Obwohl Joshua drei der vier Gürtel hielt und einen bis vor kurzem noch ungeschlagenen Kampfrekord hatte, driftete sein Momentum doch schon seit einiger Zeit ab.
Als der potenziell zukünftige Nationalheld, dessen Kampftermine einem Feiertag gleichkommen sollten, zu dem er gemacht werden sollte, wurde er doch schon lange nicht mehr angesehen.
Nachdem die Verhandlungen mit Wilder im September letzten Jahres platzten, waren Hearn und Joshua nur allzu blauäugig und wurden schlicht und ergreifend davon überrumpelt, dass auf einmal wieder Tyson Fury auf der Bildfläche auftauchte und sofort gegen Wilder boxte.
Nachdem die beiden in einem epischen Kampf ein Draw ausfechteten, war Joshua auf einmal nicht mehr der Hauptakteur im Heavyweight. Danach wollte er im April boxen. Wieder kein Ergebnis bezüglich des Wilder-Kampfes und selbst ein rein britisches Rematch gegen Whyte konnte nicht realisiert werden, weshalb der seit vielen Monaten bestehende Kampftermin in mehr als peinlicher Manier abgesagt werden musste.
Ein "A-List-Fight" in den USA hätte als nächster Karriereschritt für Joshua mehr als Sinn ergeben. Der nächste Gegner war allerdings lediglich der bis dato nahezu unbekannte Miller. Man verzichtete also nach acht Monaten Pause auf die Zuschauerkulisse von 80 000 Leuten im Wembley Stadium während der Prime Time, um stattdessen an einem Wochenende mit einem rein britischen Championsleague-Finale um vier Uhr morgens auf den Bildschirmen zu sehen zu sein.
Und noch bevor der Kampf mit dem kurzfristig verpflichtete Ersatzgegner für Miller steigt, knockt Wilder Breazeale in einem "KO of the Year"-Kandidaten brutal aus und lässt verkünden, dass seine nächsten beiden Kämpfe gegen Ortiz und Fury fix sind.
Was da zuletzt veranstaltet wurde erweckt eher den Eindruck einer selbstgefälligen Jagd nach dem leichten Geld, als dem wirklichen "Hunger" nach sportlichem Ruhm. Man kann sich nicht mit Wilder einigen, man kann sich nicht mit Fury einigen, man kann sich nicht mit Ortiz einigen, man kann sich nicht einmal mit Whyte einigen. Und genau diesen "satten" Eindruck vermittelte Joshua dann auch im Ring.
Vielleicht klingt das für einige etwas arg drastisch, aber ich denke Joshua wird sich von dieser Niederlage nicht mehr erholen. Vielleicht erleidet er sogar einen etwas abgeschwächteren "David Price"-Effekt.
Er lebt wie kaum ein anderer von seiner Bully-Mentalität und seiner "Aura" im Ring. Es ist nicht nur die Niederlage, sondern die Art der Niederlage. Das war kein Lucky Punch, er wurde ziemlich deutlich auseinandergepflückt. Er hatte kein Mittel gegen Ruiz' Konter und war es sichtlich nicht gewohnt, dass es ein Gegner mal zum Körper probiert.
So eine KO-Niederlage hinterlässt nicht nur mental Spuren, sondern eben auch einen bleibenden Eindruck bei den Gegnern. Joshua wird massiv Respekt von seinen Kontrahenten verlieren. Jeder hat gesehen, wie verwundbar er sein kann. Jeder hat gesehen, wie er gegen Whyte und Klitschko schwer angeschlagen durch den Ring taumelte, jeder hat gesehen, wie er gegen Ruiz Jr (!!!) quittet! Wer einmal quittet, wird es wieder tun. Joshuas Kopf hat ihn aus dem Kampf genommen. Er hat nie den Eindruck erweckt an diesem Abend im Ring stehen zu wollen.
Dazu kommt eben noch, dass Joshua das so ziemlich mieseste "Pokerface" hat, das man sich vorstellen kann. Wenn ihm etwas nicht schmeckt, dann sieht man ihm das gewöhnlich bei Nacht und Nebel auf drei Kilometern Entfernung an. Er atmet schwer, fängt an mit dem Gegner zu reden und nachzuschlagen, wenn der Referee trennt, spuckt den Mundschutz aus...
Ich kann mir vorstellen, dass Joshua das Rematch wieder verliert, aber auch dass er ein "erfolgreiches" Rematch in Seth Mitchell vs Jonathan Banks Manier (sprich ein stinklangweiliger Kampf) hinlegt. Ruiz hat eigentlich fast nur geschlagen, wenn Joshua geschlagen hat. Und natürlich muss man weiterhin seine Form kritisieren, der Kampf war schließlich alles andere als ein Konditionsduell. Joshua war in der vierten und fünften Runde nahezu kampfunfähig. Dennoch kam von Ruiz Jr so gut wie nichts. Erst gegen Ende der sechsten Runde drehte er wieder etwas auf. Es sah lange so aus, als würden wir hier ein Joshua vs Klitschko II erleben, in dem Ruiz Jr Joshua wieder vom Haken lässt. Dieser schien sich aber von dem Volltreffer aufs Ohr in der dritten Runde einfach nicht mehr zu erholen.
Ich hoffe nur Ruiz Jr lässt sich das Rematch gut bezahlen, ich gönns ihm nach so einer Leistung.