Wie gut sind gute Bedingungen wirklich?


Benjamin

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In der guten alten Zeit, als es noch keine Windpunkte gab, war das ja ganz einfach: Aufwind war gut, Rückenwind war schlecht. Nun gibt es seit etwa einem Jahr die viel diskutierte Windregel, die das Ganze etwas gerechter machen sollte: Die Springer die Aufwind haben, bekommen Punkte abgezogen; die Springer, die Rückenwind haben, bekommen dazu.

In den Diskussionen nach den Wettkämpfen könnte man aber manchmal meinen, es gäbe diese Punkte nicht - denn eigentlich hört es sich genauso an wie vorher... vielleicht sogar noch schlimmer, weil man ja nun bei jedem Springer zumindest die Durchschnittswindwerte kennt: "Der Thomas hatte viel schlechtere Bedingungen als Larinto, nur deshalb hat er nicht gewonnen." - "Unsinn, im ersten Durchgang hatte er immer noch günstigeren Wind als Kofler, und der war trotzdem weiter." - "Die schlechtesten Bedingungen hatte immer noch Martin Schmitt." In dieser Frage wird man sich wohl nie einig. :D:

In einer anderen Frage scheint aber sehr wohl größtenteils Einigkeit zu herrschen. Die Punktgutschriften und -abzüge sehen viele anscheinend eher als Trostpflaster an. So wird es auch im Fernsehen meist erklärt: Wer Aufwind hat, gewinnt dadurch mehr Punkte als er nachher wieder abgezogen bekommt; wer Rückenwind hat verliert dadurch mehr Punkte als er nachher wieder dazu bekommt.
Aber ist das denn wirklich so? War es nicht ursprünglich die Intention der FIS, die Punktabzüge und -gutschriften so zu gestalten, dass sie ein echter Ausgleich sind? Und wie könnte man überprüfen, was nun richtig ist?

Ich habe mir dazu ein paar Gedanken gemacht und hatte folgende Idee: Wenn es stimmt, dass die Punkte kein echter Ausgleich für die Bedingungen sind, dann müssten doch auf den vorderen Plätzen im Schnitt nach wie vor mehr Springer mit guten Bedingungen (also höheren Punktabzügen) zu finden sein als weiter hinten. Gleichen die Punkte die Bedingungen aber tatsächlich recht gut aus, dann müssten Springer mit besseren und schlechteren Bedingungen recht gleichmäßig über das Feld verteilt sein. Ich habe mir daher mal die Ergebnisse von fünf Wettkämpfen (Kuusamo, Kuopio, Lillehammer 1 + 2, Sapporo 1) etwas genauer angesehen. Ich habe für alle Springer mit zwei Durchgängen den Gesamtabzug/aufschlag durch den Wind berechnet und in Abhängigkeit von der Platzierung in ein Diagramm eingetragen (letzteres nur rechnerisch). Anschließend habe ich eine Ausgleichsgerade durchgelegt - und das Ergebnis war erstaunlich: Es hat gezeigt, dass in Kuusamo, Kuopio, Sapporo und beim ersten Springen von Lillehammer die weiter vorne platzierten Springer im Schnitt geringfügig schlechtere Bedingungen hatten; nur beim zweiten Springen von Lillehammer war es andersherum.

Mit anderen Worten: Die Windpunkte gleichen die Bedingungen anscheinend doch ganz gut aus - anders als meist behauptet.

Anmerkung: Das Ganze gilt natürlich höchstens dann, wenn es nicht zu extrem wird. Dass die Windpunkte die Schwierigkeiten, mit denen der Springer zu kämpfen hat, nicht korrekt widerspiegeln, wenn der Wind sehr stark ist, dreht, von der Seite kommt oder wenn der Anlauf sehr knapp gewählt ist, wissen wir ja bereits - darum soll es hier auch nicht gehen.

Ich hoffe, der lange Text schreckt niemanden ab.
 

EyTschej

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Wieso erstellst du Statistken zu Springen, bei denen es so gut wie kaum windete und die Bedingungen sowieso nicht ausschlaggebend waren? :ueberleg:

Interessanter wären die Springen gewesen, bei denen der Wind einen deutlicheren Einfluss hatte. Ich denke - ganz ohne komplexe Statistik -, dass bei diesen Rennen überwiegend Springer mit guten Bedingungen vorne gewesen wären und man dementsprechend das Fazit hätte ziehen können: Spielt der Wind keine Rolle, mischt sich die Windregel sowieso nicht weiter ein. Spielt der Wind eine große Rolle, nützt die Windregel auch nix mehr.
 

Anne

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Ich würde es mal so formulieren:
- So lange die Windbedingungen nicht zu wechselhaft sind funktionieren die neuen Regeln gut.
- Aber wenns zu stark dreht und windet wird das Springen auch mit den Windregeln irregulär und zur Lotterie. Man muß auch mal absagen können.
- Ein Problem sind unterschiedliche Bedingungen im Hang, die dann zusammengezählt werden, was in der Statistik folgerichtig nicht rauskommt. Wer z.B. letzte Woche in Harrachov am Tisch starken Rückenwind hatte konnte unten so viel Aufwind haben wie er wollte, er kam da gar nicht erst hin und war folglich der doppelt angeschmierte: Schlechte Bedingungen und trotzdem kein Ausgleich. Gerade hier sehe ich einen wichtigen Ansatzpunkt um die Sache zu verbessern.
 

danii85

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Ich würde es mal so formulieren:
- So lange die Windbedingungen nicht zu wechselhaft sind funktionieren die neuen Regeln gut.
- Aber wenns zu stark dreht und windet wird das Springen auch mit den Windregeln irregulär und zur Lotterie. Man muß auch mal absagen können.
- Ein Problem sind unterschiedliche Bedingungen im Hang, die dann zusammengezählt werden, was in der Statistik folgerichtig nicht rauskommt. Wer z.B. letzte Woche in Harrachov am Tisch starken Rückenwind hatte konnte unten so viel Aufwind haben wie er wollte, er kam da gar nicht erst hin und war folglich der doppelt angeschmierte: Schlechte Bedingungen und trotzdem kein Ausgleich. Gerade hier sehe ich einen wichtigen Ansatzpunkt um die Sache zu verbessern.
Absolute Zustimmung. Das Ganze funktioniert nur bis zu einem gewissen Grad...

Auch an der Einbeziehung von Seitenwind muss dringend gearbeitet werden. So wie es jetzt ist bringt es bei Winden wie in GaP oder streckenweise in Harrachov gesehen ueberhaupt nichts.
 

Benjamin

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Natürlich spielte der Wind bei all diesen Springen eine Rolle:

Kuusamo: 1,21 m/s Rückenwind bis 0,5 m/s Aufwind
Kuopio: 0,20 m/s Aufwind bis 2,62 m/s Aufwind
Lillehammer 1: 1,15 m/s Rückenwind bis 0,75 m/s Aufwind
Lillehammer 2: 0,38 m/s Rückenwind bis 0,63 m/s Aufwind
Sapporo: 1,03 m/s Rückenwind bis 1,56 m/s Aufwind

Da wurde schon um wesentlich kleinere Unterschiede gestritten - und in Sapporo bewirkt die Windregel auf die Weise Punktedifferenzen von bis zu 30 Punkten zwischen dem "Glücklichsten" und dem "Unglücklichsten".

Irreguläre Springen wie Garmisch eignen sich ja gerade nicht für so eine Analyse, weil man da anhand der Punkte nicht sagen kann, wie gut die Bedingungen wirklich waren.
 

Benjamin

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@Anne, danii85: Darum geht es mir ja in diesem Thread gerade nicht. Darüber haben wir ja in den letzten 18 Monaten in hunderten von Beiträgen immer wieder diskutiert; und hier herrscht ja auch größtenteils Einigkeit: Durch die Regeln kann Seitenwind nicht ausgeglichen werden; stark drehender Wind ebenfalls nicht usw.

Mir geht es um die Frage, ob die Windpunkte bei einigermaßen normalen Bedingungen etwas schlechtere Verhältnisse ausgleichen oder nicht.
 

Anne

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Natürlich spielte der Wind bei all diesen Springen eine Rolle:

Kuusamo: 1,21 m/s Rückenwind bis 0,5 m/s Aufwind
Kuopio: 0,20 m/s Aufwind bis 2,62 m/s Aufwind
Lillehammer 1: 1,15 m/s Rückenwind bis 0,75 m/s Aufwind
Lillehammer 2: 0,38 m/s Rückenwind bis 0,63 m/s Aufwind
Sapporo: 1,03 m/s Rückenwind bis 1,56 m/s Aufwind

Da wurde schon um wesentlich kleinere Unterschiede gestritten - und in Sapporo bewirkt die Windregel auf die Weise Punktedifferenzen von bis zu 30 Punkten zwischen dem "Glücklichsten" und dem "Unglücklichsten".

Irreguläre Springen wie Garmisch eignen sich ja gerade nicht für so eine Analyse, weil man da anhand der Punkte nicht sagen kann, wie gut die Bedingungen wirklich waren.
Aber ich finde gerade auch ein Springen wie Harrachov deckt Defizite auf: bei 3m Rückenwind am Tisch hast Du da keine Chance einen Aufwind unten zu nutzen und dann sagt der Kommentator noch: Es sind zwar Pluspunkte, aber nicht so viele dann können die Bedingungen doch gar nicht so schlecht gewesen sein. Das verzerrt das Bild extrem, und die Betroffenen dürfen sich dann noch sagen lassen es würde doch dank der Regel nichts mehr ausmachen ob gut oder schlecht. Das jetzige System ist m.E. ein Anfang, ein Schritt in die richtige Richtung, aber mehr noch nicht.
 
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Benjamin

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Das seh' ich ja genauso. Wobei... hieß es nicht zu Beginn der Saison irgendwann mal, dass man nun nur noch die Windmesser berücksichtigen würde, wo der Springer tatsächlich noch in der Luft war?
Aber unabhängig davon wird es bei grenzwertigen Bedingungen nie ein gerechtes System geben. Den einen rüttelt die Seitenwindböe zwar durch, aber er kommt noch irgendwie auf 120 Meter... den anderen bringt sie komplett aus dem Gleichgewicht, und er muss bei 70 Metern notlanden.

Und ich schau mir vielleicht auch noch die anderen Springen an, was ich da für Korrelationen bekomme... aber nicht mehr heute.
 

ThommyFan

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Das seh' ich ja genauso. Wobei... hieß es nicht zu Beginn der Saison irgendwann mal, dass man nun nur noch die Windmesser berücksichtigen würde, wo der Springer tatsächlich noch in der Luft war?
Aber unabhängig davon wird es bei grenzwertigen Bedingungen nie ein gerechtes System geben. Den einen rüttelt die Seitenwindböe zwar durch, aber er kommt noch irgendwie auf 120 Meter... den anderen bringt sie komplett aus dem Gleichgewicht, und er muss bei 70 Metern notlanden.

Und ich schau mir vielleicht auch noch die anderen Springen an, was ich da für Korrelationen bekomme... aber nicht mehr heute.

Aber es wird immer Probleme geben, z.B. hatten heute in der Kombi Kircheisen und Gottwald die selben Probleme (Seitenwind) und Gottwald bekam 6 Punkte Abzug während Kircheisen 6 dazu bekam!
 

Anne

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Aber es wird immer Probleme geben, z.B. hatten heute in der Kombi Kircheisen und Gottwald die selben Probleme (Seitenwind) und Gottwald bekam 6 Punkte Abzug während Kircheisen 6 dazu bekam!
das ist einer der Knackpunkte, Wind ist nunmal eine vektorielle Größe, und das muß berücksichtigt werden, und zwar nicht nur nach mathematischen Gesichtspunkten, sondern auch nach praktischen.
 

mlf

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äh, die conclusio soll also sein: bei moderat drehenden bedingungen super, wenn stärker nicht.
dann braucht man die regel nicht, schließlich hat man wettkämpfe mit moderatem wind auch vorher schon meist durchgebracht. die regel erfüllt die aufgabe die ihr immer zugeschrieben wird, einfach nicht.
 

Anne

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äh, die conclusio soll also sein: bei moderat drehenden bedingungen super, wenn stärker nicht.
dann braucht man die regel nicht, schließlich hat man wettkämpfe mit moderatem wind auch vorher schon meist durchgebracht. die regel erfüllt die aufgabe die ihr immer zugeschrieben wird, einfach nicht.
Doch, bei moderatem Wind gleich sie die differenzen rel. gut aus, der ist ja auch nicht immer gleich. Da ist sie ein Gewinn an Fairness.
Durchgebracht haben sie den Wettbewerb heute auch, wie schon früher so manche überflüssige Lotterie ohne Windregel. Man hätte absagen sollen. Aber das ist nicht die Schuld der Regel sondern der Jury.
 

Kirsten

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Ich denke auch, die Regel funktioniert bei normalen Bedingungen gut. Sie kann die in oben genannten Korridoren wechselnde Winde eben wirklich annähernd ausgleichen.

Das Probelm an der Sache ist, dass die Jury denkt, sie habe mit der Regel ein Allheilmittel gefunden, so dass eben auch Springen, die Windlotterien sind, durchgebracht werden konnten. Allerdings hat man diese auch schon früher durchgebracht, und da hatten dann benachteiligte Springer gar keine Chance, weil sie viel zu kurz sprangen, heute gibt es dann immerhin etwas Ausgleich. Also schlechter machts das in dem Fall auch meist nicht mehr. (Ausnahmen bestätigen die Regel *g* )
 

400kmh

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Je weiter gesprungen wird, desto mehr wirken sich die Pluspunkte für Rückenwind positiv aus und Minuspunkte für Rückenwind negativ. Je kürzer gesprungen wird springen, desto weniger stark wirken sich die Plus- und Minuspunkte aus. Das liegt daran, dass sich die Weiten, je weiter man auf einer Schanze springt, desto weniger unterscheiden. An der Spitze des Feldes ist es daher gut möglich, dass durch die Plus- und Minuspunkte die Windvor- und nachteile mehr als ausgeglichen werden. Hinten im Feld wird durch die Plus und Minuspunkte hingegen aber auf keinen Fall die Vor- und Nachteile ganz ausgeglichen.

Ein Beispiel dafür, dass durch die Pluspunkte die Nachteile an der Spitze mehr als ausgeglichen werden, ist das erste Sommerspringen in Hakuba 2009, als Ammann 136 m sprang, dann aber so stark verkürzt wurde, dass Yumoto aufgrund der Pluspunkte garnicht kurz genug springen konnte, um hinter Ammann zu landen.
 

Hakuba

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Danke, Benjamin, dass Du Dir diese Arbeit mal gemacht hast.
Allerdings verfälschen unterschiedliche Anlauflängen in der Tat das Ergebnis, weil ein zweiter Faktor (Absprunggeschwindigkeit) hinzu kommt. Man kann also nur Springer mit gleichen Anlauflängen vergleichen.

Hier noch die Meinung zweier Springer.
Kasai: "Es hat sich nichts daran geändert, dass ein Springer, der Aufwind hat, das Rennen macht."
Takeuchi: "Es gibt einen Windanteil, der unberücksichtigt bleibt, somit ist die Sache nicht immer zuverlässig."
 

mlf

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Kasai: "Es hat sich nichts daran geändert, dass ein Springer, der Aufwind hat, das Rennen macht."

genau das ist es doch, wo da jetzt dinge fairer als früher sein sollen, erschließt sich mir nicht.
aber ich halte die ausgangshaltung die zu dieser regel geführt hat, schon für vollkommen irregeleitet: also ob skispringen in den letzten 100 jahren dauernd falsche sieger hervorgebracht hätte bei vierschanzentournee, gesamtweltcup etc.
die ausgangsfrage ist noch immer nicht beantwortet: wozu?
 

Kirsten

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Zieh Morgi mal seine 28 Punkte Gutschrift ab z.B. und schau, wo er dann gelandet wäre. Darum macht man das, um das ganze auszugleichen. Dass man das nie ganz schafft ist klar, aber so entseht immerhin ein bisschen Ausgleich
 

danii85

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Wozu die Regel? Na liegt doch auf der Hand. Man hat jetzt Tuer und Tor so ziemlich jeden Wettkampf, und sei er noch so irregulär, ins Tal zu bringen...Das is doch der wahre Grund.
 
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ThommyFan

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Mittlerwiele geht mir die Regel wirklich auf den Geist. Der einzige Vorteil ist, dass man fast jeden Wettkampf durchführen kann, aber dann ist wieder die Frage ob das überhaupt ein Vorteil ist, denn z.B. das heutige Springen hätte man besser nicht durchgeführt!
 

Kirsten

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Sie schafft aber Ausgleich. Aber trotzdem müsste die Jury den A*** in der Hose haben, auch mal n Springen abzubrechen, ganz klar.

Aber wie Benjamin oben schonmal sagte, hier soll nicht über die Regel und ihren Sinn diskutiert werden. Ich denke, er hat mit seinen Beispielen oben deutlich gezeigt, dass eben bei regulären bedingungen ein guter Ausgleich geschaffen wird
 
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