Ich finde meinen Erklärungsweg für den rücksichtslosen Auftritt jedenfalls gangbar. Betrachtet man wie ich die Saison konsequent unter dem Gesichtspunkt der Mannschaftsentwicklung, erscheint es vernünftig nicht allein aufs Ergebnis zu schielen und das Spiel auf den Gegner auszurichten. Stattdessen gibt man den Spielern Aufgaben, die dem anvisierten Entwicklungsschritt entsprechen. Man teilt die Saison in Lektionen ein. Denn niemand kann alles auf einmal lernen, an allem auf einmal arbeiten. Man verzettelt sich leicht. Die erste Lektion wäre demnach sinnvollerweise Defensiv-Ordnung und das Sammeln von Selbstbewusstsein gewesen. Das Resultat waren Siege, weil man nicht viel zugelassen hat, aber eben keine überzeugenden Siege im Sinne des angestrebten Endresultats "Spektakel". (Diese Zielsetzung ist ja nun eine Grundsatzentscheidung nicht allein des Trainers, sondern der gesamten Vereinsführung, die durchaus von monetären Interessen geleitet ist, und deshalb nicht belächelt werden sollte: Markenkerne sind kein huppifluppi.)
Momentan steht daher eine offensivere Ausrichtung auf dem Programm. Vielleicht sogar vor allem das hohe Pressing - ein wichtiges Werkzeug für eine komplette Mannschaft. Ich konnte nicht alle Spiele sehen, daher weiß ich nicht, ob wir das nicht sogar zum ersten Mal in dieser Penetranz gespielt haben. Dass man damit gegen Gladbach baden geht, war derzeit zumindest nicht unwahrscheinlich. Aber genau betrachtet, ist Gladbach gar kein schlechter Kunde für die Behandlung: die Spieleröffner sind nicht soo überragend, hätten es nicht leicht gehabt sich gegen ein funktionierendes Pressing zu lösen, um den bösen Pass zu spielen. Dass man gegen Gladbach umso härter bestraft wird, wenn es ihnen doch gelingt. - Nun, das Risiko ist Schaaf offensichtlich eingegangen. Ja, das ist Ignoranz. Man muss manchmal ignorant sein, um seinen eigenen Weg zu gehen
Es hat nicht funktioniert. Man hatte keine Ordnung im Pressing. Bedeutet: die Mannschaft kann es noch nicht. Sie soll es lernen. Um den 6er herum klafften gigantische Löcher. Auch dort ist Baustelle. Bargfrede und Fritz sind zum Beispiel zu gierig auf die Balleroberung, mit etwas mehr abwartendem Positionspiel wären vermutlich weniger Gegentore gefallen. Usw. In einem Lernprozess sind das alles Resultate. Man könnte das Pressing auch aus seinem Toolset verbannen, weil die Mannschaft es ja doch nicht kann. Aber wo würden wir mit der Einstellung landen?
Die Erkenntnisse der Saison sind zwar: mit defensiver Grundordnung können Spiele gewonnen werden. Aber von dieser Erkenntnis Abstand zu nehmen, ist für mich nicht gerade skandalös. Diese Erkenntnis ist eine Trivialität. Man kann sie sich auf die Fahnen schreiben und einfache Gemüter beeindrucken. Trivialitäten hinterfragt man jedoch, um etwas neues und aufregendes zu machen. Das kann man auch im defensiven Spektrum hinkriegen, keine Frage. Der Solbakken machts vor. Aber wir haben mit diesem Trainer keine ähnliches Pfund, das wir in die Wagschale werfen könnten. Was anderes als die bieder halbärschige Kontermannschaft, die alle Welt spielt, kommt dabei nicht raus. Wenn man das gleiche macht, wie alle anderen hat man eben genau keinen taktischen Trumpf. Die Mannschaft wird dann nicht über ihrem Niveau spielen, wie sie es jahrelang getan hat (sic! das brauche ich dem Diego-Verächter nicht zu erklären). Das Pfund, das wir mit Schaaf in die Wagschale werfen können, heißt: man kann selbst mit schwächerem Kader spielbeherrschend sein. Wir habens oft genug gesehen.
Fehlende Passsicherheit ist in diesem Sinne auch einfach der spielerischen Qualität geschuldet. Wir haben kein Team von Edeltechnikern. Aber wie das im Fussball so ist: es muss ja nur ein-zweimal richtig klappen - und andererseits muss man ein Gefühl dafür bekommen, wann man das Risiko für vertikales Spiel eingehen kann und wann nicht. Es wird in unserem Spiel immer vergleichsweise viele Fehlpässe geben, aber jeden Fehlpass muss ein großes "hätte klappen können" begleiten.
Es fehlen ja auch noch einige Automatismen - nicht die großen einstudierten Spielzüge, die bei Kontermannschaften zum Tragen kommen, sondern vielleicht vor allem für Überzahlbildung auf engem Raum durch sich ständig verschiebene Dreiecksbildungen außen und innen. Kommt das zustande, kommt auch das Tempo. Wir haben doch davon einige Ansätze gesehen. Ob es dafür an Intelligenz fehlt, kann ich nicht sagen. Jedenfalls ist es ein tüchtiges Pfund, wenn man auf engem Raum nur ein Stückchen besser zurecht kommt, als die allermeisten anderen Mannschaften. Wenn man offensiv, druckvoll spielen will, muss das der Weg sein.
EDIT: Überspitzt: Keiner fordert und trainiert das so wie Schaaf, alle gleuben, für sowas müsse man Xavi und Ineista heißen. Wir haben gesehen, dass es auch anders geht. In dem Punkt waren wir einzigartig. Das hat leider auch viele zum Umkehrschluss verleitet, dass es sich bei unseren Spielern um kleine Xavis handelt. Ihre anschließenden Stationen haben meist das Gegenteil bewiesen. Sie haben im Übrigen, so glaube ich, wirklich eine merkwürdige Tendenz, überbezahlt zu sein. Schaaf lässt sie durch sein Trainingsprogramm stärker aussehen als sie sind. D.h. derzeit nicht: Wenn seine Räder greifen.
Wenn du mich nach der offensiven Spielvision fragst, überlege ich gerade, ob die Raute nicht in dem Sinne auch bei uns überholt ist, als dass man kaum noch von der 2 vorne sprechen kann. Die Stürmer lassen sich, glaube ich, nicht aus Verzweiflung so oft, so weit fallen. Das hat System. Übrigens, auch eine vernünftige Erklärung für Wagners abtauchen, dem da nun wirklich etwas fehlt. Man sah aber auch seine Bemühungen diesen Anforderungen gerecht zu werden. Nur Rosi fällt da raus: er ist nützlich als Joker.
Wie das hingegen in der Defensive aussehen kann: keine Ahnung. Da brennt es personell. Jedenfalls bleibt es trotz all dem Geschwafel vom alleinigen 6er bei der Zweiteilung dieser Rolle, wobei einer von beiden mehr Offensiv-Aufgaben ausfüllt. Fritz-Bargfrede kann da nur ein Notnagel sein. Beide funktionieren lediglich als Zerstörer. Beide sind vogelwild und nicht in der Lage die Abstände zu Abwehrkette zu organisieren. Das ist nicht das, was Schaaf sehen will. Sie können in der Rolle vorläufig einspringen, sind lauf- und zweikampfstark genug. Man kann immerhin erwarten, dass sie mal vernünftig spielen, die Aufgaben leidlich lösen, ohne zu brillieren, und muss wegen dieser Baustelle nicht die ganze Mannschaftsentwicklung auf unbestimmte Zeit vertagen. Ansonsten ist das ein Problem, das wahlweise auf dem Transfermarkt oder im Kraftraum gelöst wird, wenn ich an Trybull denke.
Das Problem mit der "takischen Unterlegenheit gegen schwächere Gegner" verstehe ich nicht. Einfache Rechnung. Ich sage einfach mal, dass zu erreichende System soll stark genug sein, um gegen 8 disziplinierte Verteidiger des Öfteren zum Abschluss zu kommen, aber eigentlich nicht stark genug für 10 Betonanrührer. Es gibt aber nicht viele Mannschaften, die unter die letzte Kategorie fallen, und es sind meist Abstiegskandidaten. Gegen sowas sehen wir traditionell dumm aus, aber sie werden durch mehr spielerische Klasse immer noch oft genug geschlagen.
(Ist so ein bisschen Milchmädchen-Rechnung, es sind ja immer nur so Tendenzen, aber ich denke das ist verständlich.)