Benjamin
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Vielleicht findet sich ja jemand, der einen Saisonfazitthread eröffnet. Im vergangenen Jahr hat mir das ein wenig gefehlt.
Ich will die Anregung von @Hakuba mal aufgreifen und mich an ein kleines Saisonfazit wagen. Anfangen werde ich mit dem Team, das mir am meisten am Herzen liegt, aber auch zu den anderen werde ich ein bisschen was schreiben.
Deutschland
Aus deutscher Sicht war das natürlich eine eher mäßige Saison. Auffällig war vor allem, dass man eigentlich die gesamte Saison hindurch nicht mit der absoluten Weltspitze mithalten halten konnte. Ausnahmen gab es eigentlich nur auf zwei Schanzen: Lake Placid, als Andreas Wellinger zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder einen Weltcupsieg holen konnte - und die Normalschanze bei der WM, wo es gleich zwei Einzelmedaillen für den DSV gab, und natürlich gemeinsam mit den Damen den Mixed-Titel. Rasnov würde ich hier ausklammern, weil dort aufgrund der Abwesenheit der gesamten Weltspitze kein echter Vergleich möglich war. Aber auf allen anderen Schanzen war deutlich sichtbar, dass das Spitzenquartett bestehend aus Granerud, Kraft, Kubacki und Lanisek auf einem ganz anderen Niveau war. Und auch der fünfte Platz im Nationencup spricht hier eine deutliche Sprache.
Nun muss man natürlich immer aufpassen, dass man nicht undifferenziert alles schlechtredet, nur weil das Gesamtbild negativ war. Denn natürlich gab es auch im deutschen Team durchaus ein paar Lichtblicke. Am ehesten wäre da natürlich Andreas Wellinger zu nennen, der es wirklich geschafft hat, sich nach seinem langen sportlichen Tief, das er nach seinem Kreuzbandriss durchlebt hat, wieder aufzurappeln und ein paar wirklich gute Ergebnisse einzufahren. Positiv ist auch, dass endlich mal sogar mehrere jüngere Athleten etwas deutlich an die Tür zum Weltcup geklopft haben - vor allem natürlich Philipp Raimund, aber gegen Ende der Saison auch Justin Lisso und Felix Hoffmann. Hoffnung macht das vor allem für die Zukunft, denn unsere Topspringer werden nicht jünger.
Nur ist es leider so, dass eine Verbesserung eines Sportlers von den Top 50 in die Top 25 nicht so deutlich wahrgenommen wird, obwohl es ja eine starke Leistung ist. Um so besser sichtbar ist es hingegen, wenn ein Sportler sich aus den Top 3 in die Top 15 verabschiedet - und das war letztlich in dieser Saison das Hauptproblem: Die beiden Springer, die in den letzten Jahren die Top-Ergebnisse erzielt haben - Markus Eisenbichler und vor allem Karl Geiger - sind in dieser Saison deutlich zurückgefallen. So haben die Spitzenplatzierungen größtenteils gefehlt, und das konnte keiner von den anderen ausgleichen - nicht Stefan Leyhe, nicht Pius Paschke und auch nicht Constantin Schmid, von dem man es sich eigentlich schon seit Jahren erhofft, dass ihm mal der nächste Schritt noch weiter in die Weltspitze gelingt. Aber wenn man seine Sprünge anschaut, die von der Normalschanze wunderbar funktionieren, von der Großschanze oder gar von der Flugschanze aber nicht so gut, dann macht er eigentlich immer noch das falsch, was man ihm schon vor zwei oder drei Jahren angekreidet hat.
Heißt es nicht eigentlich immer, der DSV hätte so viel Einfluss? Dann sollte er den vielleicht mal geltend machen, um ein paar Normalschanzen mehr in den Weltcup zu bringen. Den deutschen Ergebnissen würde das bestimmt nicht schaden.
Hier gibt es noch einen Artikel zur Saison der Deutschen:
Skispringen: Aus Weltspitze wird Mittelmaß – Es muss etwas passieren!
Die längste Saison in der Geschichte des Skispringens wurde zu einer historisch schlechten für die deutsche Mannschaft. Sie wird und muss eine Zäsur darstellen.
www.chiemgau24.de
Norwegen
Da kann man letztlich nur neidvoll nach Norwegen blicken - denn Halvor Egner Granerud war zweifellos der Springer des Jahres. Die wichtigsten und sportlich wertvollsten Titel hat er sich gesichert: Den Gesamtweltcup und die Vierschanzentournee - und als Bonus hat er auch noch als erster Norweger die Raw Air gewonnen. Eine kleine Niederlage war höchstens die WM, wo er erneut wie vor zwei Jahren ohne Einzelmedaille geblieben ist. Aber das ein oder andere Ziel muss ja auch für die Zukunft noch bleiben.
Alles sah allerdings auch bei den Norwegern nicht rosig aus. Der nordische Kombinierer Graabak, der ja - um es freundlich auszudrücken - nicht auf den Mund gefallen ist, meinte vor einigen Wochen, dass Granerud der einzige Norweger sei, der besser springt als Jarl Magnus Riiber. Und möglicherweise hat er damit zumindest im Moment sogar recht, denn Granerud war am Saisonende der einzige Norweger unter den Top 15 im Gesamtweltcup. Insbesondere Marius Lindvik - seines Zeichens immerhin der aktuelle Olympiasieger und Skiflugweltmeister - hatte eine unerwartet schwache Saison, auch Johann Andre Forfang und Robert Johansson können eigentlich mehr. Daniel Andre Tande will ich hier ausklammern, denn der Tatsache, dass er überhaupt wieder springt, und dann noch auf diesem Niveau, kann man eigentlich gar nicht genügend Anerkennung zollen.
Neue Norweger wie Sundal oder Heggli haben punktuell gute Leistungen gezeigt, waren aber noch etwas zu unkonstant. Ein bisschen was bleibt also auch für Alexander Stöckl noch zu tun.
Österreich
Ganz anders dagegen war die Situation in Österreich. Dieses Team überzeugte gerade durch seine mannschaftliche Geschlossenheit und gleichzeitig einer guten Mischung aus jüngere und älteren Springern. Mit Kraft, Tschofenig, Fettner, Hayböck und Hörl haben es gleich fünf Österreicher unter die Top 15 gebracht, was ihnen auch gleichzeitig den deutlichen Sieg im Nationencup eingebracht hat.
Ansonsten haben sie sich allerdings kaum belohnt - bei den wichtigsten Wettkämpfen war irgendwie stets ein anderer besser: Kein Tourneesieg, kein Gesamtweltcupsieg, keine Einzelmedaille bei der WM, im Team auch nur der dritte Platz. Die kleine Kristallkugel im Skifliegen steht noch auf der Habenseite, aber die hat vielleicht doch nicht ganz den Stellenwert der anderen Titel. Dennoch: Für die Zukunft ist Österreich hervorragend aufgestellt.
Polen
Gerade daran zweifeln allerdings die polnischen Fans weiterhin bei ihrem Team: Sicher, auch in der aktuellen Saison waren die Polen wie immer sehr stark; in erster Linie war es natürlich Dawid Kubacki, der zu Beginn der Saison der stärkste Springer überhaupt war und Sieg um Sieg eingeheimst hat. Auch Piotr Zyla ist stark gesprungen und hat mit der Titelverteidigung bei der WM den wohl wichtigsten polnischen Einzelerfolg eingefahren. Aber es waren eben wie so oft die alten Springer, die mit Spitzenleistungen überzeugt haben, während sich die jüngeren Springer nach wie vor etwas schwer tun.
Andererseits: Inzwischen gibt es doch auch recht viele jüngere Polen, die zumindest zeitweise ihr Talent unter Beweis gestellt haben: Wasek, Habdas, Pilch, Juroszek, Niznik, Joniak, Tomasiak und wie sie alle heißen - da sollten doch auch die Anhänger der Polen positiv in die Zukunft blicken können. Hinzu kommt ein Zniszczol, der eine recht ordentliche zweite Saisonhälfte hingelegt hat - und was er kann, können möglicherweise ein Muranka, ein Wolny oder ein Stekala auch.
Slowenien
Eine starke Saison haben auch die Slowenen hingelegt: Mit Anze Lanisek stammt einer der vier Spitzenspringer der Saison, die jederzeit für einen Sieg gut waren, aus ihren Reihen. Und mit Timi Zajc stellen sie den amtierenden Weltmeister auf der Großschanze. Sein 161,5-Meter-Sprung in Willingen wird ebenfalls unvergessen bleiben - ich bin immer noch froh, dass ihm da nichts passiert ist. Die Goldmedaille im WM-Teamspringen haben sich ebenfalls die Slowenen geholt, so dass man wirklich von einer gelungenen Saison sprechen kann. Auch an Nachwuchs fehlt es den Slowenen wie üblich nicht, stellvertretend für die jungen Springer will ich vor allem Rok Masle nennen; die Slowenen können frohen Mutes in eine gute Zukunft blicken; gerade ihre Topleute sind ja auch noch nicht so alt.
Japan
Ganz anders sieht es da bei den Japanern aus, die wirklich eine desaströse Saison hinter sich haben. Der einzige, der hin und wieder mit der Weltspitze mithalten konnte, war natürlich Ryoyu Kobayashi; ihm gelang sogar der ein oder andere Sieg - selbst er konnte allerdings nicht an seine besten Zeiten anknüpfen, auch wenn das hier natürlich Jammern auf hohem Niveau ist.
Viel dramatischer ist jedoch der Absturz der anderen: Eine halbwegs nennenswerte Zahl an Top-30-Ergebnissen hat sonst nur noch Naoki Nakamura aufzuweisen; bei allen anderen war es direkt schon eine Ausnahme, wenn sie sich mal fürs Finale qualifiziert haben. da müssen die Japaner wirklich ehrliche Ursachenforschung betreiben; denn es wäre schon schade, wenn der Weltcup ohne sie mehr oder weniger zum Europacup mutieren würde.
Weitere Teams
Aus Rücksicht auf die erschöpften Leser will ich die übrigen Teams nicht mehr zu detailliert behandeln; vielleicht fällt da anderen auch noch ein bisschen mehr ein. Am positivsten ist mir von den übrigen Springern zu Saisonbeginn eigentlich Giovanni Bresadola aufgefallen, der da wirklich einige gute Ergebnisse erzielt hat. Leider konnte er das dann ab der Tournee nur noch selten zeigen. Ich wünsche ihm wirklich, dass er gerade auf den anfänglichen Ergebnissen aufbauen kann und dass wir ihn auch nächste Saison des Öfteren im Finale sehen.
Anders war es bei den Schweizern: Nach einer durchaus recht ordentlichen letzten Saison begann diese ja gar nicht gut. Doch in der zweiten Saisonhälfte gelang es dann vor allem Gregor Deschwanden, regelmäßig zu punkten - möglicherweise hat man da auch einen zu Beginn vorhandenen Materialnachteil etwas wettgemacht. Positiv muss man auch den jungen Remo Imhof hervorheben, der zunächst mit guten Leistungen bei der Junioren-WM auffiel und diese dann auch gleich im Weltcup umsetzen konnte. Dafür ging es gegen Saisonende mit Dominik Peter etwas bergab - ich hoffe, dass auch er sich fängt, denn auch ihn werden die Schweizer in Zukunft noch brauchen.
Apropos Junioren-WM: Hier konnten die ewig gebeutelten Finnen endlich mal wieder jubeln, da mit Vilho Palosaari einer der ihren dort Gold geholt hat. Ob er langfristig auch für denn Weltcup ein Hoffnungsträger sein kann, wird man erst sehen müssen; zu viele junge Talente gerade aus den kleineren Nationen hatten dann oft nicht die nötige Unterstützung, um wirklich auch im Weltcup zu einem Topspringer heranzureifen. Zu wünschen wäre es ihnen natürlich.
Auch bei Decker Dean meine ich, eine gewisse Steigerung festgestellt zu haben; und mit Eric Belshaw hat zumindest ein weiterer US-Amerikaner mal Punkte holen können; das soll nicht unerwähnt bleiben.
Einen Springer muss man aber noch erwähnen, der sich wohl in unser aller Herzen gesprungen oder vielmehr geflogen hat: Den Ukrainer Yevhen Marusiak, der vor allem in Bad Mitterndorf mit ukrainischem Rekord und Weltcuppunkten beeindruckte und sich dann in Planica sowohl bei der WM als auch beim Skifliegen nochmals steigern konnte. Einen COC gewonnen hat er ebenfalls. Gerade vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs kann man diese Leistung eigentlich gar nicht hoch genug einzuschätzen. Man kann für ihn nur hoffen, dass er irgendwann auch wieder unter günstigeren Voraussetzungen trainieren kann - und dann vielleicht noch bessere Ergebnisse erzielt.
Daher möchte ich dieses kleine Saisonfazit auch mit einem seiner Sprünge beschließen. Nicht ganz der weiteste, er hat sich ja danach sogar noch gesteigert - aber der, der mir am meisten in Erinnerung geblieben ist: