal neutral über ihren Tellerrand hinausblicken können und Weltklasseboxer
Mir fällt kein anderer der breiten Masse bekannter Sport ein, wo die Weltspitze so wenig bekannt ist und so sehr alle einigermaßen passablen lokalen Boxer als Weltspitze verkauft werden.
Beim Fußball weiß jeder, dass Argentinien und Brasilien starke Mannschaften haben. Warum kennt in Deutschland kein Mensch einen Martinez, aber fast jeder Felix Sturm?
Dabei würde ich auch nicht den Boxinteressierten die Schuld geben.
Ich denke, es gibt viele Leute, die sich zwar für Boxen interessieren, aber aus diversen Gründen nicht die Topkämpfe mitten in der Nacht über Internetstreams etc. sehen.
Wie sollen solche Interessenten denn bei dem konfusen Chaos aus zig unterschiedlichen absolut aussagelosen Ranglisten denn den Überblick behalten?
Die vielen Verbände und Ranglisten stiften so viel Unverständnis und Chaos, und die einseitige Berichterstattung durch die Medien tun ihr übriges, um jeden noch so witzlosen Kampf und jeden noch so schwachen Weltmeister gut verkaufen zu können.
Was macht nun Felix Sturm als Neuunternehmer und Boxer?
Er springt natürlich auf den Zug auf, scheffelt ungefährdet Geld, während ein Großteil der fans ihn feiert und für den besten Mittelgewichtler der Welt hält.
Warum sollte er alles aufs Spiel setzen, wenn er das nicht muss, da ihm im Boxsport alle Türen weit geöffnet sind, seinen Titel vor großem Publikum gegen ungefährliche Gegner zu verteidigen, wenn ein Kampf gegen gleichwertige oder sogar noch höher gehandelte Gegner auch nicht mehr Publicity, aber dafür immense Risiken birgt?
Natürlich geht es hier auch um Sport - und dabei um das Ziel, wirklich und unbestreitbar der wahre Champion zu sein, um Legacy, um große, spektakuläre und spannende, ausgeglichene Kämpfe im Sinne eines großartigen Sports - aber leider ist wohl zu viel Geld im Spiel, so dass der Sport selbst immer mehr in den Hintergrund rückt...