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Gast_481
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"It's coming home, it's coming home, football's coming home..." Seit 1996 hört man diesen Gassenhauer während jedes Fussballturniers (bei dem England dabei ist). Das Lied soll dem Land, welches seit 1966 auf einen grossen Titel wartet, Mut machen dass es bald wieder klappen soll. Mittlerweile fragt man sich, wen man damit eigentlich zu überzeugen versucht. Die Ergebnisse der letzten Turniere waren eher mau.
Nachdem man unter Sven-Göran Eriksson von immerhin drei Viertelfinalteilnahmen in Folge erreichen konnte, hat es sein Nachfolger Steve McClaren gleich mal geschafft die Qualifikation für die EM 2008 in den Sand zu setzen. Fabio Capello übernahm, mit dem das Team eine sehr starke Qualifikation für die WM 2010 spielte. Die Erwartungshaltung im Land war wie immer enorm hoch. Und wie immer kam beim Turnier selber die Ernüchterung. 1-1 gegen die USA, 0-0 gegen Algerien, 1-0 gegen Slowenien, 1-4 gegen Deutschland. Auch das nichtgegebene Tor gegen Deutschland kann nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass die Ergebnisse des gesamten Turniers schlichtweg nicht ausreichend waren. Die Qualifikation zur EM 2012 war zwar nie ernsthaft in Gefahr, aber auch nur solide. Gegen die direkten Konkurrenten Montenegro und Schweiz gab es in vier Spielen lediglich einen Sieg. Das Turnier selber war dann immerhin eine positive Überraschung (was unter anderem auch daran lag, dass mittlerweile niemand mehr etwas Besonderes von den Engländern erwartete). Mittlerweile von Roy Hodgson betreut (Capello trat nach einer Meinungsverschiedenheit im Verband bezüglich der Rassismusvorwürfe gegen John Terry zurück) erreichten die Engländer ein 1-1 gegen die favorisierten Franzosen, gewannen 3-2 gegen Angstgegner Schweden, bezwangen dann auch den Gastgeber aus der Ukraine und wurden so Gruppensieger. Im Achtelfinale konnte man sich rund 20 Minuten lang einen offenen Schlagabtausch mit den Italienern liefern, dann übernahm die Squadra Azzurra das Zepter. Die Three Lions konnten sich aber immerhin ins Elfmeterschiessen verteidigen, wo sie dann nach 1990, 1996, 2004, und 2006 erneut ausgeschieden sind.
Die Qualifikation für die WM 2014 war erneut bestenfalls solide. Die Gruppengegner lauteten Ukraine, Polen, Montenegro, Moldawien und San Marino. Darunter schielten immerhin die Ukrainer, Polen und Montenegriner auf ein WM-Ticket. In den ersten vier Spielen gegen diese Teams konnte England nur Unentschieden holen. Die vier Siege gegen Moldawien und San Marino hielten die Löwen aber in der Spitze. Da sich die drei Kontrahenten sowie die Moldawier gegenseitig die Punkte wegnahmen und England die Rückspiele gegen Polen und Montenegro doch noch gewann, sprang in der Endabrechnung doch noch der Gruppensieg heraus.
Wie bereits gesagt, die Ergebnisse der Engländer sind bestenfalls solide. Man hat beispielsweise in der Qualifikation kein Spiel verloren, aber vier Unentschieden sind für ein Toptteam auch zuviel. Man gewinnt wenn man es dringend muss, qualifiziert sich irgendwie, profitiert von den Ergebnissen der Kontrahenten und ist dann halt irgendwie dabei. Das ist aber nicht ausreichend, um an einem Grossturnier wirklich etwas zu reissen, geschweige denn den Titel zu holen.
Die Gründe wieso das Mutterland des Fussballs in seiner eigenen Disziplin so hinterherhinkt und mittlerweile nur noch unter "ferner liefen" zu finden ist, sind vielfältig. Nach den schlechten Ergebnissen der letzten Jahre wurden zahlreiche Theorien entwickelt. Einige davon sind Interpretationen von Tatsachen, welche schwierig beweisbar sind. So beispielsweise, dass die Spieler dem Druck, der von der englischen Boulevardpresse aufgebaut ist, nicht standhalten können. So kursiert beispielsweise eine Aussage von Steven Gerrard (!), der vor einem Duell gegen Andorra (!!) Angstattacken hatte, weil er wusste, dass das Team danach in den Medien genau unter die Lupe genommen wird, sprich ob man die Pflicht erfüllt hat oder ob es gegen die Fussballzwerge noch mehr Tore, bessere Kombinationen etc. benötigt hätte.
Den einen Grund gibt es so sicherlich nicht und es ist schwierig herauszukristallisieren, welche Faktoren mehr ins Gewicht fallen und welche weniger. Als Eriksson noch Trainer war, gab man in erster Linie dem System die Schuld. Eriksson hat es im Mittelfeld nicht geschafft Lampard und Gerrard aufeinander abzustimmen. Spielermaterial hingegen war zu seiner Zeit da. Lampard und Gerrard, Beckham, Owen, Rooney, Scholes, Cole, Terry, Ferdinand...jetzt hat man dafür Gerrard, Lampard...und schon sind wir beim ersten Problem. England nimmt den gefühlt 130. Anlauf diese beiden irgendwie nebeneinander zu bringen, so dass es funktioniert. Und selbst wenn sie nicht gleichzeitig auf dem Feld stehen, sie werden dabei sein, obwohl mittlerweile 33 und 35 Jahre alt. Allgemein ist der Kader der Engländer alterstechnisch extrem unausgeglichen besetzt. Es sind noch zahlreiche alte Spieler dabei, wie die bereits erwähnten zwei, aber auch Ashley Cole, Rickie Lambert, Michael Carrick, Jermain Defoe oder Scott Parker (zumindest sind alle im erweiterten Kader und wurden in letzter Zeit eingesetzt), andererseits findet man viele sehr junge Spieler im Kader, wie Jack Wilshere, Alex Oxlade-Chamberlain, Luke Shaw etc. Dazwischen hat man quasi nichts. Der Grossteil der Spieler ist also entweder über den Zenit oder noch nicht auf dem Zenit. Dazu kommt, dass sich die jungen Spieler auch nicht so entwickeln wie erhofft. Walcott, Wilshere und Oxlade-Chamberlain sind häufig verletzt. Rodwell wird bei City kaum eingesetzt. Cleverley scheint auf seinem Maxikum angelangt zu sein, welches nicht allzu hoch ist.
Das ist ein Problem, welches die Kritiker häufig betonen. Englands Nachwuchs wird zu wenig gefördert. Während in Spanien und Deutschland der Nachwuchs mit den zweiten Mannschaften der grossen Vereinen in den unteren Ligen Ernstkämpfe bestreitet (Real Madrid Castilla und FC Barcelona B sind beispielsweise spanische Zweitligisten und spielen dort gegen Vereine wie Real Mallorca etc.), haben die Reserven in England eine eigene Liga, wo sie unter sich sind. Dazu kommt, dass die Topclubs in England ihr Geld immer stärker in ausländische Stars investieren. Rodwell spielt bei City unter anderem deswegen nicht, weil ihm mit Yaya Touré, Fernandinho und Javi Garcia grosse und namhafte Konkurrenz im Weg steht. Während die spanische und deutsche U21-Nationalmannschaft aus Spielern der grossen Clubs (Jese, Morata) besteht, oder solcher die den Sprung zu einem grösseren Team ins Ausland geschafft haben (Deulofeu) oder zumindest in der obersten heimischen Liga Leistungsträger sind (Leno, Volland, Muniain), wird die englische U21 aus Zweitligaspielern zusammengesetzt und Leuten welche in der Premier League bei Abstiegskandidaten unter Vertrag stehen.
Ein weiterer Faktor ist, dass zahlreiche englische Spieler enormen Formschwankungen unterliegen. So sind die Nominierungen der letzten Zeit ein einziger Flickenteppich. Bestes Beispiel dafür ist Rickie Lambert, der jahrelang durch die unteren Ligen tingelte, jetzt aber mit Southampton auf einem Höhenflug in der Premier League ist und mit 32 Jahren in der Nationalmannschaft debütiert hat. Seine Vereinskameraden Lallana und Rodriguez sind zwar jünger, profitieren aber ebenfalls vom momentanen Hoch von Southampton. Im letzten Jahr kamen rund 40 Spieler zum Einsatz. Sogar Joe Hart, der als die Lösung der englischen Torwartprobleme galt, stand unter einem Formtief und verlor zeitweise seinem Stammplatz im Tor von Manchester City, so dass sein Platz als Nummer 1 in Englands Tor wackelt.
Eine Auswahl der englischen Aufstellungen der letzten Zeit:
Testspiel gegen Dänemark, 05.03.2014
Testspiel gegen Deutschland, 19.11.2013
Qualifikation gegen Polen, 15.10.2013
Rooney, Welbeck und Sturridge dürften im Sturm gesetzt sein. Ergänzen wird sie vermutlich Lambert, da Defoe mittlerweile in Kanada spielt und Carrolls Leistungen enorm schwankend sind. Zentral wird Carrick vermutlich seinen Platz im Kader finden, da er einer der solideren Akteure ist und Lampard, Gerrard oder Wilshere ohne grösseren Qualitätsverlust ersetzen kann. Auch Allrounder Milner darf sich berechtigte Hoffnungen machen, da er auf mehreren Positionen eingesetzt werden kann. Defensiv wird Cahill vermutlich gesetzt sein im Zentrum der Abwehr, neben ihm wird vermutlich Evertons Jagielka spielen, eventuell auch Smalling oder Jones. Auf RV wird vermutlich Johnson oder Kyle Walker spielen, links sofern er fit ist und im Verein auch regelmässig spielt (was in letzter Zeit nicht der Fall war) Ashley Cole. Alternativen sind Baines von Everton und Gibbs von Arsenal. Das Gerüst ist wackelig, da die Akteure entweder nicht bei den ganz grossen Vereinen spielen (Baines, Jagielka) und so auch international nicht gefodert werden, oder bei den grossen Teams keinen Stammplatz haben (Gibbs, Cole, Smalling, Jones, ev. sogar Hart). Der Rest ist Auffüllware. Man bekommt das Gefühl, dass noch im System noch nicht viel sitzt.
Fazit: In anderen Vorrundengruppen würde sich England wieder "irgendwie" durchsetzen. Gegen Italien und Uruguay reicht das nicht. Wenns blöd läuft nicht mal gegen Costa Rica. England wird in den Gruppenspielen ausscheiden.
http://mephmanjo-mylifewithfootball.blogspot.ch/2014/03/wm-vorschau-england.html