Die Anweisungen von Steward kann man natürlich nicht abstreiten, aber insgesamt ist mir das viel zu wenig um daraus schliessen zu können, dass dies den Hauptanteil an der Niederlage gehabt haben soll. Gerade in einem Kampf in dem ich mich nicht von Beginn an sicher fühle, versuche ich doch selbst auf einen Plan zu kommen der einigermaßen fruchtet.
So ist und war Wladimir nie. Er ist seit Steward ein akribischer Vorbereiter, der sicherlich auch in der Lage ist, kleinere Dinge zu ändern - große Umstellungen und bewusstes Erkennen, was da gerade falsch läuft, liegt ihm weniger. Instinktives Handeln ohnehin nicht. Steward hat sich damals nach dem Lewis-Vitali-Kampf dezidiert geäußert, wie Lewis das Ruder rumschmeissen konnte. Steward habe Lewis in der Rundenpause die Anweisung gegeben, den Kampf körperlicher zu machen, zu drücken, zu schieben und mit mehr Power zu agieren. Lewis konnte das umsetzen, Wladimir kann das nicht, hat aber auf Steward vertraut.
Die Anweisungen des Trainers sollten da - wenn überhaupt nur eine untergeordnete Rolle spielen und nur ergänzend zu dem Plan den man im Laufe des Kampfes mit sich selbst ausmacht, im Hinterkopf bleiben. Im Ring ist man komplett auf sich Allein gestellt und selbst der beste Trainer der Welt kann in dem Moment nichts bewirken. Er kann einem nur Ratschläge geben die man zur Kenntnis nehmen kann, aber auf keinen Fall als letzten Ausweg betrachten sollte.
Man kann übrigens nicht pauschal sagen, welchen Einfluss ein Trainer hat, das ist eine individuelle Geschichte zwischen dem jeweilgen Trainer und dem jeweiligen Boxer. Wladimir hat nach der desaströsen Niederlage gegen Corrie Sanders sehr wohl erkannt, dass es so nicht weitergehen kann. Er ist durchaus ein intelligentes Kerlchen, wenn auch kein Instinktboxer. Er hat daher natürlich mitbekommen, dass die Vorbereitung durch Sdunek falsch und das Coaching im Kampf katastrophal war.
Die Wahl von Steward kam daher auch nicht von ungefähr - Steward hat sich schon vorher positiv über Wladimir geäußert und ihn als "next big Thing" im Schwergewicht bezeichnet. Wladimir hat sich am Anfang dieser Partnerschaft insgesamt sehr auf Steward verlassen und erst mit der Zeit von Steward ungemein viel über Taktik und Vorbereitung gelernt. Wladimir berichtet noch heute, ebenso wie Steward vor seinem Tod, dass sie zu zweit tagelanges Gegnerstudium und stundenlange Analyse-Gespräche vor jedem Kampf durchgeführt haben. Insoweit ist er heute nicht auf Banks angewiesen, auf Steward war er es damals aber definitiv. Die Taktik im Brewster-Kampf trägt so deutlich Stewards Handschrift, klarer geht es nicht mehr. Ich hatte nach dem Kampf erwartet, dass es nach diesem Desaster zum Split kommt. Aber abgesehen von dieser lächerlichen Vergiftungsnummer, die dem Selbstschutz der Beteiligten gedient haben dürfte, ist man in der Innensicht, die bei vielen Teams nichts mit der Außendarstellung zu tun hat, sicherlich ganz akribisch an die Aufarbeitung der tatsächlichen Ursachen gegangen. Herausgekommen ist ein Wladimir, der Boxfans zu Verzweifelung bis hin zum Hass bringt, der aber nichts mehr mit dem attraktiven Boxen früherer Tage zu tun hat.
Davon abgesehen lag Steward mit seinem Plan auch gar nicht daneben. Auch heute boxt Wladimir nach Möglichkeit relativ offensiv. Sicher hätte er von Beginn an versuchen können zögerlicher und risikoärmer zu boxen und zunächst nur darauf setzen können dass Brewster sich verausgabt bis er dann selbst anfängt zu "boxen", aber da zitiere ich mich gerne nochmal selbst:
Brewster ist einer der seltenen Gegner, gegen die das vollständige entziehen und "nicht mitboxen" nur bedingt funktionierte.
Dafür musste man schon konsequent im Rückwärtsgang agieren und die Ruhe bewahren können. Brewster hatte sicherlich Schwächen und ist beileibe keine Allzeitgröße. Er war aber mit seinen Stärken genau dort besonders gefährlich, wo nach wie vor eine große Lücke in Wladimirs Art zu boxen besteht..
Sehe ich weitestgehend anders. Da kommen wir nicht zusammen. Steward lag mit seiner Strategie komplett daneben. So kann Wladimir nur boxen, wenn der Gegner wenig verträgt. Dass Brewster ein zäher Hund ist, war vorher schon klar. Wladimir boxt seitdem fast immer mit angezogener Handbremse - manchmal mehr als es Steward lieb war, aber das ist die Lektion geblieben. Steward konnte Wladimirs Schwächen in manchen Bereichen nicht wegtrainieren, was auch nicht ungewöhnlich ist. Er hat ihn aber entscheidend bei Beinarbeit, "Defensive" (Dirty Tactics) und Taktik verbessert. Druck versuchen viele Boxer auszuüben - Wladimir kann sich in der Tat immer noch nicht im Rückwärtsgang (oder mit Sidesteps) boxend aus dem Gegner lösen. Kontern? weitestgehend Fehlanzeige. Ein beliebtes, viel erprobtes Mittel von Wladimir ist es daher, eine Kampfstellung nach einem oder zwei Jabs abzubrechen, die Distanz durch Weglaufen zu vergrößern und dem Gegner zum Neuaufbau zu zwingen, klappt das nicht, wird abgeklammert und draufgelegt. Ein sehr effizientes Mittel der Kampfvermeidung, dass auch gegen den damaligen Brewster funktionieren würde und viel weniger Körner kostet. Die bulligen Reinstürmer-Typen hat Wladimir mittlerweile gut im Griff. Sieht man sich die Schlag- und Trefferstatistiken an, dann zeigt sich bei Brewster auch noch einmal deutlich, wie wenig von ihm gekommen ist. Das wäre heute kein Problem, sofern der Ringrichter mitspielt.
Wladimir hat heute Probleme mit zwei Boxertypen:
1. Boxer, die selber lang bleiben und mit einem eigenen Jab agieren und Overhands schlagen (Thompson I, zeitw. Haye)
2. Boxer, die Wladimir kommen lassen und über das Timing und die Präzision verfügen, in Wladimirs Aktion reinzuschlagen oder Wladimirs Angriffe kontern können (Sanders, Prime-Vitali). Die meisten heutigen HW-Boxer haben nicht die Fähigkeit, Wladimirs Schläge auszupendeln oder einfach aus der Linie zu gehen und ihn mit Präzision abzukontern. Geduckt in den Mann reinzustürmen mag als eine Art von Druck durchgehen, ist aber definitiv neben der Leapai-Taktik des Birne hinhaltens die taktisch blödeste Variante.
In beiden Fällen ist es von Vorteil, wenn der Gegner über ähnliche körperliche Parameter wie Wladimir verfügt. Größe ist natürlich auch ein einfaches Mittel, um Wladimirs Dirty Tactics einzudämmen, es sei denn man ist so dämlich wie Pianeta und geht mit dem Körper und Kopf in Richtung Wladimirs Schnürsenkel.