Ich finde, man muss bei der Beurteilung von Michael Jackson ziemlich viele Dinge auseinander halten. Das ganze ist ein Puzzle:
Michael Jackson war zweifellos einer der größten ENTERTAINER der letzten fünfzig Jahre, wenn nicht sogar der größte. Seine Shows waren fantastisch, seine Videos sprengten teilweise alles bisher da gewesene („Thriller“, „Scream“). Und wer den von einem meiner Vorredner angesprochenen 3D-Kurzfilm „Captain Eo“ noch nicht gesehen hat, der hat echt was verpasst. Wer sich eine Show oder Video von Jacko anguckte, der wusste, es wird auf jeden Fall spektakulär und höchst unterhaltsam!
Als MUSIKER halte ich Michael Jackson für weniger einflussreich. Okay, er hat mit „Off the wall“ und „Thriller“ Funk & Soul weltweit in vorher nie da gewesenen Dimensionen an den Mann und die Frau gebracht. Aber musikalisches Neuland hat er kaum betreten. Fragt mal Musiker, welche Afroamerikaner besonders einflussreich waren – da kommen andere Namen! Mal abgesehen davon, dass die ganze moderne Popmusik im Grunde eine Erfindung der Ex-Sklaven ist, gebührt die Ehre, sie auch als „Schwarze“ an „Weiße“ verkaufen zu können, wohl eher Leuten wie Stevie Wonder oder James Brown. Und der einflussreichste afroamerikanische Musiker der Achtziger Jahre war ganz bestimmt nicht Michael Jackson, sondern Prince! „Thriller“ ist ein Monsteralbum, und „Billie Jean“ und „Beat it“ sind genial. Aber was hat denn Jacko danach gemacht? „Bad“... „Dangerous“... größtenteils überproduzierter Mist, unter dem man mit viel Wohlwollen ein oder zwei gute Songs finden konnte, der Rest war doch Schrott! Prince dagegen hat mit „1999“, „Around the world...“ und „Sign o’ the times“ drei Platten aufgenommen, die zu den besten gehören, was schwarze Musik je hervorgebracht hat. Während Jacko versucht hat, mit Videos und Performances musikalisches Flachwasser zu übertünchen, hat Prince fast im Jahrestakt einen Meilenstein nach dem anderen raus gehauen!
Die dritte Komponente ist der ÖFFENTLICHE MENSCH Michael Jackson. Es steht meiner Meinung nach außer Frage, dass Jackos „Schrullen“ (seine Operationen, der Affe „Bubbles“, das Sauerstoffzelt, „Neverland“ undsoweiterundsofort) auch einen erheblichen Anteil daran hatten, dass er als Superstar wahrgenommen wurde! Als es bei ihm anfing musikalisch im Getriebe zu knirschen, haben sich die Medien auf diese Nebenkriegsschauplätze gestürzt, und die Öffentlichkeit hat den Tanz gerne mitgemacht! Warum? Weil sich da irgendwann ein Bruch auftat: Auf der einen Seite war da der Superstar, auf der anderen offenbar ein Mensch, der zunehmend die Bodenhaftung verliert. Das machte Jacko zwar menschlich, entrückte ihn aber zugleich auch von der Welt. Als die Entwicklung anfing, eine tragische Komponente zu bekommen, war (leider) der Schritt zur öffentlichen Witzfigur nicht mehr weit. Im Grunde ist das ganze Leben von Michael Jackson eine klassische Heldensage. Kennt jemand den Autoren Michael Moorcock und die Figur Elric von Melniboné? Es ist im Grunde dasselbe. Ein eigentlich schwacher und labiler Held bekommt die Möglichkeit, mit einem Zauberschwert die Welt zu retten. Aber am Ende verfällt er dem Wahnsinn und wird von ihrem Retter zu ihrem Zerstörer. Aufstieg, übermenschlicher Erfolg, der langsame Fall und am Ende der Tod. Michael Jacksons Leben ist eine Blaupause der tragischen Heldenreise. Genau deshalb bewegt sein Tod Milliarden Menschen auf der ganzen Welt, und nicht wegen „Thriller“. Und wenn so ein „Held“ zu Grabe getragen wird, dann geschieht das eben mit entsprechendem Getöse!
Am Schluss des Puzzles steht der PRIVATE MENSCH Michael Jackson. Nun, ich vermute mal, niemand hier im Forum hat ihn persönlich gekannt (wenn doch, bitte melden!
), von daher ist dieser Punkt natürlich schwierig. Mein Gefühl gegenüber dem Menschen Jacko ist in meiner Wahrnehmung eine Mischung aus Mitleid und Abscheu. Ich habe Anfang der Neunziger Jahren zwei Mal längere Zeit in L.A. gewohnt, und schon damals gab es Gerüchte, dass er Kinder sexuell missbraucht. Nun gut, er ist nicht verurteilt worden, und geredet wird viel... Also, lassen wir das. Aber wie krank bitte muss ein Mensch sein, der sich seine eigenen Kinder für Geld „heranzüchten“ lässt? Hat sich Jacko jemals Gedanken darüber gemacht, wie sich so ein Kind später fühlen muss? Inzwischen sieht es ja so aus, als wäre er nicht mal der biologische Vater! Was hat der Typ sich eigentlich dabei gedacht? Ich gehe in einen Supermarkt, kaufe mir eine Krankenschwester, kaufe mir Sperma und rühre das ganze zu einem Kuchen namens Kind um, den ich später ganz alleine verspeisen kann? Und wenn ich die restlichen Zutaten (z.B. die Mutter) nicht mehr brauche, schiebe ich diesem geldgeilen Miststück einfach ein paar Millionen zu und werfe sie wieder raus??? Dazu fällt mir nur ein Wort ein: ekelhaft!
Ich denke, es bleibt jedem selbst überlassen, wie er dieses Puzzle Michael Jackson in seiner Gesamtheit bewertet. Aber was man bei der Beurteilung nie vergessen sollte: Bei allen Leistungen von Michael Jackson, aber auch bei allen Fehlern, er war trotzdem nur eins: ein Mensch mit sämtlichen Abgründen und Problemen, die im Grunde jeder von uns hat!