Lieber buta,
ich schätze deine Beiträge hier wirklich sehr, aber deine fortgesetzte Rechtfertigung für Povetkins risikolose Gegnerwahl kann ich gar nicht nachvollziehen. Mir fehlt in deiner Argumentation einfach der sportliche Aspekt. Povetkin und sein Promoter sind weit davon entfernt, über wirtschaftliche Notwendigkeiten nachdenken zu müssen. Die Basics sind hier dicke abgedeckt, ökonomischer Druck kann hier kein Argument mehr sein.
Doch. Der Boxer bindet finanzielle Kapazitäten. Jede Investition wird getätigt, um daraus einen produktiven wie finanziellen Zugewinn zu erzielen. Da Sauerland ein Unternehmen ist, wird man das auch so handhaben.
Das hat nichts mit wirtschaftlichen Notwendigkeiten zu tun, sondern mit kaufmännischer Bodenständigkeit. Das ist auch der Grund, warum eine Vielzahl der erfolglosen Boxer nicht aus reiner Mitmenschlichkeit durchgeschleppt, sondern kühl und leider rücksichtslos wegrationalisiert werden.
Povetkin bereitet sich jetzt seit zweieinhalb Jahren auf seinen Fight gegen WKlitschko vor. Dass er dabei auch einiges ausprobiert und seine Gegner auch nach taktischen Gesichtspunkten wählt, ist ihm bestimmt zugestanden. Aber auch in der Gegnerwahl muss doch eine zielgerichtete Vorbereitung auf Wladimir erkennbar sein, und zwar in Bezug auf die wichtigsten Parameter: Größe, Jab, Punch und Geschwindigkeit. Noch nicht mal Dimitrenko, der von Chambers regelrecht demontiert wurde, kam als Gegner in Frage. Ein Sportler entwickelt sich vor allem auch dann weiter, wenn er in Grenzbereiche vorstößt. Und Kampfbedingungen lassen sich im Sparring eben nur bedingt nachstellen. Natürlich birgt jeder Kampf ein Risiko. Aber das gilt doch auch für den Gegner, der nur für's Verlieren eingekauft wurde. Und ein Verletzungsrisiko ist ja auch immer gegeben. Nein, Risikovermeidung ist für mich ein ganz schlechtes Argument.
Hier bin ich gänzlich anderer Meinung. Gerade Chambers-Dimitrenko zeigt, dass man sich auf einen Boxer wie Klitschko nicht angemessen vorbereiten kann. Weder durch die Wahl der Sparringspartner, noch durch Kämpfe unter Wettkampfbedingungen. Wen hätte Povetkin denn boxen sollen - deiner Meinung nach? Einen Dimitrenko? Der ist boxerisch gesehen der Anti-Klitschko. Thompson? Der ist Southpaw. Timo Hoffmann? Whitaker? Alle sind weit davon entfernt, Povetkin auf Klitschko vorbereiten zu können. Zudem besteht gegen die Erstgenannten auch ganz einfach die realistische Möglichkeit des Scheiterns.
Das Unwesentliche wird man ihm im Sparring vermitteln, auf das Wesentliche wird man ihn nicht vorbereiten können. Chambers hat seit Juli letzten Jahres für diesen Kampf trainiert, dies nur nebenbei. Mit Riesen gesparrt, sich Tipps von Lennox geholt, sich Pläne gegen den Jab ausgedacht, Dimitrenko düpiert - und was hat es ihm gebracht? Das Lustige an der Diskussion ist doch gerade
diese Widersprüchlichkeit: Einerseits heißt es, man könne sich nicht angemessen vorbereiten. Das Erwachen kommt mit der ersten Schlaghand. Andererseits wirft man Povetkin vor, dass er lieber gegen Aufbaugegner boxt, als "hochgewachsene, sportliche Herausforderungen" anzunehmen, die ihn auf Klitschko vorbereiten sollen. Das passt nicht.
Aber gut, wir kommen hier auf keinen grünen Nenner. Ich verstehe die Kritik, teile sie aber nicht. Die Umstellung Povetkins ist für meine Begriffe so gravierend, dass ich die Gegnerwahl tolerieren kann. Ich bin mir sehr sicher, dass Atlas (ein Kreuzritter in Sachen "Klitschko") sein Mögliches tun wird, um seinen Schützling angemessen vorzubereiten: Bewegungsabläufe internalisieren, große Sparringspartner verpflichten, einen Plan gegen den Jab konstruieren. Unter Umständen ist da auch einfach Intransparenz erwünscht, um gewisse Dinge nicht zu verraten. Ich bin mir
auch ziemlich sicher, dass Klitschko aus dem Dimitrenko-Kampf eine Menge mitgenommen hat. Aber das alles sind natürlich streitbare Punkte und ich kapiere schon, dass ich mich damit in deinen und den Augen der meisten Diskutanten auf brüchigem Eis bewege.
Povetkin wird nur dann eine kleine Chance haben, wenn er im Ring anpassungsfähig bleibt. Bislang sind noch alle Klitschko-Gegner verendet, weil ihr Plan mit der ersten Sekunde hinfällig geworden ist.