PHÄNOMEN MERTESACKER
Abwehrriese mit guter Kinderstube
Von Jens Todt
Alle Welt schwärmt von Miroslav Klose und Lukas Podolski. Dabei verkörpert Per Mertesacker mehr als jeder andere Spieler Klinsmanns Philosophie: Gestalten statt zerstören. Der Stil des Innenverteidigers ist gelassen, klug und fair - und gerade deshalb spektakulär.
Berlin - Im Grunde kann die Zahl nicht stimmen. Die Statistik muss falsch sein: Der deutsche Innenverteidiger Per Mertesacker hat in bisher vier WM-Spielen zwei Fouls begangen. Insgesamt. Im Profifußball kommt Vergleichbares extrem selten vor, bei einer Weltmeisterschaft ist derlei eigentlich undenkbar.
Trotz seiner fairen Spielweise hat er laut IMP-Datenbank 81,6 Prozent seiner Zweikämpfe gewonnen, damit ist er der erfolgreichste WM-Teilnehmer in dieser Rubrik. In seinen nunmehr 27 Spielen für die Nationalmannschaft hat Mertesacker noch keine einzige Gelbe Karte kassiert.
Im Fußball ist es schwierig, mit Zahlen zu hantieren. Die Unwägbarkeiten des Spiels widerlegen einfache Wahrheiten. Eine Mannschaft kann doppelt so viele Freistöße und Ecken bekommen wie der Gegner und trotzdem als Verlierer vom Platz gehen. Dennoch spiegeln die Daten zumindest eine Tendenz wieder, vor allem wenn sie so ungewöhnlich sind wie die des Innenverteidigers von Hannover 96.
Mertesacker ist der Gegenentwurf zum Prototyp des beinharten teutonischen Verteidigers. Berti Vogts und Jürgen Kohler etwa haben in ihrer Karriere vielen gegnerischen Stürmern mit hartem Einsteigen den Schneid abgekauft, stets haben sie mit ihrem Körpereinsatz an der Grenze des gerade noch Erlaubten operiert, gelegentlich auch deutlich darüber hinweg.
Sie waren ungewöhnlich erfolgreich mit ihrer Strategie, auf dem Höhepunkt ihrer Karrieren gehörten sie auf ihrer Position zu den Besten der Welt. Allerdings hatten sie ihre Stärken in erster Linie im Zerstören und Zermürben der gegnerischen Angriffsbemühungen.
Das gelingt Mertesacker selbstverständlich auch, erstaunlicherweise kommt er dabei mit enorm wenigen Fouls aus - was vor allem mit seinem guten Stellungsspiel zu tun hat. Für sein Alter hat er ein erstaunlich ausgeprägtes Gefühl für den Raum, mit seiner Spielintelligenz erahnt er früh, wohin der Ball gespielt wird und kann die gegnerischen Pässe in die Tiefe ablaufen, ohne häufig in brenzlige Mann-gegen- Mann-Situationen zu kommen.
Zu seinen Stärken gehört außerdem die Spieleröffnung, mit seiner guten Grundtechnik ist er, ähnlich wie Christoph Metzelder, nach Balleroberungen der deutschen Mannschaft häufig eben nicht der Absender eines unkontrolliert nach vorne geschlagenen Flugballes, sondern die erste Station eines schnellen Spielaufbaus durch das Mittelfeld. "Was Per im bisherigen WM-Verlauf abgeliefert hat, ist einfach klasse", sagt Jürgen Klinsmann über die Leistung des Verteidigers.
Nach Mertesackers Bundesligadebüt im November 2003 erhielt der Neuling vernichtende Kritiken, wurde gar zur Halbzeit ausgewechselt. Es dauerte bis zum Frühjahr 2004, bis er wieder aufgestellt wurde. Damals staunte die Branche über den zurückhaltenden Spieler, der sich still und heimlich entwickelt hatte, ohne in den Fokus der DFB-Talentsichter zu geraten.
Er wirkte ein wenig ungelenk, bei seiner Körpergröße von 1,98 Metern hatten seine Bewegungen etwas Unorthodoxes. Dennoch fiel professionellen Beobachtern sofort auf, wie ruhig der damals 18-Jährige auf dem Platz agierte.
Zeitungen überschlugen sich mit Lobeshymnen auf den bodenständigen Jungen, der noch immer bei den Eltern in Pattensen lebt und seinen Zivildienst in der Psychiatrischen Klinik Wahrendorff absolvierte, wo er sich um Patienten der geschlossenen Abteilung kümmerte. "Der Umgang mit Menschen, die mich brauchten, hat mich weitergebracht", sagte Mertesacker einmal in einem Interview.
Nach anfänglichen Abstimmungsschwierigkeiten im ersten WM-Spiel gegen Costa Rica hat sich die deutsche Innenverteidigung gefunden, vor allem im Achtelfinale gegen Schweden konnten Metzelder und Mertesacker überzeugen. "Freddy Ljungberg musste plötzlich gegen drei von uns spielen", lobt der Hannoveraner die Feinabstimmung im deutschen Team.
Mit seiner Spielweise verkörpert Mertesacker den Stilwechsels im deutschen Spiel. Doch gleichzeitig symbolisiert der Verteidiger auch die Risiken des neuen Offensivdrangs. Was an guten Tagen leicht aussieht und die Zuschauer begeistert, führt an schlechteren zu zwei Gegentoren gegen eine Mannschaft wie Costa Rica. Oder zu einem Debakel, wie im Freundschaftsspiel gegen Italien im April, das 1:4 verloren ging.
Im heutigen Viertelfinale gegen Argentinien (17 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE) wartet die bisher größte Prüfung seiner jungen Karriere auf Mertesacker. Er wird es mit den Weltklassespielern Hernan Crespo und Javier Saviola zu tun bekommen, vielleicht auch mit den dribbelstarken Carlos Tevez und Lionel Messi. "Wenn der Saviola eins zu eins auf dich zukommt, wird es schwierig", sagte Mertesacker.
Manchmal wirkt er tatsächlich wie einer, der den Fähigkeiten noch nicht so recht zu trauen scheint, die ihm alle Welt jetzt zuschreiben. Als staunte er über das, was mit seinem Leben in den letzten drei Jahren geschehen ist. Vielleicht gilt jene nüchterne Einschätzung noch immer, die ein Mitspieler im Kollegenkreis über Mertesacker abgegeben hat, damals, als der 18-Jährige die ersten Trainingseinheiten in der Profimannschaft von Hannover 96 absolviert hatte: "Der weiß noch gar nicht, wie gut er eigentlich ist."
Quelle: spiegel.de
(auch wenn schon ein paar Tage alt...auch die Italiener wird er ausschalten und wenn die Ecken endlich mal passabel kommen auch ein Tor schießen)