Mal ein sehr schönes Interview mit Peter Neururer, das vor allem ihn selbst in einem ehrlicheren Licht darstellt. Er ist eben nicht nur der Sprücheklopfer, sondern auch jemand mit viel Herz und vielen guten Gedanken.
Ist aus dem Tagesspiegel vom 04.03.
Sein Vertrag wurde zudem heute auch bis 2007 verlängert.
„Die beiden mochten sich“
Der Bochumer Trainer Peter Neururer erzählt, wie Sunday Oliseh seinem Mitspieler Vahid Hashemian das Nasenbein brach
Herr Neururer, eigentlich wollten wir uns mit Ihnen über die erfolgreichste Spaßgesellschaft der Bundesliga unterhalten. Aber ganz so spaßig geht es bei Ihrem VfL Bochum ja nicht mehr zu.
P.N. : Bis Samstag 17.15 Uhr nach dem 0:0 gegen Hansa Rostock war die Stimmung überragend. Nein, bis 17.30 Uhr …
… bis zu dem Kopfstoß, mit dem der Nigerianer Sunday Oliseh seinem iranischen Kollegen Vahid Hashemian das Nasenbein brach.
P.N. : So etwas steckt man nicht von heute auf morgen weg. Wir leben von der Gemeinschaft, von der Geschlossenheit, ja, von der Spaßgesellschaft.
Sunday Oliseh wurde, so hat es Ihr Vorstand formuliert, „von seinen arbeitsrechtlichen Verpflichtungen freigestellt“. Ein nigerianischer Nationalspieler, der größte Star, den der VfL Bochum je hatte. Er gilt als die entscheidende Figur für den Aufschwung, der Ihren Klub bis auf Platz vier in der Bundesliga geführt hat.
P.N. : Sunday ist ein außergewöhnlicher Spieler, aber hätten wir deshalb von der Freistellung absehen dürfen? Wir mussten so reagieren, um glaubwürdig zu bleiben. Das ist sportlich ein Riesenverlust, menschlich auch, denn bis zu diesem Augenblick hat sich der Sunday Oliseh nie etwas zu Schulden kommen lassen. Im Gegenteil, der Sunday war in der ganzen Mannschaft respektiert als Führungspersönlichkeit. Und dann das.
Wenn wir vor einer Woche in der Bundesliga eine Umfrage gemacht hätten mit der Frage, in welchem Klub es auf gar keinen Fall zu so einem Vorfall kommen könnte …
P.N. : … dann hätten 90 Prozent den VfL Bochum genannt. Und wenn Sie zusätzlich gefragt hätten, unter welchen Bochumer Spielern so etwas nie im Leben passieren würde, dann hätten alle, die die beiden kennen, Sunday Oliseh und Vahid Hashemian genannt. Die beiden haben sich gemocht und geschätzt. Das ist ja das Unerklärliche, was mich umtreibt: Ich weiß einfach nicht, was in Sunday vorgegangen ist. Wirklich, ich weiß es nicht!
Überhaupt keine Indizien?
P.N. : Nein. Ich hatte zu Sunday ein ganz besonderes Verhältnis. Er hat am selben Tag wie meine Tochter Geburtstag, er hat jedesmal angerufen und ihr auch schon mal ein Tor gegen Borussia Mönchengladbach gewidmet. Der Respekt, den er mir entgegengebracht hat, war größer als der, den ein Spieler normalerweise vor seinem Trainer hat. Sunday hat mir mal gesagt, dass er bei mir das Gefühl hätte, dass ich alle Spieler lieben würde, dass wir eine große Familie sind.
Jetzt haben Sie als Vater dieser Familie ein Kind verstoßen.
P.N. : Nein, nein, ich bin Trainer einer Fußballmannschaft und habe zu dem einen oder anderen Spieler sicherlich ein emotionales Verhältnis, auch zu Sunday. Aber alle diese Spieler sind erwachsene Männer mit eigenen Familien. Ich habe Sunday nicht verstoßen, das hat er schon selbst getan.
Erzählen Sie uns doch mal, was genau am Samstagnachmittag vorgefallen ist.
P.N. : Das ging schon in der Halbzeitpause los. Ich habe den Spielern ein paar Anweisungen gegeben. Die hat Sunday auf dem Weg von der Kabine zum Rasen auf seine persönliche Weise noch mal weitergegeben, und Vahid hat gekontert. Sie müssen sich das so vorstellen: Ein relativ schlecht Deutsch sprechender Iraner fährt einen nicht perfekt Deutsch verstehenden Nigerianer an. Da ergibt dann ein Wort das andere. Dabei ist der verhängnisvolle Satz gefallen …
… wir sind hier nicht in Nigeria …
P.N. : … worauf es zu einem Handgemenge zwischen beiden kam, zwei Spieler von uns sind dazwischengegangen, das war ja alles im Fernsehen sehr schön zu sehen. Dann ging das Spiel weiter, und ich dachte, die Sache wäre erledigt. Niemand hat vorhergesehen, dass da noch etwas passieren könnte. Ich bin zur Pressekonferenz gegangen und werde plötzlich in die Kabine gerufen. Was dort passiert ist, kenne ich nur aus den Schilderungen der Spieler. Es ist mir egal, ob Sunday drei Meter Anlauf genommen hat oder zwei oder nur einen. Vorsätzliche Körperverletzung ist nicht zu entschuldigen.
Ist das nicht ein wenig hochgegriffen für eine unbedarfte Kurzschlussreaktion nach einem unglücklich gelaufenen Spiel, in dem die Mannschaft mehr erwartet hatte, allen voran der ehrgeizige Oliseh?
P.N. : Nein, eine Affekthandlung schließe ich aus, sonst hätten wir das mit einer Geldstrafe geregelt. Berücksichtigen Sie bitte, dass Sunday nach dem Handgemenge in der Halbzeitpause noch 45 Minuten mit Vahid gespielt hat. Danach sind die Spieler noch eine Viertelstunde zu den Fans und haben sich feiern lassen. Genug Zeit also, um sich abzukühlen. Dann lässt Sunday sich den Kabinenschlüssel geben, schließt von innen ab, weil er nichts nach außen dringen lassen will und regelt die Sache mit einer Kopfnuss. Ist das nun Vorsatz oder nicht?
Machen Sie sich Vorwürfe?
P.N: Ich hätte auf die Pressekonferenz verzichten können, vielleicht hätte ich das auch gemacht, wenn ich nur irgendeinen Verdacht gehabt hätte. Wenn ich da gewesen wäre, wäre das nicht passiert.
Hätten Sie sich dazwischengeworfen?
P.N.:Nein, meine persönliche Anwesenheit hätte gereicht.
Wie lange sind Sie noch im Stadion geblieben?
P.N. :
Bis 23 Uhr. Wir haben endlos getagt, ich bin zwischendurch immer nach oben zu meiner Frau, die hat mit der ganzen Familie auf mich gewartet, es war ein ständiges Hin und Her. Am nächsten Morgen war ich schon wieder um acht auf dem Platz, aber die Analyse des Spiels ist diesmal ausgefallen. Zum ersten Mal in meiner Trainerkarriere.
Haben Sie mal eine Sekunde darüber nachgedacht, die Angelegenheit intern zu regeln? Hashemian hätte sich die Nase ja im Duschraum brechen können, weil er auf einem Stück Seife ausgerutscht ist.
P.N. :Nein, es waren doch 20 Personen dabei, die haben alles live miterlebt. Wenn ich so etwas durchgehen lasse, mache ich mich vor der Gemeinschaft unglaubwürdig.
Haben sich Spieler bei Ihnen für einen Verbleib von Oliseh eingesetzt?
P.N:
Ja, und das spricht für die Stellung und den Respekt, den Sunday bei seinen Kollegen hatte. Das aber ändert nichts an der Entscheidung. Dieser Aussetzer ist vielleicht erklärbar, aber nicht entschuldbar. Wenn ich das durchgehen lasse, geht die Gemeinschaft kaputt, und ohne Gemeinschaft funktioniert der VfL Bochum nicht. Wir mussten sehen, wie wir den Schaden so gering wie möglich halten, auch für die Beteiligten.
Die Gestaltungsmöglichkeiten sind gering.
Sagen Sie das nicht. Wir haben Oliseh nur freigestellt. Sie wissen ja, dass er bei Borussia Dortmund noch einen Anschlussvertrag bis 2005 hat. Wenn wir ihn fristlos entlassen würden, hätte Borussia Dortmund die Möglichkeit, das Gleiche zu tun.
Was wiegt für Sie schwerer: der sportliche oder der menschliche Verlust?
P.N. :Ganz klar der menschliche Verlust. Ich bin unsagbar enttäuscht und habe noch nie etwas Vergleichbares erlebt.
Empfindet Hashemian Verantwortung für das, was am Samstag passiert ist?
P.N. : In der Halbzeit war er auch der Provokateur, dafür wird er von uns sanktioniert werden. Später, in der Kabine, hatte er keine Chance.
Ist jetzt der Kopfmensch oder der Bauchmensch Peter Neururer gefragt?
P.N. : Ich habe 453 Pflichtspiele als Trainer gemacht und vor jedem eine Ansprache gehalten. 451 davon kamen aus dem Bauch, zwei habe ich vorher einstudiert. Am Samstag vor dem Spiel bei Hertha BSC kommt die dritte.
Nehmen wir mal an, Sie wären Trainer eines anderen Bundesligaklubs, und Sie könnten Oliseh verpflichten?
P.N. : Ich würde ihn sofort nehmen.
Trotz des Vorfalls am Samstag.
P.N. : Ja, weil ich Sunday als Mensch so gut kenne und ihn so sehr schätze, dass ich ausschließen kann, dass ihm so etwas noch einmal passieren könnte. Das war ein einmaliger Vorfall. Leider beim VfL Bochum, leider bei mir als Trainer.