Ich bleibe dabei, dass ich es unpassend finde, von einem Fussballer in politischen Fragen mehr Vorbildlichkeit zu verlangen als von Politikern. Wenn - jeweils ohne Notwendigkeit - der deutsche Außenminister den türkischen Amtskollegen zu sich nach Hause zum Tee einlädt, wenn der ehemalige bayrische Ministerpräsident und aktuelle deutsche Innen- und Sportminister einen Orban mehrfach zu sich einlädt, anschließend einen Putin in Moskau besucht und bei diesen anlässen über die deutsche Kanzlerin herzieht, kann ich Özils oder auch Loddars Fehlverhalten schwerlich groß kritisieren...
Beim Außenminister sehe ich durchaus noch einen diplomatischen Hintergrund - da kann man als Aussenstehender die Grenzen der Notwendigkeit nicht bestimmen. Das Like gabs aber für Seehofer.
Ansonsten geht die Diskussion doch jetzt meist an der Sache vorbei. Fast alle sind sich doch einig, dass
- Erdogan ein Despot ist, der nicht unterstützt werden sollte
und
- Der DFB sich absolut daneben benommen hat
„Fehler“ gibt’s auf beiden Seiten. Die Frage ist halt, wie man die gewichtet. Und da fällt mir angesichts der hier mannigfaltig angesprochenen anderen Fälle - Bayern in Katar ist ein super Beispiel - ebenfalls das Wort „Bigotterie“ ein. Ich habe es schon mal geschrieben und halte es für zentral: Wenn man an Özil faktisch höhere moralische Ansprüche stellt oder moralische Verfehlung härter sanktioniert, als bei anderen Personen des öffentlichen Lebens, weil man bei Özil eine Art identifikatorische Bringschuld sieht („Deutscher auf Bewährung“) dann ist das durchaus rassistisch (auch wenn natürlich nicht alle die das so sehen dadurch generell rassisten sind).
Und genau das tun weite Teile der Öffentlichkeit. Die anderen Verfehlungen führten zur Kritik, aber nicht zu einem derartigen populistischen Shirtstorm. Bayern in Katar war ein Sturm im medialen Wasserglas und Matthäus wird weiterhin Sky Experte und keine Persona non Grata sein. Selbst dass der aktuelle Innenminister Orban hofiert verursachte kein derartiges Echo, obgleich es wegen der Tragweite vielfach skandalöser ist, als die politische Meinung eines Fußballprofis.